Die (abgeschaffte) Verordnung zur Gurkenkrümmung
Wir reden heute über EU-Recht. Genauer gesagt über einen Teil des EU-Rechts, der in Österreich immer wieder als Talking Point gegen die EU verwendet wird: Verordnung Nr. 1677/88/EWG zur Festsetzung von Qualitätsnormen für Gurken.
Wer den politischen Diskurs in Österreich schon eine zeitlang verfolgt, hat es sicher schon mitbekommen: Wie krumm eine Gurke ist oder sein darf, das bestimmt „die EU“. Wer auch immer das ist. Das Parlament? Die Kommission? Der Rat der Europäischen Union? Oder der Europäische Rat, der nicht dasselbe ist? Das wird selten dazugesagt. Genauso wenig wie wichtige Zusätze, die diese absurd anmutende Geschichte entschärfen.
Das Wichtigste zuerst. Die Gurkenkrümmung wurde:
1) In Österreich erfunden
2) auf EU-Ebene übernommen
3) mittlerweile wieder abgeschafft
4) und wird trotzdem von vielen nach wie vor angewandt.
Die Gurkenkrümmung – ein Export aus Österreich
Zurück geht das Gesetz nämlich auf das österreichische Qualitätsklassengesetz aus den 60er Jahren, das unter anderem die Krümmung von Gurken festlegte. Gurken der Klasse „Extra“ durften eine maximale Krümmung von zehn Millimeter pro zehn Zentimeter Gesamtlänge aufweisen – aber krumme durften nur getrennt von geraden oder nur leicht gebogenen Gurken verkauft werden. Ein Beispiel dafür, wie das aussieht:
§ 52. (1) Gurken müssen sein:
ganz,
gesund,
von frischem Aussehen,
fest,
sauber, insbesondere frei von sichtbaren Rückständen von
Behandlungsmitteln,
nicht bitter (vorbehaltlich der für Klasse II vorgesehenen Toleranzen),
frei von anomaler äußerer Feuchtigkeit,
frei von fremdem Geruch oder Geschmack.
Und warum das Ganze?
Die Gurkenkrümmung auf EU-Ebene
1997 wurde das Gesetz über die Gurke in Österreich außer Kraft gesetzt. Aber nicht, weil sich die Sinnhaftigkeit dieser Regel mittlerweile erübrigt hatte – sondern weil es auf EU-Ebene übernommen wurde.
Und was stand eigentlich drin? Genau das, was man denken würde, wenn man von der „Gurkenkrümmung“ hört: Es wurde die Beschaffenheit von Gurken definiert. Mindestgewicht, Farbe, Krümmung, etc. Die Gurken wurden dabei in mehrere Klassen eingeteilt, jeweils definiert mit einem Wortlaut wie „praktisch gerade“, der relativ konkret angab, wie diese Gurke auszusehen hatte.
Gerade auf EU-Ebene macht das noch mehr Sinn. Denn auch wenn Gurkenkrümmung lächerlich klingt, reden wir hier immerhin von einem europaweiten Standard. Dieser hilft nicht nur uns allen im Supermarkt, weil wir uns ungefähr darauf verlassen können, was wir bei einer Gurke kriegen. Sondern auch der Wirtschaft ist geholfen – immerhin muss der einzelne Gemüsehändler nicht jede Gurke einzeln inspizieren. Auch beim Transport erspart man sich Kosten, wenn man mehr Gurken auf einmal lagern kann, weil sie effizient übereinander gestapelt sind. Bedeutet wiederum: Niedrigere Preise für alle.
Totgesagte leben länger
Heute ist die Verordnung über die Gurkenkrümmung abgeschafft. Sie stand zu sehr für das „Bürokratiemonster“ Brüssel.
Verwendet wird sie aber immer noch. Denn auch, wenn es keine rechtliche Notwendigkeit mehr ist, haben der Handel und die Logistik die positive Wirkung der geregelten Gurkenkrümmung internalisiert. Nicht umsonst waren Lobbyverbände in Brüssel dahinter, sich mit diesem trivialen Anliegen auseinanderzusetzen. 16 Mitgliedsstaaten lehnten die Abschaffung sogar aktiv ab.
Turns out: Es ist schlicht und einfach praktisch, zu wissen, wie Gurken aussehen werden. Ob man das wirklich regeln muss, sei dahingestellt. Fest steht: Die Gurkenkrümmung ist ein Thema, mit dem die EU völlig zu unrecht verteufelt wird.