Die Beistandspflicht der EU
In Zeiten von Krieg in Europa ist es auch wichtig, darüber nachzudenken, wie sich ein kleines Land in Mitteleuropa schützen kann. Viele andere Staaten suchen diesen Schutz über die NATO, die nach dem Prinzip funktioniert, dass ein Angriff auf ein Mitglied ein Angriff auf alle ist: Würde Russland also Estland angreifen, würde es gleichzeitig Deutschland, Frankreich und den USA den Krieg erklären. Das nennt man „Beistandspflicht“.
Weniger bekannt ist eine sehr ähnliche Beistandsklausel – eine, die auch die Europäische Union betrifft. In Artikel 42 Absatz 7 des Vertrags über die Europäische Union ist nämlich ebenfalls eine Beistandspflicht festgeschrieben. Sie kam zwar noch nie zum Einsatz, aber ist theoretisch auch ein wirksamer Schutz durch ein Bündnis. Im Wortlaut liest sich der Absatz so:
(7) Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.
Artikel 42 Absatz 7 Vertrag über die Europäische Union
Artikel 42 befasst sich übrigens ganz generell mit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union. Nicht nur in diesem Absatz schreibt er auch den „besonderen Charakter“ fest: Vereinfacht gesagt haben manche Staaten einfach Ausnahmen, wenn es um Außen- und Sicherheitspolitik geht. Das betrifft auch Österreich.
Ein besonderer Charakter kann z.B. auch die Neutralität sein: Neben Österreich sind auch Irland und Malta neutral. Finnland und Schweden haben ihre Tradition der Blockfreiheit nach dem russischen Angriff auf die Ukraine geändert und sind der NATO beigetreten. Hierzulande ist das bei vielen eine unbeliebte Position: Aber vieles, was wir durch die Neutralität als verboten betrachten, wäre rechtlich absolut möglich.
Für Österreich bedeutet das hauptsächlich, dass wir im Fall eines konventionellen Krieges technisch gesehen nicht bündnisfrei wären – auch, wenn hauptsächlich die NATO mit der Beistandspflicht assoziiert wird. Aber mehr sicherheitspolitische Zusammenarbeit wäre auch mit Neutralität und ohne NATO möglich: Etwa mit einer EU-Armee, die sogar selbst Teil der NATO sein könnte, oder bei mehr Engagement in zivilen Angelegenheiten wie Minenräumung, wo auch andere Neutrale sich beteiligen.
In der Neutralitätsdebatte hat Österreich also mehrere Optionen. Aber vollkommen unabhängig davon ist ein Mindestmaß an Sicherheit durch unseren Paragraph der Woche gegeben.