Ein unabhängiger ORF stünde in der Verfassung.
Der ORF ist unabhängig – zumindest in der Theorie.
Denn de facto und de jure, das ist in Österreich manchmal ein schwieriges Spannungsverhältnis. Offiziell gilt etwa das „freie Mandat“, das laut Verfassung zusichert, dass Abgeordnete nach bestem Wissen und Gewissen selbständig entscheiden können, wie sie im Parlament abstimmen werden. De facto aber – und das ist eben das inoffizielle, aber wahre Österreich – dominiert der Klubzwang. Wer gegen die Parteilinie abstimmt, schadet damit der eigenen Polit-Karriere und wird entsprechend schnell nicht mehr mit einem Listenplatz belohnt.
Ähnlich ist es mit der Unabhängigkeit des ORF. Denn der ist, wenn man das Bundesverfassungsgesetz fragt, unabhängig. De jure, eben. Der Gesetzestext ist für einen solchen kurz und knackig und liest sich wie folgt:
- Rundfunk ist die für die Allgemeinheit bestimmte Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, Ton und Bild unter Benützung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung bzw. längs oder mittels eines Leiters sowie der Betrieb von technischen Einrichtungen, die diesem Zweck dienen.
- Die näheren Bestimmungen für den Rundfunk und seine Organisation sind bundesgesetzlich festzulegen. Ein solches Bundesgesetz hat insbesondere Bestimmungen zu enthalten, die die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Besorgung der im Abs. 1 genannten Aufgaben betraut sind, gewährleisten. Die näheren Bestimmungen für den Rundfunk und seine Organisation sind bundesgesetzlich festzulegen. Ein solches Bundesgesetz hat insbesondere Bestimmungen zu enthalten, die die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Berücksichtigung der Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Besorgung der im Absatz eins, genannten Aufgaben betraut sind, gewährleisten.
- Rundfunk gemäß Abs. 1 ist eine öffentliche Aufgabe.
Die Realität ist aber eine andere: Denn das oberste Gremium des ORF, in dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden, wird nicht unabhängig von der Politik besetzt. Ganz im Gegenteil: Der Stiftungsrat hat 35 Mitglieder, von denen ein Großteil durch die Bundesregierung, die Landesregierungen und die Parteien beschickt werden.
Praktische Konsequenz daraus: Eine Mischung aus Ex-Politiker:innen, parteinahen Menschen mit Medienerfahrung und nur wenigen, die durch unabhängige Expertise überzeugen, steuert grundlegende Entscheidungen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Etwa, wer der Chef des ORF wird: Das ist aktuell Roland Weißmann, der als Wunschkandidat der ÖVP galt. Davor war es Alexander Wrabetz, ein SPÖ-Mitglied, das während der Mitgliederbefragung der Partei sogar als potenzieller Spitzenkandidat gehandelt wurde.
Und das ist nicht der einzige Grund, warum der Stiftungsrat so wichtig ist. Er entscheidet auch generell die Unternehmensstrategie: Etwa, wie viel Geld der ORF durch die GIS (oder zukünftig: Haushaltsabgabe) bekommen soll, welches Programm er fährt usw. Wichtige Personalentscheidungen wie die Bestellung der Landesdirektionen werden dort bestimmt. In der Vergangenheit sind viele eher durch freundliche Berichterstattung für die stärkste Partei des Landes aufgefallen, etwa in Niederösterreich – auch hier wäre ein entpolitisiertes Gremium also doppelt wichtig, um weitere Postenbesetzungen in den Bundesländern zu stoppen.
Der ORF ist also unabhängig – aber eben nur de jure. De facto könnte sich das aber auch bald ändern, denn der Verfassungsgerichtshof hat einen Teil des ORF-Gesetzes, der die Besetzung der Posten regelt, als verfassungswidrig erkannt. Der Grund: Wenn eine Regierung die absolute Mehrheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kontrolliere, widerspreche das der Menschenrechtskonvention, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte schon im Fall Moldau entschieden hatte.
Mehr dazu, wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist und warum eine Gremienreform noch vor der Nationalratswahl 2024 so wichtig wäre, wird erklärt im Artikel: Entpolitisierung: Freiheit für den ORF!