Woran der Finanzausgleich krankt
„Gesundheitssystem mit schlampigen Verhältnissen.“
„Wie die Länder Grundübel beseitigen wollen.“
„Ärztekammer will beim Finanzausgleich mitreden.“
Wer im Jahr 2023 Nachrichten über Gesundheitspolitik liest, stolpert unweigerlich über den sogenannten Finanzausgleich und die damit verbundenen hohen Erwartungen. Das Grundsystem werde dadurch verhandelt – eine Lösung für Kompetenzverteilung, Ärzt:innenmangel, volle Spitäler und sowieso alles. Vergessen wird dabei, dass erstens die meisten Menschen wohl kaum wissen, was der Finanzausgleich überhaupt ist. Und zweitens, dass Papier geduldig ist: Nur weil man sich in langen Verhandlungen auf einen Text einigt, wird das Gesundheitssystem nicht über Nacht repariert. Viel eher braucht es auch praktische Umsetzungen und Ergebnisse, die sich im Alltag der Menschen auswirken. Was genau kann beim Finanzausgleich also für das Gesundheitssystem erreicht werden?
Was der Finanzausgleich ist
Vereinfacht gesagt regelt der Finanzausgleich, wie das Geld zwischen verschiedenen staatlichen Ebenen verteilt wird. Denn „der Staat“, das sind Bund, Länder und Gemeinden zusammen. Sie alle haben bestimmte Aufgaben, Einnahmen zur Finanzierung dieser Aufgaben hat aber (fast) nur der Bund über Steuern. Damit Länder und Gemeinden ihre Aufgaben auch erfüllen können, gibt es den Finanzausgleich – eine Verhandlung darüber, wie viel Geld jeweils für diese Aufgaben zur Verfügung steht.
Kernpunkt der verschiedenen Aufgabenbereiche ist die „mittelbare Bundesverwaltung“, zu der viele Aufgaben des Gesundheitssystems gehören. Die Gemeinden sind z.B. für die Grundversorgung mit Ärzt:innen zuständig, die Bundesländer für das Spitalswesen. Die Liste dieser Aufgaben ist lang, und vieles davon wird in der Praxis gar nicht so gehandhabt – aber es regelt, wie Rettung, Arztwesen, Totenbeschau, Seuchendienst, Schulärzt:innen oder Krankenhäuser organisiert und finanziert werden. Je nach Unterthema handhaben die Bundesländer diese Aufgaben natürlich auch unterschiedlich.
Wichtig am Finanzausgleich ist aber nicht nur die Mittelverteilung, sondern auch die zugehörige „15a-Vereinbarung“. Der Name kommt vom Artikel 15a des Bundes-Verfassungsgesetzes, mit diesen Verträgen wird die Durchführung besagter Aufgabenverteilungen geregelt. Solche Verträge gibt es beispielsweise auch, um den Ausbau der Kinderbetreuung zu forcieren oder für Kostenzuschüsse zur 24-Stunden-Betreuung. Was genau die praktische Verantwortung bedeutet, wird oft in diesen 15a-Vereinbarungen geregelt. Heißt: Das Gesetz allein ist nur eine Basis. Was wann und wie erreicht werden soll, wird über diesen Vertrag aber extra festgelegt. Sieht man sich die letzte 15a-Vereinbarung über die Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens an, sieht man, dass viele dieser Ziele nur das sind: verschriftlichte Ziele, die nicht umgesetzt wurden.
Grau ist alle Theorie
Denn der Finanzausgleich legt die Theorie fest, und die ist bekanntermaßen grau. Sieht man sich die Überschriften der Vereinbarung an, findet man einige Schlagworte, die auch jetzt herumschwirren. Bereits etablierte, aber nicht umgesetzte Konzepte wären beispielsweise die Behandlung von Patient:innen „ambulant vor stationär“, also lieber in der Praxis als im Krankenhaus. Auch der Wunsch, dass die Diagnose nach einem Arztbesuch erfasst wird, ist alt, ebenso ein Ausbau von Primärversorgungszentren oder ein stärkerer Fokus auf Gesundheitsvorsorge.
Wir sollten also schon seit über fünf Jahren viel mehr Eingriffe in Krankenhäusern als sogenannte Tageseingriffe durchführen, also ohne Übernachtung im Krankenhaus. Jede:r sollte nach einem Besuch bei seinem Arzt irgendwo eine Diagnose dokumentiert haben – dadurch könnte z.B. die Sozialversicherung sagen, wie viele Menschen in Österreich Diabetes haben. Wir sollten weit verbreitet Primärversorgungszentren haben. Ein System der Gesundheitsvorsorge, das viele Bürger:innen erreicht. Und ein ELGA-System, in dem es eine standardisierte Patient:innenakte gibt, auf die jeder Behandelnde zugreift. Lauter Dinge, die auch 2023 als Forderungen am Verhandlungstisch liegen. Trotzdem gibt es für jede dieser Forderungen einige Erklärungen, warum es sie noch immer nicht gibt.
Gremien, Entscheidungsfindung und Intransparenz
Neben der „klassischen“ 15a-Vereinbarung – der Vereinbarung zur Funktionsweise des Gesundheitssystems – gibt es noch eine zugehörige Vereinbarung, die zur Zielsteuerung Gesundheit. Diese zweite Vereinbarung legt in erster Linie fest, wie viel Bundesländer und Sozialversicherung für das Gesundheitssystem ausgeben dürfen, bis zum Beginn der Pandemie konnten alle beteiligten Player den vorgesehenen Kostendämpfungspfad einhalten. Kostendämpfung – also weniger stark ansteigende Kosten – alleine retten das Gesundheitssystem aber nicht. Geregelt wird dieser Pfad von der „Zielsteuerungskommission Gesundheit“, die wiederum ihre Basis in der 15a-Vereinbarung zum Gesundheitswesen hat und eine Blackbox ist. Wer genau was genau dort bespricht, lässt sich nicht einmal durch parlamentarische Anfragen herausfinden.
Wichtig sind die Gremien, die dank des Finanzausgleichs existieren, aber trotzdem. So hat beispielsweise auch die Bundesgesundheitsagentur ihre Basis im Finanzausgleich. Nachdem Spitalsträger und Dachverband der Sozialversicherungen bei teuren Medikamenten oft die Verantwortung, wer zahlen muss, hin und her schieben, werden Medikamente für besonders seltene Erkrankungen wie Spinale Muskelatrophie jetzt über diese Agentur bezahlt.
Auf einer übergeordneten Ebene gibt es dank des Finanzausgleichs aber nicht nur Entscheidungsgremien, sondern auch Strukturpläne. Über diese soll geregelt werden, wo es wie viele und welche Krankenhäuser gibt, und wie z.B. auch in Grenzregionen zwischen Bundesländern eine effiziente und gute Gesundheitsversorgung gewährleistet werden kann. Damit beispielsweise nicht Salzburger Spitäler steirische Patient:innen für Routineuntersuchungen ablehnen. Wohlgemerkt Kontrolltermien für chronische Krankheiten, die im niedergelassenen Bereich stattfinden sollten – ambulant vor stationär hat hier nicht funktioniert, und auch die Pläne für Grenzregionen scheitern wieder an der Theorie. Denn die 15a-Vereinbarung zum Finanzausgleich sieht einen „österreichischen Strukturplan“ vor, der all das abbilden soll. Die Bundesländer sollten dann anhand dieses Gesamtplans ihre eigenen Strukturpläne erstellen. Das Problem daran: 2022 sind die Strukturpläne der Bundesländer längst beschlossen – einen neuen österreichweiten gibt es aber noch nicht.
Ähnlich verhält es sich mit der Frage von Qualitätskontrollen. Theoretisch gibt es ein Gesundheitsqualitätsgesetz und auch eine Qualitätssicherung, die über den Finanzausgleich geregelt wird. In der Praxis kann das Gesundheitsministerium Fragen zu bestimmten Qualitätskriterien, z.B. Gefährdungsmeldungen, aber nicht beantworten. Zuständig sind die Länder, die Frage der Aufsicht(spflicht) wird im Gesundheitsbereich immer sehr unterschiedlich ausgelegt.
Wie man den Finanzausgleich ändern könnte
Was also kann der Finanzausgleich neu regeln? Grundsätzlich gibt es Sanktionen bei Verstößen gegen die Vereinbarungen, allerdings auch nur auf dem Papier. In einigen Bereichen kann der Finanzausgleich aber doch für Veränderung sorgen: Eine bessere Finanzierung von ELGA könnte die Datennutzung vorantreiben und verbessern, durch bessere Dokumentation in ELGA könnten Patient:innen sich Mehrfachuntersuchungen und manche Arztwege ersparen, was auch für das Gesundheitssystem eine Entlastung bedeuten würde. Auch bei der Datennutzung von beispielsweise Leistungen in Krankenhäusern und Informationen könnten den Ländern genauere Vorgaben gemacht werden.
Denn entscheidend ist immer das Geld. Wenn die Auszahlung z.B. erst erfolgen würde, wenn vereinbarte Maßnahmen auch tatsächlich gesetzt würden, könnte sich die Dynamik in der Gesundheitspolitik etwas verändern. Das braucht aber eben einen starken Bund gegenüber den Bundesländern in der Verhandlung. Nachdem die Pandemie gezeigt hat, dass Abstimmung oft die Reaktionsfähigkeit des Systems verbessert, scheint ein guter Zeitpunkt zu sein. Fest steht jedenfalls: Die Umsetzung des Finanzausgleichs muss dringend geändert werden, damit das Gesundheitssystem nicht zu lange an der Belastungsgrenze bleibt.