Die fehlenden Kindergärten Österreichs
Was ist uns der Kindergarten wert?
Österreichs Kindergärten sind unterfinanziert. Das bedeutet nicht, dass Kindergärten derzeit jeden Cent zweimal umdrehen müssen. Aber Österreich hinkt derart bei Angebot und Qualität hinterher, dass es eine ordentliche Budgeterhöhung benötigt, um an die Länder anzuschließen, die als Vorbilder in der Elementarpädagogik gelten. Wie viel es braucht? Statt 2,9 Mrd. Euro sind es wohl ca. 5,2 Mrd. Euro. Das scheint auf den ersten Blick sehr viel zu sein, doch werfen wir einen genaueren Blick darauf.
Wieso braucht es eine Erhöhung?
Der Kindergarten ist einerseits eine der prägendsten Institutionen in der Entwicklung eines jeden Kindes und andererseits der Garant, dass sich Familie und Beruf wirklich vereinbaren lassen.
Die Kindergärten sind als erste Bildungseinrichtungen wichtig für ein selbstbestimmtes und erfülltes Leben. Viele Studien zeigen, dass die ersten Jahre mit am entscheidendsten sind für die Bildungskarriere und die Charakterbildung von Kindern. Außerdem ist der Kindergarten gerade für Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten und bildungsfernen Familien ein großes Sprungbrett. Denn zuhause erfahren sie oft nicht die frühkindliche Bildung, die sie benötigen würden. Ohne diese Bildung ist nicht nur die Gefahr für eine von Misserfolgen geprägte Schulkarriere höher – das hat auch messbare Gehaltseinbußen in der Berufskarriere zur Folge. Damit ist klar, dass der Kindergarten keine bloße Betreuungseinrichtung ist, bei der Eltern ihre Kinder abliefern können.
Gleichzeitig ist der Kindergarten für Eltern genauso wichtig, um auch mit jungen Kindern beruflich voranzukommen. Das bringt gerade langfristig Vorteile. Denn wer länger von einer Erwerbsarbeit fernbleibt, muss mit weniger Geld und Chancen rechnen. Einerseits führen lange Phasen fern vom Arbeitsmarkt zu einer niedrigeren Pension im hohen Alter und noch viel schlimmer, zu einem Karrierebruch, der nicht mehr aufzuholen ist. Denn Väter ohne Karenzzeiten und Frauen ohne Kinder überholen Mütter auf dem Karrierepfad. Dass der Gender-Pay-Gap in Österreich von der Wissenschaft zu einem großen Teil als „Motherhood-Pay-Gap“ identifiziert wurde, kommt in der Debatte oft zu kurz.
Dabei ist es nur mit einem ausgeprägten Betreuungsangebot in der näheren Umgebung möglich, Beruf und Kinderbetreuung gut zu vereinen. Doch genau an diesem Angebot mangelt es in Österreich.
Denn derzeit gibt es viele Gemeinden, die nicht einmal ein Ganztagsangebot für Kindergärten anbieten. Das bedeutet, dass Kindergärten nur halbtags geöffnet, nicht einmal an allen Werktagen und zusätzlich mehr als 50 Schließtagen im Jahr haben. Derartige Angebote machen Vollzeitjobs beider Elternteile unmöglich. Außerdem besagen Studien, dass eine institutionelle Kinderbetreuung von unter 20 Stunden pro Woche nur einen sehr geringen bis keinen Bildungseffekt auf das Kind habe. Zwischen 30 und 39 Stunden sind die größten Effekte zu erzielen, aber auch darüber hinaus ist die Wirksamkeit groß.
Vorbild Dänemark
In anderen Ländern sind breite Kindergartenangebote und einheitliche Standards eine Selbstverständlichkeit. Besonders die skandinavischen Länder Schweden, Norwegen und Dänemark, aber auch Portugal stechen heraus. So sind in Norwegen knapp unter und in Dänemark über 58 Prozent der Kinder unter drei Jahren in einem Kindergarten mit Ganztagsangebot, während das in Österreich nur acht Prozent sind. Außerdem haben Eltern in vielen westlichen Ländern einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, so auch im führenden Vorzeigeland Dänemark.
Die Folgen der fehlenden Kindergärten sind auch eindeutig belegbar: Nur 1/3 der Mütter mit Kindern unter drei Jahren gehen einer Erwerbsarbeit in Österreich nach, wovon wieder der Großteil in Teilzeitjobs tätig ist. Überhaupt ist die Teilzeitfalle ein weiterer Grund, mehr Angebot zu schaffen, weil auch hier Mütter mit Abschlägen in der Pension und der Karriere rechnen müssen. Während also in Dänemark nur 23 Prozent der Mütter mit Kindern unter sechs Jahren teilzeitbeschäftigt sind, sind es in Österreich knapp 71 Prozent. Da ist auch nicht verwunderlich, dass Dänemark mit Elementarbildungsausgaben von 1,3 Prozent des BIPs im Gegensatz zu Österreich mit 0,7 Prozent des BIPs dem Kindergarten einen höheren Wert beimisst. Damit ist Dänemark noch lange nicht die Topnation des Ausgabenrankings – aber Österreich erreicht nicht einmal den EU-Schnitt.
Abgeschlagenes Österreich
Und nebenbei hat Österreich ein strukturelles Problem, das sich auf die Qualität auswirkt. Denn viel Angebot alleine wäre ja noch kein Garant für Bildungserfolge. Aber in Österreich gibt es keine einheitlichen Standards wie in Dänemark, sondern eine komplexe Lage an Zuständigkeiten über alle Bundesländer hinweg, mit neun verschiedenen Kindergartengesetzen, verschiedenen Gruppengrößen und Betreuungsschlüsseln. So kann in Vorarlberg ein:e Betreuer:in auf 16 Kinder fallen. In Dänemark liegt dieser Betreuungsschlüssel bei maximal 1:6,8.
Um damit aufzuräumen, braucht Österreich einheitlichere Regelungen. Gruppengrößen sollen nicht nach Region variieren. Zusätzlich braucht es mehr gut ausgebildete Fachkräfte und damit eine Attraktivierung des Elementarpädagogikberufs. Aber vor allem braucht es mehr Angebot, und zwar im Ganztagsbereich. Die Öffnungszeiten sollen sich an den Bedürfnissen der Eltern orientieren und Vollzeitjobs ermöglichen. Deswegen sollte jeder zusätzliche Platz mindestens ein sogenannter VIF-konformer Kindergartenplatz sein. Das bedeutet, Kindergärten sollten mindestens an vier Tagen pro Woche 9,5 Stunden und insgesamt 45 Stunden in der Woche geöffnet sein. Dieses Angebot muss mindestens 47 Wochen im Jahr zur Verfügung stehen, idealerweise sollten sich die Schließtage nur auf vereinzelte Tage beschränken, wie z. B. den 24. Dezember, der traditionell oft mit der Familie verbracht wird.
Und im besten Fall soll dieses Angebot gratis sein, um so vielen Familien und besonders Müttern einen Anreiz zu geben, den Kindergarten zu nutzen und einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Das könnte nach einer Studie die Beschäftigtenquote von Müttern mit Kindern unter sechs von 48 Prozent auf über 75 Prozent steigern.
Wieviel Geld es wirklich braucht
Dafür braucht es eben auch mehr Budget. Das Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria hat vorgerechnet, was ein Elementarbildungssystem wie in Dänemark kosten könnte. Ausgehend von jetzigen Ausgaben in Höhe von circa 2,9 Mrd. wäre eine Steigerung auf 4,521 Mrd. Euro nötig – für mehr Angebot und Personal. Bei einem zusätzlich kostenlosen Angebot würden die Ausgaben laut Berechnungen des NEOS Lab auf ca. 5,15 Mrd. Euro steigen. Diese Ausgaben würden 1,3 Prozent des BIPs ausmachen und damit ähnlich hoch wie in Dänemark sein. Darüber hinaus entspricht die Budgetsteigerung um 2.3 Mrd. Euro 2,3 Prozent des Bundesbudgets. Jedes Pensionsgeschenk vor vergangenen Wahlen war langfristig teurer, nur ohne die Vorteile für die Entwicklung der Kleinsten, Familien und den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig würde langfristig der Staat auch finanziell profitieren.
Denn schon der Nobelpreisträger James Heckman hat gezeigt, dass jeder investierte Dollar in frühkindliche Bildung doppelt durch besseren individuellen Bildungs- und Berufserfolg zurückkommt. Gleichzeitig würden mehr Frauen einer Erwerbsarbeit nachgehen und so ebenfalls die Wirtschaftsleistung steigern. Und nebenbei würde der Gender Pay Gap mit der Zeit sinken, da jener sich zu einem großen Teil aus dem Motherhood Pay Gap speist, der aufzeigt welche Einbußen Mütter in Elternkarenz gegenüber Männern hinnehmen müssen.
Ein Ausbau zu dänischen Verhältnissen mit einem kostenlosen Angebot hätte also unzählige Vorteile für Kinder, Eltern und die ganze Gesellschaft sowie Österreichs Volkswirtschaft. Deswegen sollte die Regierung dem Kindergarten endlich den Wert geben, den er verdient.