Die nicht-monetären Lösungen im Pflegebereich
Die Debatte über die Bezahlung im Pflegebereich hat nicht nur durch die letzte Reform Fahrt aufgenommen. Die Berichte legen den Eindruck nahe, dass da noch andere Faktoren hineinspielen – oder wie das Gesundheitsministerium es in Bedarfsberechnungen ausgedrückt hat: „Teilzeitbeschäftigung ist üblich“. Für zehn Vollzeitstellen braucht es im Langzeitbereich (also Pflegeheimen) zwölf Personen, in der mobilen Pflege gleich 15. Hier beginnt der große Unterschied.
Eine Frage der Arbeitsstunden
In einer Pflegeeinrichtung oder einem Krankenhaus gibt es oft die Chance auf Nachtdienste und damit verbundene Zuschläge – was auch in einer Teilzeitbeschäftigung das Gehalt rasch ansteigen lässt. In der mobilen Pflege ist das einerseits nicht möglich, andererseits ist es in der mobilen Pflege auch sehr schwer, in Vollzeitbeschäftigung zu arbeiten.
Patient:innen benötigen morgens und abends Hilfe beim Aufstehen, Anziehen, bei der Medikamenteneinnahme, möglichen Verbandswechseln etc. Wer mobile Pflege nur als Unterstützungsleistung braucht, kann den Rest des Tages dazwischen aber gut selbst bewältigen. Diese Zeit bleibt für die Pflegekräfte frei. Durch die Sammlung von Stoßzeiten gibt es offenbar auch viele Pflegepersonen, die nur die Vormittags- oder Frühabends-Schicht machen und sich die Arbeit zwischen zwei Personen aufteilen. Ein vieldiskutierter Lösungsansatz ist es deshalb, die Normarbeitszeit zu reduzieren. Auch das ist eine Kollektivvertragsmaterie und damit lösbar.
Die Gewerkschaft GPA hat beispielsweise 2020 für den Sozialwirtschaftsvertrag eine Gehaltserhöhung von 2,08 Prozent und eine Reduktion auf 37 Stunden als Normarbeitszeit verhandelt. Wie so oft gibt es dabei große Unterschiede zwischen den Bundesländern und einzelnen Kollektivverträgen, doch zumindest Presseaussendungen und Medienmeldungen sind seit Beginn der Pandemie oftmals feierliche Verkündungen von Gehaltserhöhungen oder zusätzlichen Zulagen. Für Quereinsteiger:innen, die mit 35 oder 40 auf einen Pflegeberuf umsteigen, sehen die Durchrechnungen zwar anders aus – aber mit Arbeitsstiftungen, Fachkräftestipendien und einer Änderung des Besoldungsschemas, das 2018 auf eine flachere Lebensgehaltskurve abzielte, soll dem entgegengewirkt werden.
Zulagen für die Ausbildung oder für die Pandemie?
Was dabei aber gerne vergessen wird: Zulagen sind für ältere beamtete Pflegekräfte nicht auf die Pension anrechenbar. Das ist auch bei den üblichen Nachtdienst- und Überstundenzulagen so, deshalb fördert ein Pflegeberuf, besonders in Teilzeit, auch bei theoretisch guter Bezahlung das Risiko für Altersarmut. Die Anrechnungen und eine Änderung der Teilzeitquote sind für Pflegekräfte also das größere Problem.
Zusätzlich wird bei der Pflege auch innerhalb der Sparten differenziert. Wer im Krankenhaus mit Intensivausbildung arbeitet, erhält eine weitaus höhere Bezahlung als jemand in der mobilen Pflege. In der mobilen Pflege gibt es aber keine Ärzt:innen, die jederzeit verfügbar sind – die Pflegekräfte müssen mehr Entscheidungen selbstständig und spontan treffen. Das Gehalt nimmt sozusagen ab, je mehr Eigenverantwortung die Pflegekraft hat. Auch, wenn natürlich die Sonder- und Zusatzausbildungen in den Spezialfächern im Krankenhaus honoriert werden sollen.
Es geht also nicht nur um das Gehalt, sondern auch um die Ausgestaltung der Arbeitsumstände. Ein Knackpunkt, wenn man sich Berichte ansieht. Was die Situation in den Krankenhäusern während der Covid-Omikronwelle so anstrengend gemacht hat, waren nämlich weniger die schlechten Gehälter, sondern die Personalausfälle. Das führt dazu, dass Personalschlüssel in Krankenhäusern (oder auch Pflegeheimen) schon lange nicht mehr eingehalten werden können und eine Pflegekraft mehr Patient:innen betreuen muss, als gut für beide ist. Das reduziert den persönlichen Kontakt, den sozialen Aspekt (der ja für viele erst zu dieser Berufswahl geführt hat) und erhöht die Belastung – auch in der mobilen Pflege, wo Schichten für Kolleg:innen im Krankenstand oder in Absonderung übernommen werden müssen.
Die Frage ist also, ob es wirklich an den Gehältern liegt, oder ob die Attraktivierung des Berufs nicht automatisch erfolgt, wenn ein Pflegeberuf wieder ein Beruf ist, in dem man „für die Menschen da ist“.
Die alltäglichen Aufgaben
Eine weitere erhebliche Erschwernis in der Praxis des Pflegeberufs ist die tägliche Abwicklung. Aus Krankenhäusern, Pflegeheimen und mobilen Einrichtungen gibt es Beschwerden über die überwältigende Dokumentationsarbeit und die körperliche Anstrengung. In Krankenhäusern und Pflegeheimen werden in Nachtdiensten oft Zusatzaufgaben aus anderen Berufen den Pflegekräften überlassen: So müssen diese dann etwa auch die Aufgaben von Physiotherapeut:innen übernehmen, um Patient:innen in oder aus dem Bett zu bringen, das Abendessen herrichten oder bei Bedarf den Boden aufwischen. Alles Aufgaben, die eigentlich jemand anderer übernehmen sollte.
Ein einfaches, systemisches Umdenken, dass nicht nur manche Berufe permanent verfügbar sein müssen, sondern alle Berufe im Krankenhaus einen Daseinsgrund haben, würde dieser Verlagerung entgegenwirken. Stattdessen bleiben die weniger geschätzten Arbeiten an den Pflegekräften hängen, die vorhandenen Kompetenzen werden hingegen nicht genutzt, und für einzelne Behandlungen ist immer eine ärztliche Unterschrift nötig – selbst, wenn diese beispielsweise bei der Wundversorgung üblicherweise etwas weniger Ausbildungsstunden und meistens weniger tägliche Praxis mitverbringen als die Pflegekräfte. Eine Attraktivierung des Berufs hat auch unter diesem Aspekt wenig mit Gehaltsschemata zu tun.