Das Problem mit den Community Nurses
Mit der Einführung von „Community Nurses“ will Österreich die Probleme im Gesundheitswesen lösen. Aber noch ist nicht klar, was diese eigentlich sein sollen. Chronologie einer Umsetzung ohne Plan.
Die Herausforderungen in der Pflege sind vielfältig, doch die Lösungen in Österreich sind selten nachhaltig. Wer nicht mehr in der Lage ist, alleine und selbstständig zu leben, braucht Unterstützung. Üblicherweise übernehmen das Angehörige, 24-Stunden-Betreuer:innen, oder die betroffene Person zieht in ein Pflegeheim.
So weit, so gering die Auswahlmöglichkeiten. Damit kranke, alte und pflegebedürftige Menschen aber leichter in Übergangsfällen daheim bleiben können und ihre Selbstständigkeit wieder erhalten, gibt es in vielen anderen Ländern ein Lösungsmodell: Community Nurses.
Community Nurses – was soll (und kann) das sein?
Das Problem dabei ist: Darunter kann vieles verstanden werden. In Großbritannien z.B. gibt es Community Nurses schon seit Jahren, und dort gibt es ein breites Spektrum an Aufgaben, in dem Community Nurses selbstständig medizinische Aufgaben durchführen. Sie geben medizinische Ratschläge, können Katheter setzen, Inkontinenzversorgung leisten und ganz generell medizinische Prozedere außerhalb von Krankenhäusern durchführen, z.B. Medikamentenabgabe, Blutabnahme oder Verbandswechsel. Sie können sogar bei Hausbesuchen Chemotherapien verabreichen oder Diabeteskontrollen durchführen – Aufgaben, die in Österreich nicht selbstständig von Pflegekräften durchgeführt werden dürfen.
Lässt man die aktuelle Situation im britischen Gesundheitssystem außer Acht, haben Community Nurses in Großbritannien das (ärztezentrierte) Gesundheitssystem stark entlastet. Ähnliche Modelle in skandinavischen Ländern zeigen ebenso große Erfolge. Da das österreichische Gesundheitswesen gerade wegen seiner großen Abhängigkeit von Ärzt:innen Probleme hat, sollten Community Nurses laut Regierungsprogramm in 500 Gemeinden die Arbeit aufnehmen.
Was dabei nicht berücksichtigt wurde: In Österreich gibt es kein Profil für diesen Beruf, und die bisherigen Ausbildungen vermitteln nicht die Kompetenzen, die Community Nurses in anderen Ländern haben. Daran hat auch die Pflegereform kaum etwas geändert.
Einführung ohne klares Berufsbild
Indirekt von Vorteil für die Einführung von Community Nurses war die Pandemie. Durch sie wurden aus dem EU-Aufbau- und Resilienzplan zusätzliche Mittel für Reformen zur Verfügung gestellt. Im Rahmen des Aufbauplans beantragte Österreich u.a. die Umsetzung von Community Nursing.
Ab da musste es allerdings sehr schnell gehen: Im Februar 2022 endete der Begutachtungsprozess des Aufbauplans, im Juni wurde dessen Beurteilung durch die EU-Kommission abgeschlossen, und im Herbst wurde seitens der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) eine Definition für Community Nurses vorgelegt. Problematisch sind dessen Formulierungen, da auch aus diesem Definitionspapier nicht ersichtlich ist, was Community Nurses eigentlich tun sollen. Laut dem Aufbauplan sollen sie:
„… einen wesentlichen Beitrag zur wohnortnahen, niederschwelligen und bedarfsorientierten Versorgung leisten, Community Nurses (CN) sind zentrale Ansprechpersonen, die die Koordination diverser Leistungen (z.B. von Therapien und sozialen Dienstleistungen) übernehmen sowie im Präventionsbereich eine zentrale Rolle spielen.“
Die Bewertung der EU-Kommission scheint allerdings ein anderes Verständnis zu haben, was genau die Community Nurses leisten sollen:
„Das Pilotprojekt ,Community Nursing‘ soll ein angemessenes Angebot an wohnortnaher Langzeitpflege in Regionen sicherstellen, in denen solche Leistungen bislang nur schwer verfügbar sind.“
Vielleicht um all diese Auslegungen zu verbinden, hat die GÖG sich für eine neutrale Zwischendefinition entschieden. Sie gibt Community Nurses das Ziel, „die Gesundheit aller Bevölkerungsgruppen, insbesondere der Zielgruppen, im kommunalen bzw. gemeindenahen Setting sowohl auf individueller als auch gesellschaftlicher und politischer Ebene zu verbessern“.
Ungeachtet der Menge an Definitionen kann anhand dieser Unterlagen aber wohl kaum jemand sagen: Sollen Community Nurses beraten, wo Anträge auf Pflegegeld gestellt werden können? Können sie als Präventionstätigkeit bei Risikopatient:innen selbst den Blutzucker messen und beurteilen, ob ein Arztbesuch nötig ist? Dürfen sie Medikamente nach Verschreibung selbst verabreichen oder einen Verbandswechsel machen und dabei selbst entscheiden, welche Wundsalbe am besten zu verwenden sei?
Spannend ist auch der Verweis, dass Community Nurses gemäß § 12 des Gesundheits- und Krankenpflegegesetz auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse zur „Förderung und Aufrechterhaltung der Gesundheit“ sowie der „höchstmöglichen Lebensqualität aus pflegerischer Sicht“ beitragen sollen. Eben dieser Paragraf bezieht sich aber lediglich auf die Präventionsaufgaben gehobener Pflegekräfte – ein eigenes Berufsbild für Community Nurses entsteht nicht.
Planlose Umsetzung
Trotz aller Definitionsschwierigkeiten musste es schnell gehen – immerhin gab es durch die Ablauffristen der EU-Finanzierung Zeitdruck und offenbar nicht genug Vorarbeiten, um Pflegekräften die Kompetenz zu geben, die Community Nurses in anderen Ländern haben.
Im August 2021 lud der damalige Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein Gemeinden, Städte und Sozialhilfeverbände zur Projektvorlage ein, in der Aussendung stand dezidiert, dass die genauen Kriterien nachgereicht würden. Erst später wurde der Fördercall für die Projekte veröffentlicht. Auch in diesem ist nur in zwei Absätzen von einem Beitrag zu Prävention und Gesundheitsförderung die Rede – wieder können die Antragsteller:innen sich im Prinzip selbst aussuchen, was genau die Community Nurses machen sollen.
150 Stellen sollten in erster Instanz geschaffen werden, unklar war immer noch: Sind Community Nurses in Gemeinden und beispielsweise telefonisch verfügbar, um zu erklären, wo welche Anträge für Pflegeunterstützungen gestellt werden können? Sollen sie Hausbesuche absolvieren oder pflegende Angehörige entlasten?
145 Anträge gingen in diesem ersten Fördercall ein, knapp 240 Personen wurden damit angestellt – Vollzeitstellen gibt es für Community Nurses also offenbar nur wenige, und mit der Zeit wurden es sogar noch mehr Teilzeitkräfte. Im November 2022 wurde von 115 Verträgen gesprochen und 275 Personen.
Allerdings weiß man immer noch nicht, was genau das bedeutet. Pflegekräften zufolge, die einen Überblick haben, gibt es große Unterschiede. In manchen Gemeinden geht es hauptsächlich um organisatorische Aufgaben: Wird beispielsweise eine ältere Person nach einer Operation aus dem Krankenhaus entlassen, hilft die Community Nurse dabei, für einige Zeit eine mobile Pflegekraft oder Essen auf Rädern zu organisieren. In anderen Gemeinden dürften tatsächlich pflegerische Aufgaben übernommen werden und beispielsweise Beratungsgespräche geführt werden, wie auf Ernährung oder richtige Medikamenteneinnahme geachtet werden kann. Und dann wiederum gibt es Dachorganisationen wie die Diakonie, die für mehrere Gemeinden eine einheitliche Umsetzung organisieren.
Doch gerade in Gemeinden freuen sich nicht alle über die Initiative.
Überbrückungsprojekt ohne Zukunft?
Der Städtebund beispielsweise kritisierte von Anfang an, dass nach Ablaufen des EU-Projekts keine Finanzierung sichergestellt wäre. Ein Problem, das sich bei Projekten des EU-Aufbauplans teilweise wiederholt.
Genau zu dieser finanziellen Frage gibt es aus Gemeinden auch immer wieder Probleme. Angeblich gibt es für Community Nurses durch die EU Vorgaben für ein Mindestgehalt, was für Gemeinden oft herausfordernd ist. Immerhin müsste dieses Gehalt später selbst finanziert werden, aber wo genau Gemeinden das Geld dafür hernehmen sollen, ist unklar. Unpraktisch ist auch, dass dadurch ein Konkurrenzverhältnis zwischen Krankenhäusern, Altenheimen und den Gemeinden entsteht – doch gerade jetzt können Krankenhäuser und Pflegeheime nur schwer auf Personal verzichten.
Gerüchteweise werden die Gehaltsvorgaben deshalb nicht immer eingehalten, nachdem es aber weder eine langfristige Finanzierung noch ein Berufsbild gibt, dürfte man hoffen, dass dies unter den Tisch fällt. Testballons für erste Evaluierungen, wie ein konkretes Berufsbild geschaffen werden könnte, setzen aber zumindest einmal einen ersten Schritt. Fraglich ist aber, wie genau diese Evaluierung aussieht und in welcher Form sie veröffentlicht wird.
Noch schwerer wird die Evaluierung eben durch die verschiedenen Auslegungen von Community Nurses. Sie haben zwar ein gewisses Aufgabenprofil – Zugehörigkeit stärken, Pflegeangebote erheben, Abwanderung monitoren –, dieses bezieht sich aber nicht wirklich auf direkte Leistungen der Pflege und kann innerhalb von Pilotprojekten unterschiedlich gewichtet werden. Plus: einige Pilotprojekte sind gar nicht Community Nurses, sondern School Nurses. Ein weiteres nötiges Berufsbild, das auch im Regierungsprogramm drinnen steht und noch keine Ausgestaltung erhalten hat.
Das Problem bleibt also wie immer: Es fehlt das Personal, das kleinere medizinische Aufgaben selbstständig durchführen kann, und für die Pilotprojekte fehlen Ausgestaltung und Finanzierung. Wer langfristige Systemänderungen will, braucht aber auch einen langfristigen Plan. Und der fehlt nach wie vor.