Wie viel Geld wirklich für die Pflegereform bleibt
Angekündigt wurde sie am Tag der Pflege, beschlossen ist rund die Hälfte der Pflegereform. Politische Entscheidungen haben aber erst wirklich eine Bedeutung, wenn sie finanziert werden – also im Budget abgebildet sind. Wo steht die Pflegereform also, und welche angekündigten Maßnahmen darf man wirklich noch erwarten?
Über den Sommer hat sich nur wenig getan, dementsprechend ist die weitere Umsetzung der Pflegereform auch im Herbst nur schleppend angelaufen. Noch einmal zur Zusammenfassung: Im Mai wurden 20 Maßnahmen präsentiert, die im Idealfall noch 2022 umgesetzt werden sollten. Rund die Hälfte wurde mehr oder weniger ad hoc aus dem Hut gezaubert und Anfang Juli beschlossen, eine Einschätzung des Gesamtpakets und der gleich umgesetzten Teile gibt es hier nachzulesen.
Die bisher einzige Änderung im Herbst gab es im Bildungssystem, sie wurde im Oktober beschlossen: In Zukunft kann in höheren Schulen und Berufsschulen auf dem Weg zur Matura auch eine Pflegeausbildung absolviert werden. Ziel ist es also, eine formelle Bildung und eine Pflegeausbildung in einem zu erhalten. Ein Ausbildungsweg, den es schon in mehreren Pilotprojekten gegeben hat und als relativ erfolgreich bewertet wurde – auch die Branche findet diesen Versuch sinnvoll.
Die Pflegereform im Budget
Inhaltliche Reformen fehlen sonst aber noch, lediglich für den Angehörigenbonus gibt es eine neue Version in Begutachtung. Welche finanziellen Auswirkungen die wirklich haben soll, ist für diesen Unterpunkt aber unklar, denn mit der Vorlage des Budgets haben einige bisherige Ankündigungen einen finanziellen Rahmen bekommen.
Vorweg: Was nach viel klingt oder aussieht, muss nicht unbedingt viel sein. Die Pflegereform ist im Strategiebericht zum Budget mit insgesamt 1,7 Milliarden Euro über die nächsten Jahre beziffert, 0,8 Milliarden werden allein im Jahr 2023 dafür ausgegeben. Aber was bedeutet diese Summe?
Die zwei größten Blöcke der Reform sind das Entgelterhöhungszuschussgesetz und das Pflegeausbildungszweckzuschussgesetz. Mit ersterem wird das Gehalt für Pflegekräfte, Heimhelfer:innen etc. für zwei Jahre (2022 und 2023) um ein Gehalt im Jahr erhöht. Bis dato ist noch immer unklar, wie genau das abgewickelt werden soll, aber zwischenzeitlich sollen Pflegeberufe damit attraktiver gemacht werden. Anteil an der Pflegereform: 570 Millionen Euro. Oder: die Summe, die für Landwirt:innen in Zukunft jedes Jahr für freiwillige Umweltleistungen im Budget zur Verfügung steht.
Das erlaubt einen verbleibenden Spielraum von 274,8 Millionen Euro. Allerdings nicht ganz. 88 Millionen davon sind nämlich für das Pflegeausbildungszweckzuschussgesetz vergeben. Ursprünglich waren bei Beschluss im Juli 75 Mio. Euro anvisiert, damit Pflegekräfte in den Ausbildungszeiten eine monatliche Unterstützung erhalten. Damit auch zugehörige Berufe wie Sozialbetreuer:innen diesen Ausbildungszuschuss erhalten können, wird das Budget für 2023 für dieses Gesetz auf 88 Millionen Euro erhöht. Macht eine Restsumme von 186,8 Millionen Euro für die Pflegereform 2023.
Aber auch davon ist nicht mehr viel frei: Denn 30 Millionen Euro überweist das Sozial- dem Arbeitsministerium für Stipendien, die das AMS an Quereinsteiger:innen in der Pflege zahlen wird. Zur kurzen Einordnung: So viel hat Lionel Messi in einem einzigen Hoteldeal verloren. Warum genau das Sozialministerium diese Summe übernimmt, ist unklar. Denn theoretisch müsste es dann ja auch die Kosten für die Schulerweiterungen übernehmen. Hier wird es schließlich in Zukunft neue Schulformen geben, für 2023 sind diese mit 50 Millionen Euro budgetiert – allerdings aus dem Bildungsbudget. Zu den Reformkosten zählen sie trotzdem.
Der Spielraum ist knapp
Für tatsächliche Änderungen sind also 106,8 Millionen Euro übrig. Und hier gibt es theoretisch Spielraum, allerdings weiß keiner, welchen.
Bereits beschlossen sind nämlich einige Änderungen beim Pflegegeld – also dem Geld, das pflegebedürftige Menschen zur Unterstützung erhalten. Bereits beschlossen wurde, dass bei pflegebedürftigen Kindern das Kindergeld nicht mehr angerechnet wird, auch bei Erschwerniszuschlägen für Demenzkranke oder der Pflegekarenz gab es Änderungen. Was wir allerdings nicht wissen: wie viele Menschen von diesen Änderungen profitieren und auf welche Summen sich diese insgesamt belaufen werden.
Im Budget für 2023 ist von 90,8 Millionen Euro die Rede – mit dieser Summe ist allerdings auch der Angehörigenbonus abgedeckt. Bisher gibt es für diesen aber keine gesetzliche Basis. Im ersten Teil der Reform wurde er zwar präsentiert, aber auch kritisiert. So gab es bereits Jubelmeldungen, dass alle pflegenden Angehörigen ab Pflegestufe 4 künftig 1.500 Euro Bonus erhalten sollten – allerdings nahm die Regierung den Angehörigenbonus aufgrund einiger Kritikpunkte vor der Beschlussfassung wieder aus der Gesetzesvorlage. Selbst der ÖVP-Seniorenbund kritisierte im September, dass sich hier noch nichts bewegt hatte, schließlich sollen nun auch pflegende Pensionist:innen einen Angehörigenbonus beziehen können. Eine neue Version des Gesetzes liegt im Parlament, allerdings ist nicht klar, wann diese beschlossen werden soll.
Ebenso unklar ist, auf welche Auszahlungssumme sich dieser insgesamt belaufen wird. Besonders weil es keine verfügbaren Aufschlüsselungen gibt, wie viele Personen Pflegegeld für Kinder mit Behinderungen oder mit Demenz beziehen und weil es auch nur grobe Schätzungen gibt, wie viele Angehörige sich statistisch als pflegende Angehörige qualifizieren werden. Da diese Änderungen der Pflegereform ohne eine (veröffentlichte) Kostenanalyse und Wirkungsfolgenabschätzung durchgeführt wurden, kann man nur hoffen, dass es im Sozialministerium ordentliche Statistiken gibt und diese als Basis für die Budgetberechnung verwendet wurden.
Die große Lücke: 16 Millionen Euro für 24-Stunden-Pflege
Übrig bleiben also 16 Millionen Euro, die im nächsten Jahr für eine inhaltliche Reform zur Verfügung stehen. Wieder zum Vergleich: 16 Millionen Euro waren das Budget für Radwege des Landes Niederösterreich im Jahr 2022. Soweit das Budget Einblicke erlaubt, sind diese für die 24-Stunden-Betreuung eingeplant. Betreuung wohlgemerkt, weil es seit Jahren keinen Fortschritt gibt, inwiefern 24-Stunden-Betreuung als Pflege zu verstehen ist oder die als Betreuer:innen arbeitenden Personen tatsächliche Pflegekompetenzen erwerben können.
Herauslesen lässt sich jetzt, dass diese 16 Millionen für die Qualitätssicherung der 24-Stunden-Betreuung verwendet werden sollen, nach den Budgetdiskussionen ist die Erkenntnis aber eher ernüchternd. Die 16 Millionen sind doch nur eine „Anhebung der Zuwendungen angesichts der Teuerungswelle“.
Teil der Reform sollte aber wohl eine echte Veränderung der 24-Stunden-Betreuung sein. Schon bei Vorlage der Reform wurde das Auslassen kritisiert, bei der ersten Präsentation waren die Regierungsparteien und die Branche noch nicht einig, wie diese Reform aussehen sollte. Über die Sommermonate und den Herbst hinweg wiederholten sich die Hilferufe, sie wurden immer vehementer. Berechnet wurden im Juni noch 220 Millionen Euro Bedarf für eine echte Reform, die Teuerungswelle hat aber zumindest die Berichterstattung über die finanziellen Engpässe bei der 24-Stunden-Betreuung verstärkt. Mit 16 Millionen Euro für Qualitätsüberprüfungen wird wenig gerettet werden können.
0,8 Mrd. Euro in einem Jahr, wie im Budget angegeben, klingt nach viel. Doch über 80 Prozent davon sind für provisorische Überbrückungsmaßnahmen gebunden und verändern die Pflegelandschaft nur für zwei Jahre. Nachhaltige Reformen bedeuten aber nicht große Summen, sondern große Änderungen. Inhaltliche Veränderungen, echte Aufwertung, gegenseitige Anrechnung und bessere Arbeitsbedingungen. Die kleinen Teile, die in dieser Richtung passieren, sind aber immer noch zu kurzsichtig und berücksichtigen noch nicht einmal die bisherige Gesetzeslage.
Keine Reformbereitschaft in der Pflegebildung
So wird es bald Ausbildungen zur Pflegeassistenz und zur Pflegefachassistenz in Schulen geben. Wer sich von diesen Berufen weiterentwicklen und eine gehobene Pflegekraft werden will, muss aber noch einmal drei Jahre studieren. Obwohl das Berufsgesetz für Pflege – das sogenannte Gesundheits- und Krankenpflegegesetz – eine Anrechnung vorsieht.
Immerhin sind einige Ausbildungsinhalte ident, und wer im Krankenhaus oder Pflegeheim täglich in dem Beruf arbeitet, müsste nicht noch einmal für drei Jahre die gesamte Ausbildung durchlaufen. Das Berufsgesetz versucht hier also einen Anreiz zur Weiterentwicklung zu setzen und damit den Pflegeberuf attraktiver zu machen. Wer in der gehobenen Pflege ist, kann immerhin weiterführende Fachvertiefungen wie beispielsweise Intensivpflege machen oder eines Tages selbst in der Pflege unterrichten. Nicht zu vergessen natürlich, dass höherqualifizierte Menschen immer mehr verdienen als niedriger qualifizierte.
Theoretisch. In der Praxis muss nämlich jede:r Pflege(fach)assistent:in für diese Weiterbildung für drei Jahre mit der Arbeit aufhören. Denn nur, weil das Berufsgesetz eine Anrechnung vorsieht, macht das die Fachhochschulordnung noch lange nicht. Diese will der Bildungsminister allerdings nicht ändern – man könne sich die Änderung der Anrechnung ansehen, wenn die ersten Jahrgänge mit der neuen Pflegeausbildung in der Schule fertig seien. In der Zwischenzeit werden sich also nur wenige Pflegekräfte weiterbilden. Immerhin können es sich nicht viele Menschen leisten, einfach für drei Jahre lang nicht mehr zu arbeiten und trotzdem ihre Miete zu zahlen. Es ist eher anzunehmen, dass einige unzufrieden auf die „Quereinsteiger“ blicken werden, die ihre Ausbildung vom AMS bezahlt bekommen werden.
Die low-hanging-fruit, die niemand nimmt
Mit viel Hoffnung könnte man jetzt sagen, dass diese Leute vielleicht in die Ausbildung gehen und an den neuen Schulen unterrichten werden, wenn die Belastung im Arbeitsalltag zu hoch wird. Allerdings braucht es zur Lehrtätigkeit wieder eigene Ausbildungen, die nur Personen in der gehobenen Pflege erwerben können. Also genau die Berufsgruppe, zu der man sich am langwierigsten weiterbilden muss. Doch gerade was die Lehrkräfte angeht, gibt es kaum Pläne. Immerhin wird jetzt schon von einem „Notstand“ bei Pflegeausbildner:innen gesprochen. Personal aus den Krankenhäusern oder Altenheimen darf schließlich nicht an das Ausbildungssystem verloren werden, wie es heißt.
All diese Änderungen im Ausbildungsweg sind „Kleinigkeiten“, die sich ganz ohne Budget richten lassen. Der 24-Stunden-Betreuung würde das nicht viel helfen, aber der Republik würde es etwas zusätzlichen Spielraum im Umgang mit der Pflegekrise geben. Gerade hier – wo es nicht einmal Geld braucht – gibt es aber besonders wenig Bereitschaft und auch keine Ankündigungen. Die große Frage ist also: warum? Und was macht das mit der Pflegereform?
Bis zur großen Reform ist es noch ein weiter Weg
Durch die Vorgaben des Budgets weiß man relativ genau, wie die Rahmenbedingungen für die nächsten Jahre sind. Auch wenn Geld nicht der größte Faktor ist, die inhaltlichen Forderungen sind schon lange vor der aktuellen Reform am Tisch gelegen. Gehört wurden sie aber nicht nur nach der letzten größeren Reform 2015 kaum, sondern eben auch 2022 nicht.
Offen bleibt, ob die zuständigen Politiker:innen etwas aus den vergangenen Jahren gelernt haben und wir mit nachhaltigen Änderungen rechnen werden können. Die Präsentation des Budget weist noch nicht darauf hin. Denn dort passiert genau das Übliche: große Summen und wenig wirkungsvolle Reformen.