Die Staatsgläubigkeit in Österreich: Das Prinzip Hoffnung
Die Staatsgläubigkeit ist in Österreich enorm ausgeprägt. Gleichzeitig wird der Politik leidenschaftlich misstraut. Das geht nicht lange gut.
Die Krise ist die Zeit der Etatist:innen. Keine Herausforderung scheint zu komplex, zu international oder zu groß zu sein – die Rufe, „der Staat“ müsse doch endlich handeln, hallen immer lauter durch die Republik.
Interessenvertretungen und Medien geizen nicht bei Forderungen an „den Staat“, gerade in Krisenzeiten. Mit Steuergeld sollen Preise gedeckelt, Subventionen gezahlt, die Gasversorgung gesichert werden: Der Bundesregierung wird abverlangt, allerlei große Themen mit wenig Anstrengung zu lösen.
In Österreich ist diese Staatsgläubigkeit besonders ausgeprägt. Wann immer in den vergangenen Jahren eine Krise passierte, inszenierte sich die Politik als besonders rasche und großzügige Kümmerin. Nirgends wurde in der COVID-Pandemie großzügiger „geholfen“ als in Österreich. Ob das Geld auch wirklich mit Sinn und Zweck eingesetzt wurde, steht hingegen freilich auf einem anderen Blatt. Ob alle Lockdowns und Einschränkungen notwendig waren, ob die ökonomischen Schäden, die dann später mit teuren Subventionen ausgeglichen wurden, nötig waren, ebenso.
Vollkasko-Mentalität in der Krise
In der Energiekrise wähnen einige den Staat jetzt erst recht am Ruder. WIFO-Chef Gabriel Felbermayr attestierte jüngst eine „Vollkasko-Mentalität“: Die Vorstellung also, „der Staat“ müsse alle Widrigkeiten vollständig absichern. Und zwar unabhängig davon, ob Risiken fahrlässig eingegangen worden sind.
Sehr oft, wenn wir alle gefordert sind, wird so getan, als sei bloß „der Staat“ gefordert. Mit einer einfachen Floskel wird Verantwortung abgeschoben. Bereits in der Corona-Pandemie haben viele Politiker:innen und Kommentator:innen die Eigenverantwortung verunglimpft: Obwohl sie die Grundvoraussetzung für aktive Bürger:innen in einer liberalen Demokratie ist. Natürlich gilt es, bei allen Reaktionen auf eine schwere Krise zwischen Solidarität und Selbsthilfe abzuwägen.
Symbolbild, produziert mit DALL-E 2
Doch in Österreich sind die Appelle an die gesellschaftliche Solidarität oft zu kurz gedacht. Wenn alle allen alle Risiken absichern, dann zahlt eben auch die Frisörin für den Stromverbrauch einer Villa mit. Oder das Unternehmen, das vor fünf Jahren auf eigene, erneuerbare Energieproduktion umstellte, wird zwangsbeteiligt, die Fördermaßnahmen für den Betrieb im Ort mitzubezahlen, der das eben nicht tat.
Der Staatsglaube ist unerschütterlich
Selbst wenn Bund und Länder an allen Ecken und Enden des Energiesektors ganz aktiv tätig sind, machen die Etatist:innen vieler politischer Parteien gerne den Markt für ein Versagen verantwortlich. Für sie geht es schon als inhaltlicher Vorschlag durch, festzustellen, dass „der Markt“ ausgeschaltet werden müsse, weil gerade Preise explodieren. „Pausetaste für den Energiemarkt“ nennt die SPÖ etwa eine aktuelle Kampagne.
In der größten Energiekrise seit Jahrzehnten rücken nun seit Monaten staatliche Akteure aus, um zu suggerieren, dass man alles im Griff habe, obwohl kein anderes Industrieland sich derart in die Abhängigkeit Russlands hineinmanövriert hat.
Oder nehmen wir das Pensionsthema her. Das Thema treibt vielen Menschen die Sorgenfalten auf die Stirn, weil der demografische Wandel auf ein sehr starres System trifft. Doch es scheint in Österreich nur ein einziges Thema der Altersvorsorge zu geben: Um wie viel werden die gesetzlichen Pensionen angehoben? Keine Diskussionen gibt es hingegen um die dringende Reform der dritten Säule, darum, dass mehr Menschen auch eine Chance auf eine betriebliche Pension erhalten, indem das Pensionskassenmodell endlich weitere Kreise zieht. Wie private Akteure es künftig schaffen, für das Alter vorzusorgen, diese Diskussion findet in der Öffentlichkeit nicht statt.
Die aktuelle Situation wird noch ein wenig absurder. Österreich zählt nicht nur zu den Ländern mit dem größten Staatssektor. Die offiziell gemessene Staatsquote liegt mit 51,9 Prozent nicht nur sehr hoch. Doch zugleich ist das Politikvertrauen auf einem Tiefstand, und auch im internationalen Vergleich nicht sonderlich ausgeprägt. Österreich gehört mit Frankreich zu den Ländern, in denen der Thinktank der Industrienationen, die OECD, das geringste Vertrauen in die Regierung gemessen hat.
Und so kommt es in Österreich zu einer regelrechten Schizophrenie. Zum einen wird dem Staat sehr wenig zugetraut. Zum anderen wird dem Staat alles zugetraut. Bei der österreichischen Staatsgläubigkeit herrscht wie so oft das Prinzip Hoffnung vor. Die Krise ist eben die Zeit des Etatismus.