Die vielen Gesichter der Pflege
Die Pflegereform umfasst ein ganzes Maßnahmenpaket. Offen ist aber, welche Berufe genau damit gemeint sind. Darum besteht die Pflegedebatte immer aus mehreren Themen: Krankenhaus, Altersheim, 24-Stunden-Betreuung, pflegende Angehörige, Betreuung von Menschen mit Behinderung. Was genau gilt eigentlich alles als Pflege?
Pflege ist durch die Pandemie in der Öffentlichkeit ein definiertes Berufsbild geworden. Pflegekräfte, das sind die, die Covid-Patient:innen vom Rücken auf den Bauch drehen, die in mehreren Schichten Schutzkleidung versuchen, Menschenleben zu retten und als eine der wenigen Berufsgruppen auch in Lockdowns vor Ort Überstunden machen. Pflege ist aber nicht nur das – eine lange Reihe von Berufsbildern und Arbeitsmodalitäten fällt darunter.
Die gelebte Praxis ohne Definition
Sucht man Definitionen von Pflege, kommt beispielsweise diese Erklärung des International Council of Nurses:
„Pflege umfasst die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung, allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen, von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften, sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings). Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein. Weitere Schlüsselaufgaben der Pflege sind Wahrnehmung der Interessen und Bedürfnisse (Advocacy), Förderung einer sicheren Umgebung, Forschung, Mitwirkung in der Gestaltung der Gesundheitspolitik sowie im Management des Gesundheitswesens und in der Bildung.“
In Österreich sieht das in der Praxis aber ein bisschen anders aus. Wer nach einer offiziellen Definition fragt, die z.B. vom Ministerium ausgegeben wird, sucht vergebens. Im österreichischen System ist das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz die Orientierungshilfe dazu, was man sich unter Pflege alles vorstellen kann. Im Zuge der Pflegereform wurde auch eine eigene Info-Website zu Pflege geschaffen – allerdings fehlt auch dort eine richtige Definition.
Die internationale Definition legt großen Wert auf Eigenverantwortung und unterscheidet im Aufgabenbereich nicht zwischen krank und gesund. Förderung von Gesundheit und Verhütung von Krankheit sind deshalb wichtige Kernaufgaben, deshalb ist z.B. auch ein Mitwirken im Bildungsbereich vorgesehen. In der Praxis ist es bei uns aber oft so, dass nur jene Anspruch auf Pflege haben, die krank sind oder mit einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung leben.
Weit verbreitet ist immer noch das Bild, dass Pflege in Krankenhäusern und Altersheimen stattfindet und der Rest nicht sonderlich relevant ist. Abseits davon kommt manchmal noch die 24-Stunden-Betreuung in Diskussionen vor – diese ist aber nicht offiziell als Pflegeberuf geführt, was man daran erkennt, dass diese Betreuer:innen sich auch nicht in das Gesundheitsberuferegister melden müssen.
Was sind eigentlich „Pflegeberufe“?
Wer eine ehrliche Diskussion über Pflege führen will, muss sich also die Tätigkeiten und verschiedenen Aufgaben ansehen.
Pflege bedeutet mehrere Berufe im Krankenhaus: die Tätigkeit „am Patientenbett“ als Pflegeassistenz, Pflegefachassistenz oder im gehobenen Gesundheits- und Krankenpflegedienst, früher „diplomierte Pflege“ genannt. Auch im Krankenhaus haben Intensivpflegekräfte eigene Ausbildungen, OP-Pflegekräfte – die durch eine kürzliche Gesetzesänderung Konkurrenz durch die medizinischen Assistenzberufe bekommen – oder Kinder- und Kinderintensivpflegekräfte haben mehr Kompetenzen.
Und auch für Berufe in Altenheimen braucht es ganz eigene Settings. Theoretisch mögen Krankenhaus und Altenheim zwar ähnlich sein – da die einen Patienten aber kurzfristig krankheits- oder unfallbedingt pflegebedürftig sind, brauchen sie aber eine ganz andere Form von Pflege als jemand, der aufgrund seiner Gebrechlichkeit oder beispielsweise Demenz nur mehr im Altenheim leben kann.
Abseits davon entsteht dann die ganz große Bandbreite der Tätigkeiten: In der mobilen Pflege z.B. besuchen Pflegekräfte alte oder pflegebedürftige Menschen teilweise sporadisch, teilweise täglich in der Früh und am späten Nachmittag und helfen dann beispielsweise bei der Medikamenteneinnahme oder Körperpflege.
In der 24-Stunden-Betreuung gibt es nur ganz wenige Pflegeaufgaben, die übernommen werden dürfen: Trotzdem sind viele Personen wegen hohem Pflegebedarf darauf angewiesen. Schwierig am System ist zusätzlich, dass diese Betreuung nur selten nicht als Pflegeleistung zählt, von vielen aber nur über das Pflegegeld finanziert wird – das wiederum an gesundheitlichen Einschränkungen bemessen wird.
Neu sind jetzt die Community Nurses als Pilotprojekt, allerdings muss sich in der Praxis erst zeigen, was genau das Berufsbild ist. Soweit bisher ersichtlich, sind sie diplomierte Pflegekräfte, die Orientierung im Pflegesystem geben und präventiv beraten sollen. Was genau das in der Praxis bedeutet, ist wohl in jeder Pilotgemeinde ein bisschen anders und wird sich erst herausstellen müssen.
Nicht zu vergessen wären dann noch Palliativpflegekräfte und sämtliche Stufen in der Behindertenarbeit, die eben wieder sehr vielfältige Aufgabenbereiche haben. Ob beispielsweise eine Person mit einer Querschnittslähmung oder eine gerade erblindete Person betreut wird, bedeutet immerhin wieder komplett andere Tätigkeiten und Aufgabenbereiche – auch im Vergleich zu einer Person, die z.B. sprachunfähig und auf einen Rollstuhl angewiesen ist.
Warum es eine Pflege-Definition braucht
Zusammengefasst: Der Begriff „Pflege“ versucht, viele Berufe unter einen Begriff zu sammeln, die unterschiedliche Tätigkeiten ausüben und sich durch ihr Arbeitsumfeld, ihre Patient:innen, ihren Alltag und ihre Ausbildung unterscheiden. Was genau Pflege ist, kann man also nicht so einfach beantworten.
Dabei muss genau diese Frage am Beginn jeder Reform stehen – weil man eben entscheiden muss, welche Berufe von notwendigen gesetzlichen Änderungen abgedeckt werden sollen. Erst wenn man diese Frage beantwortet, weiß man, welche Reformen eigentlich nötig wären. Aber das steht auf einem anderen Blatt.