Eine kurze Geschichte der Russland-Freunde
Heute wird viel über das gute Verhältnis Österreichs, aber auch Deutschlands, zu Putin geschrieben. Wie ist es möglich, dass sich die heimische Politik so stark von Russland abhängig machen konnte, obwohl es kritische Warnungen gab? Gibt es eine Erklärung dafür, dass so viele Bewohner:innen, aber auch Politiker:innen westlich gesinnter Staaten hinter einem Staat stehen, der weit weg von demokratischen Idealen gerückt ist?
Diese Geschichte ist aber nicht brandaktuell. Im Gegenteil: Je nachdem, wann man den Start dieser Beziehungen datieren will, geht sie entweder in den 1990er-Jahren oder vor gut 100 Jahren los. Wir sehen uns beide an.
100 Jahre Freundschaft
In Österreich, aber vor allem auch in Deutschland, gab es in der Zwischenkriegszeit durchaus russlandfreundliche Tendenzen, da es ein gemeinsames Merkmal der beiden Gesellschaften gab: Den Antisemitismus. Das anti-semitische Werk „Die Protokolle der Weisen von Zion“ kam über Russland nach Deutschland, wo sie wesentliche Führungsfiguren des späteren Nazi-Regimes beeinflussten. In derselben Zeit gab es die Verschwörungstheorie, dass die Juden Deutschland und Russland gegeneinander aufhetzen würden.
Aber das war nicht alles, was die Deutschen der Zwischenkriegszeit mit dem neuen Sowjet-Russland gemein hatten – sie verband auch der Wille zur totalitären Herrschaft. Der Wunsch, eine neue Art der Zivilisation und mit ihr eine neue Art Mensch zu schaffen, war beiden gemein, genau wie ihre Tendenz, Dissens als Verbrechen anzusehen. Obwohl sich die beiden Weltanschauungen unterschieden, waren sie doch im Kern totalitäre Systeme mit einem gemeinsamen Feind: Dem westlichen Liberalismus. Nicht zufällig gab es vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten Bestrebungen eines „deutsch-slawischen Blocks“, der die gemeinsamen Merkmale beider Systeme übernehmen sollte: Anti-Individualismus, Autokratie und ein klares Bekenntnis zu Gewalt als legitimem Mittel der Politik.
Die ideologischen Überschneidungen der autoritären Systeme der Zwischenkriegszeit bereiteten auch den Weg für das Molotov-Ribbentrop-Abkommen, das zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion abgeschlossen wurde. Nur eine Woche, bevor Deutschland mit dem Angriff auf Polen den Zweiten Weltkrieg beginnen sollte, teilten sich Hitler und Stalin ihre Einflusssphären in Osteuropa auf – bis Hitler mit dem Angriff auf die Sowjetunion das Bündnis aufkündigte.
Sowjetische Propaganda-Bemühungen
Nach 1945 waren allerdings nicht alle Brücken verbrannt. Im Kalten Krieg waren sowohl das geteilte Deutschland als auch Österreich wichtige Einflussgebiete für die Sowjetunion. Schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützte die sie nicht nur sowjet-freundliche, sondern rechtsextreme Kräfte in Österreich und Westdeutschland, um die politische Debatte zu beeinflussen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kamen nicht nur in Ostdeutschland pro-sowjetische Gefühle auf. Diese äußerten sich auch im Westen einerseits durch die Kommunisten – aber andererseits auch durch jene, die für die Neutralität eintraten. In dieser sahen sie eine Lösung, die beiden Teile Deutschlands zu vereinen und als neutraler Block in der Mitte der beiden Systeme im Kalten Krieg zu überleben. Eine Argumentation, die uns in Österreich bekannt vorkommen könnte.
Symbolbild, produziert mit DALL-E 2
Apropos Österreich: Auch hier bemühten sich die Sowjets um Einfluss. Der Verband der Unabhängigen, Vorgänger der heutigen FPÖ, wurde unter anderem von Josef Heger unterwandert, der während des Zweiten Weltkriegs in ein Sowjet-Indoktrinierungslager gesteckt wurde. Nach seinem Ausschluss beim VdU gründete er die „national-demokratische Union“, wo sich einige frühere SS-Offiziere tummelten. Die Agenda schwankte zwischen Deutschnationalismus und totalitärem Kommunismus, betonte aber immer wieder auch die Wichtigkeit der österreichischen Neutralität.
„Soviet funding was used to cover publishing costs of far-right newspapers and information bulletins.“
Anton Shekhovtsov
Ein anderer Sowjet-Freund im Österreich der Nachkriegszeit war Adolf Slavik. Der frühere SS-Obersturmführer gründete die „nationale Liga“, um frühere Nazis aufzufangen – finanziert durch die Sowjet-Administration in Österreich. Slavik, dessen Standpunkte ebenfalls zwischen kommunistisch und nationalsozialistisch schwanken konnten, veröffentlichte Beiträge in seiner Zeitung, dem „Österreichischen Beobachter“. Der Sitz des Mediums befand sich im sowjetischen Sektor Wiens, im selben Gebäude, in dem auch das „Tagebuch“ veröffentlicht wurde – die Parteizeitung der KPÖ.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion kam bei vielen Rechten der Wunsch auf, die Beziehungen zu Russland wieder zu vertiefen. Das Problem war nur: Die Ultranationalisten, besonders interessant für rechte Politik, waren nicht an der Macht. Kurz befand sich Russland auf einem Pfad in Richtung Demokratisierung, und es gab einige relativ liberale Kräfte, die Russland auf eine Annäherung zu den liberalen Demokratien des Westens hinführen wollten.
In dieser Phase kommt es zur heute noch spürbaren Annäherung der rechten Parteien an Russland. Im Wesentlichen gehen viele dieser Bemühungen auf den rechtsextremen russischen Aktivisten Aleksandr Dugin zurück.
In den 90er-Jahren bemühte sich Dugin um die Kontaktaufnahme zu den Kräften, die er als „europäische Partner“ sah. Soll heißen? Jene, deren Ideologie sich mit seinen deckte: Anti-Liberalismus und Anti-Amerikanismus. In Workshops, Konferenzen und Diskussionsrunden trafen sich Repräsentanten der europäischen Rechten wie Alain de Benoist, Robert Steuckers, Claudio Mutti und andere. Mit dabei: Vertreter des russischen Militärs, ebenfalls Bekannte von Dugin.
Die Kontaktaufnahme folgte nicht nur strategischen Interessen: Dugin selbst interessierte sich für die zeitgenössischen Interpretationen des Rechtsextremismus. Erst später erkannte er, dass diese Verbindungen auch seinen eigenen Einfluss in Russland steigern konnten. Dieser Einfluss weckte auch das Interesse der europäischen Rechten: Sie hofften, ihre eigenen Ideen in Russland durch Dugin verbreiten zu können, um illiberale russische Politik in einer Zeit zu fördern, in der das Land sich eher in Richtung Demokratie bewegen sollte.
Die anti-liberale Allianz
Besonders interessant für die Rechten wurde Russland allerdings erst mit Vladimir Putin. Nach den pro-westlichen „Farbrevolutionen“, die zwischen 2003 und 2005 in post-sowjetischen Staaten stattfanden, vollzog das Land einen anti-amerikanischen und damit auch anti-westlichen Schwenk. Damit einher ging auch ein offenes Bekenntnis zu „traditionellen Werten“ und nationaler Identität. Dieser Trend verstärkte sich erneut nach den Anti-Putin-Protesten im Jahr 2011 – Proteste, hinter denen die russischen Eliten bis zu Putin hinauf die USA vermuteten.
Das Bild, das Russlands Politik von der Welt zeichnete, räsonierte in den Büros der rechten Parteien Europas. Mit Putins Kursänderung kam auch ein neuer Ton in die politische Debatte: Das Narrativ, es gebe eine Spaltung zwischen der „Elite“ und dem „Volk“, wurde von Russland unterstützt.
Spätestens mit dem Aufbau des russischen Propaganda-Apparats, vor allem nach dem Krieg in Georgien, sahen rechte Politiker:innen in den russischen Staatsmedien Erfüllungsgehilfen für die eigenen Wahlsiege. Wer einen Pro-Putin-Kurs vertrat, konnte sich sicher sein, in Medien wie RT und Sputnik vorzukommen – das Ping-Pong-Spiel zwischen den Rechten und Putins Medien etablierte sich zu einem wesentlichen Faktor in westlichen Wahlkämpfen. Dort wurden sie als Freiheitskämpfer inszeniert, die versuchten, die Gesellschaft vor den großen Bedrohungen ihrer Zeit zu retten: LGBTIQ, Ablehnung von Religion und Tradition, und dem Liberalismus an sich.
Und so erklärt es sich, dass nicht nur in Österreich die Putin-Freunde lange Saison hatten: Die Propaganda der Sowjets formte lange Zeit Politiker:innen, die Russland positiv gesinnt waren, und viele am politischen Rand verdanken den russischen Staatsmedien eine Plattform, die sie mit freundlichen Worten bezahlen. Die langjährigen Freundschaften haben sich bezahlt gemacht: In einer Abhängigkeit von Russland, die vermeidbar gewesen wäre.