EU-Politik: Die FPÖ unter gespaltenen Rechten
Während kaum ein Tag vergeht, an dem nicht die ÖVP gewollt oder ungewollt in den Schlagzeilen steht, scheint es derzeit um die FPÖ auffällig still zu sein. Auch sind angesichts der bevorstehenden Europawahlen keine Meldungen zu einem etwaigen Parteitag ihrer europäischen Parteienfamilie „Identität und Demokratie“ (ID) zu vernehmen. Das Gleiche gilt für die ebenfalls rechtsaußen stehende Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR): weder Skandale noch große Ankündigungen.
Bildlich gesprochen können sich angesichts aktueller Wahlprognosen die europaskeptischen bis europafeindlichen Parteien und Fraktionen entspannt zurücklehnen. Soziale Unzufriedenheit, individuelle Abstiegsängste, zusätzlich geschürte Ängste vor Überfremdung und politischer Vertrauensverlust bieten bereits den idealen Nährboden für rechtspopulistische Spielarten. Die Mehrheit im EU-Parlament dürften sie zwar nicht bilden, jedoch wird erwartet, dass sie zusammen als zweitstärkstes Lager nicht mehr so leicht aus wesentlichen europäischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen bleiben – was der liberal-demokratische „Cordon Sanitaire“ bisher sichergestellt hat. Die FPÖ könnte sogar erstmals in der österreichischen Geschichte mit fast 30 Prozent als Wahlsieger hervorgehen und die ÖVP nach der SPÖ auf Platz drei katapultieren.
FPÖ will große rechte Allianz
„Das ist schon fast mir zu viel“, scherzte der FPÖ-Spitzenkandidat Harald Vilimsky über die Wahlprognosen beim FPÖ-Neujahrstreffen letzten Jänner. Durchaus ernst gemeint ist unterdessen sein Anspruch, „so stark und groß wie möglich zu werden“, um in der Folge die eigenen anti-europäischen Pläne durchzusetzen.
Obwohl nicht Mitglied der eigenen Fraktion, wünscht sich Vilimsky den ungarischen Premier Viktor Orbán als zukünftigen Präsidenten des Europäischen Rates, also als Nachfolger von Charles Michel. Einen bitteren Vorgeschmack darauf könnte die erwartete EU-Ratspräsidentschaft Ungarns ab Juli geben, also unmittelbar nach den Europawahlen. Befürchtet wird ein neuer autokratischer Wind auf EU-Ebene.
In den letzten Jahren wurden im EU-Parlament zwar Forderungen laut, Ungarn – eben wegen massiver rechtsstaatlicher Probleme – aus diesem europäischen Halbjahresrhythmus auszuschließen. Realpolitisch ist das jedoch nicht möglich, weil ein derartiger Ausschluss im EU-Parlament einstimmig erfolgen muss. Und eine EU-Reform in Richtung konsequentes Mehrheitsprinzip, obwohl in vielen Bereichen bereits gängig, ist vorerst nicht in Sicht. Orbán, Vilimsky und alle anderen rechtspopulistischen EU-Abgeordneten halten vehement am Einstimmigkeitsprinzip fest und verbünden sich damit gegen rechtmäßige EU-Maßnahmen wie das Artikel-7-Verfahren oder Einfrieren von EU-Hilfsgeldern.
Die europäischen Rechten sind gespalten
Die frühere polnische PiS-Regierung unter Jarosław Kaczyński stand Orbáns Fidesz-Regierung stets zur Seite, wenn es um das Blockieren von EU-Recht und die Durchsetzung von nationalen Interessen ging. Wie Vilimsky wünschen sich daher viele einflussreiche rechtspopulistische Politiker:innen einen Zusammenschluss der beiden rechtsnationalen Fraktionen auf EU-Ebene – allen voran die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni, die partei- und länderübergreifend netzwerkt. Nach monatelanger Überredungskunst hat sie Orbán zur Zusage gebracht, ihrer Fraktion nach den Europawahlen beizutreten.
Einen fraktionsübergreifenden Zusammenschluss halten namhafte Expert:innen aber nicht für realistisch. Denn zu groß sind die Differenzen zwischen den und sogar innerhalb der beiden (anti-)europäischen Fraktionen ID und EKR bei zentralen Fragen, allen voran bezogen auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Während sich Meloni seit dem ersten Tag dieses Angriffskriegs zweifellos auf die Seite der Ukraine stellte, konnte sich umgekehrt Orbán, der nachweislich mit Putins Russland kooperiert und Geschäfte macht, offiziell zu keinem klaren Statement durchringen – außer dass er militärische Hilfen für die Ukraine ablehnt. Insgesamt lassen sich drei zentrale Positionen zu Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und damit gegen die liberale Demokratie in Europa feststellen: die pro-ukrainische, die ambivalente und die prorussische Position.
1. Die pro-ukrainischen Rechten
All jene rechtspopulistischen Parteien, die zuvor kein Naheverhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin gehabt hatten, geschweige denn von ihm in der Vergangenheit finanziert worden waren, haben sich seit Beginn dieses Kriegs am 24. Februar 2022 umgehend auf die Seite der Ukraine gestellt. Dazu zählen vor allem Melonis Fratelli d’Italia, die polnische PiS und die finnische Perussuomalaiset (Wahre Finnen). Sie alle sind Mitglieder der EKR-Fraktion, haben von Anfang an die humanitäre sowie militärische Hilfe für die Ukraine unterstützt und die rasch eingeführten EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen.
Bei Polen und Finnland kommt hinzu, dass beide Länder durch ihre geografische Lage seit Kriegsbeginn direkt betroffen sind: einerseits durch Fluchtbewegungen, andererseits durch die militärische Bedrohung. Dem raschen NATO-Beitritt Finnlands stimmten daher alle Parteien zu. Um gute Beziehungen mit allen europäischen und internationalen Stakeholdern wie EU und NATO bemüht sich Meloni trotz ihrer postfaschistischen Orientierung. Dadurch widerspricht sie nicht nur Orbáns Haltung, sondern auch jener ihrer eigenen italienischen rechtspopulistischen Koalitionspartner – der Lega und Forza Italia, die wiederum Hauptansprechpartner für Harald Vilimsky und die FPÖ sind.
2. Die Hin-und-Her-Rechten
Eine inkonsistente Haltung nehmen all jene Parteien ein, die vor dem Krieg ein gutes Verhältnis mit Russland und konkret Putin pflegten und sogar von diesem finanziert wurden – im gemeinsamen Interesse, das liberal-demokratische Europa zu schwächen. Der Grund für diese ambivalente, sprich opportunistische Position liegt in der Befürchtung, die eigene Bevölkerung aufgrund dieses eindeutigen Völkerrechtsbruchs seitens Russlands zu verlieren und durch die eigene Russland-Nähe letztlich öffentlich wie auch international geächtet zu werden.
Rechtspopulistische Parteien, die diese Positionen einnehmen, gehören unterschiedlichen europäischen Fraktionen an. Zur ID-Fraktion zählt u.a. die italienische Lega unter Matteo Salvini, der übrigens die EU-Sanktionen gegen Russland kritisierte. Zur wohlgemerkt bürgerlichen EVP wiederum gehört die Forza Italia unter dem verstorbenen Silvio Berlusconi, der der Ukraine die Schuld für den Kriegsausbruch gab und damit nur knapp einem Koalitionsbruch mit Meloni entkam. Zur ID-Fraktion gehören außerdem die niederländische PVV unter Geert Wilders und Marine le Pens Rassemblement National (einst Front National). Die spanische VOX unter Santiago Abascal ist wiederum Mitglied der EKR-Fraktion. Sie verhalten sich jetzt entsprechend vorsichtig bzw. opportunistisch, ganz im Gegensatz zur dritten Gruppe.
3. Die offen prorussischen Rechten
An ihrer unbeirrt prorussischen Position halten vor allem die zwei ID-Fraktionsmitglieder: die FPÖ unter Herbert Kickl und die AfD unter Alice Weidel. Dazu kommt noch die vorerst fraktionslose Fidesz von Orbán.
Auch sie haben in der Vergangenheit – teils bis heute – von ihrem persönlichen Naheverhältnis zu Putin wirtschaftlich profitiert. Signifikant an ihrer Position ist, dass sie nicht offen für den Kriegstreiber Russland, geschweige denn für Putin Partei ergreifen, sondern sich stattdessen ganz perfide als „Friedensbringer“ inszenieren und den Krieg als solchen ablehnen. Folglich blenden sie in öffentlichen Aussagen Russland völlig aus und schießen sich mit ihrer Kritik ganz auf die EU, die NATO, die US-Regierung und auf die eigene nationale Regierung ein, sofern sie in Opposition sind.
Demnach werden alle EU-Sanktionen gegen Russland wie auch alle Militärhilfen für die Ukraine lauthals abgelehnt. Besonders die FPÖ inszeniert sich hier als Bewahrerin der österreichischen Neutralität (die übrigens nur fremde Militärbasen auf eigenem Territorium und den Beitritt zu Militärbündnissen untersagt) und als „Friedenspartei“ mit „Brückenfunktion“. Verschwiegen wird dabei die verheerende jahrelange Gasabhängigkeit Österreichs von Russland, woran auch die FPÖ nicht unbeteiligt war: Der Vertrag der OMV mit der Gazprom wurde unter einer türkis-blauen Regierung bis 2040 verlängert.
Die rechtspopulistische Selbstzerstörung
Diese höchst unterschiedlichen Positionen allein zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verdeutlichen, dass alle rechtspopulistischen Parteien auf europäischer Ebene Innenpolitik betreiben und dabei höchst unterschiedliche Zielsetzungen zum Vorschein treten. Diese machen deren Fraktionen nicht gerade konsensfähig, zumal innerhalb einer Fraktion unvereinbare Positionen bestehen. Zu zersplittert sind ihre Einzelinteressen, sodass ihre Forderung nach einem „Europa der Vaterländer“ wie auch der Dauerbrenner Migration als kleinster gemeinsamer Nenner übrig bleiben.
Und nicht einmal beim Migrationsthema herrscht Einigkeit. Das zeigt die kürzliche Überwerfung zwischen den beiden ID-Mitgliedern Marine Le Pen vom RN und Alice Weidel von der AfD angesichts des rechtsextremen Geheimtreffens in Potsdam im November 2023. Dass der österreichische Identitären-Chef Martin Sellner bei diesem Treffen von „Remigration“, also Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund, sprach, löste landesweite und internationale Protestbewegungen aus, die auch Frankreich erreichten. Genau dort versucht sich Marine Le Pen als „Mutter der Nation“ für die nächsten Präsidentschaftswahlen in Stellung bzw. in die Mitte zu bringen. Rechtsextremistische Aktivitäten des Fraktionspartners AfD, übrigens von der FPÖ vollends unterstützt, schaden dabei dem eigenen nationalen Image.
Es wäre also nicht überraschend, wenn, wie so oft in der Vergangenheit, begonnene Kooperationen ein rasches Ende finden würden. Diesmal mit einem voraussichtlich starken Stimmenzugewinn, dennoch vor dem Hintergrund der eigenen systemimmanenten Sollbruchstelle. Diese verhindert von vornherein nachhaltige Koalitionen auf europäischer Ebene – und sorgt dafür, dass die Rechten wohl weiterhin gespalten und isoliert bleiben werden.