EU-Parlament: Was wählen wir eigentlich?
Die erste bundesweite Wahl dieses Jahres in Österreich wird am 9. Juni stattfinden – die Wahl zum Europäischen Parlament. Doch dafür, wie groß die Auswirkung der Beschlüsse des EU-Parlaments auf das tägliche Leben in der Union ist, ist das Wissen über die Wahl und die Funktion des Parlaments eher überschaubar. Dieser Text soll das ändern.
Über 448 Millionen Menschen leben in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Sie sind Anfang Juni aufgerufen, ihre direkte Vertretung innerhalb der Entscheidungsgremien der Union neu zu wählen – neben der EU-Kommission und dem Europäischen Rat, in dem Mitglieder der nationalen Regierungen sitzen. Bei der Europawahl werden 720 Abgeordnete gewählt werden, damit um 15 mehr als im ausgehenden Parlament und 31 weniger als vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Aber was genau ist das EU-Parlament und welche Macht hat es innerhalb der Union?
Das Parlament Europas
Im Unterschied zur Kommission und dem Europäischen Rat, die beide indirekt demokratisch legitimiert sind, ist das EP also die direkt gewählte Kammer. Die einzelnen Mitgliedsländer entsenden je nach Größe eine unterschiedliche Zahl an Abgeordneten, die sich im Parlament in mehrere übernationale ideologische Fraktionen zusammentun. Das bedeutet, dass im EU-Parlament nicht nach nationalen Grenzen, sondern nach weltanschaulichen Überlegungen abgestimmt wird – auch wenn es innerhalb der Fraktionen durchaus unterschiedliche Ansichten gibt.
Aktuell gibt es sieben Fraktionen im Europäischen Parlament sowie eine Reihe fraktionsloser Abgeordneter:
- Europäische Volkspartei (EVP): Die Vereinigung der christlich-konservativen Parteien. Die ÖVP-MEPs (Members of Parliament) sind in dieser Fraktion.
- Europäische Sozialdemokraten (S&D): Recht selbsterklärender Verband der sozialdemokratischen Parteien.
- Renew Europe (RE): Die Fraktion der Liberalen im EP.
- Grüne/Europäische Freie Allianz (G/EFA)
- Europäische Konservative und Reformer (EKR): Eine der zwei weit rechts stehenden Fraktionen im EP, die von EU-kritischen Parteien beschickt werden.
- Identität und Demokratie (ID): Die zweite EU-kritische Fraktion, die FPÖ-MEPs sind Teil dieser Gruppe.
- Die Linke im Europäischen Parlament (Linke)
Im aktuellen EP arbeiten die EVP, Sozialdemokratie, Renew Europe und die Grünen gemeinsam. Zusammen haben sie eine breite Mehrheit im Parlament, die allerdings auch notwendig ist, da die einzelnen Abgeordneten („Members of the European Parliament“, kurz MEPs) oft nicht mit der Mehrheit der eigenen Fraktion stimmen – ein klarer Unterschied zum österreichischen Parlament.
Das hat meistens mit der nationalen Einstellung zu gewissen Themen zu tun: Beispielsweise stimmten Anfang Februar die EVP, S&D und Renew Europe mehrheitlich für den Einsatz der modernen CRISPR-Gentechnik in der Landwirtschaft unter bestimmten Voraussetzungen. Doch bei den österreichischen MEPs stimmte nur Claudia Gamon von NEOS für das Gesetz. Hintergrund dafür ist die fast schon folkloristische Ablehnung jedweder Gentechnik in Österreich, und die Berücksichtigung dessen war den Abgeordneten von ÖVP und SPÖ wichtiger als die wissenschaftlichen Fakten.
Worauf sich die MEPs im Parlament einigen, hat auf jeden Fall enorme Auswirkungen auf das, was die EU tut und beschließt. Das Europäische Parlament als direkte Vertretung der europäischen Bürger:innen muss als eines der drei zentralen Gremien (Parlament, Kommission, Rat) allen Vorschlägen zustimmen. Das Parlament wählt auch den oder die EU-Kommissionspräsident:in und muss die vorgeschlagenen EU-Kommissar:innen der Mitgliedsländer absegnen.
Worum es bei der EU-Wahl 2024 geht
Die entscheidende Frage 2024 ist, ob eine funktionierende, stabile Mehrheit im EU-Parlament wieder zustande kommen kann, die die großen Herausforderungen der aktuellen Zeit ernst nimmt. Der Ukraine-Krieg und der Umgang mit Russland ebenso wie der Kampf gegen den Klimawandel und die Stärkung der EU in der internationalen Politik sowie im Handel werden das Parlament auch in der nächsten Periode massiv beschäftigen.
Die aktuellen Umfragen prognostizieren allerdings nur den zwei rechten Fraktionen EKR und ID mit einem Zuwachs an Mandaten. EVP und S&D dürften grob ihr Level halten, doch RE und den Grünen werden teilweise starke Verluste vorausgesagt, die ID könnte sogar den dritten Platz vor RE erringen. In einem fragmentierteren Parlament würde die Entscheidungsfindung noch schwieriger werden, weil die aktuelle Mehrheit der konstruktiven Kräfte schrumpfen würde und die interne Abweichungsrate einzelner MEPS in den Fraktionen ein Problem werden könnte.
Der EU-weit zu beobachtende Trend des Erstarkens von rechtspopulistischen Parteien, die Krisen ausnutzen (und sehr oft Pro-Putin-Positionen im Ukraine-Krieg einnehmen) spielt also auch in die EU-Wahlen hinein. Ob die Umfragen halten oder die konstruktiven Kräfte im EU-Parlament die Oberhand behalten können, entscheidet sich jetzt in den kommenden Wochen und Monaten bis zur Wahl.