Lohnnebenkosten: Ist das Sozialstaat, oder kann das weg?
Ein Gespenst geht um in Österreich: Lohnnebenkosten sollen gekürzt werden und damit der Sozialstaat zerschlagen oder unterwandert werden, warnen linke Kreise seit einiger Zeit. Der Österreichische Gewerkschaftsbund fährt aktuell eine Kampagne, die davor warnt, dass ohne Lohnnebenkosten das Weihnachts- und das Urlaubsgeld ebenso wie die Bezahlung im Urlaub oder Krankenstand wegfallen würde. Aber stimmt das? Eine neutrale Einordnung der Fakten – ohne Hysterie.
Rechenaufgabe: Wie viel Geld muss ein Betrieb in die Hand nehmen, damit Beschäftigte auf ein Durchschnittseinkommen kommen? Und wie viel bleibt den Beschäftigten davon netto? Das Ergebnis anhand des Durchschnittseinkommens eines kinderlosen Vollzeitbeschäftigten in Wien: Der Dienstgeber bezahlt 80.641 Euro im Jahr, von denen der Dienstnehmer 62.272 Euro brutto auf den Lohnzetteln sieht. Netto bleiben ihm davon 41.823 Euro im Jahr. Für eine Gehaltserhöhung um 1.000 Euro netto im Jahr muss der Arbeitgeber mehr als das Doppelte drauflegen: 2.431 Euro.
Was genau sind eigentlich Lohnnebenkosten?
Das heißt, zwischen dem, was ein:e Arbeitnehmer:in als Bruttolohn bekommt, und dem, was der Betrieb zahlen muss, gibt es eine große Lücke – und das sind eben die sogenannten Lohnnebenkosten. Sie bestehen zum überwältigenden Teil aus Sozialabgaben, die von den Betrieben für ihre Beschäftigten geleistet werden: insbesondere an die Pensionsversicherung, an die Arbeitslosenversicherung, an die Krankenversicherung, an die Unfallversicherung (in Summe fließen fast 22 Prozent als Dienstgeberanteil an die Sozialversicherung), an den Familienlastenausgleichsfonds (4,5 Prozent), für die Wohnbauförderung (0,5 Prozent), an Kommunalsteuer (3 Prozent).
Die Beschäftigten legen in etwa noch einmal so viel für die Pensions-, die Kranken- und die Arbeitslosenversicherung drauf, in Summe fließen gut 18 Prozent ihres Bruttos an die Sozialversicherung. Sie zahlen für die Wohnbauförderung (0,5 Prozent) und natürlich Lohnsteuer. Dazu kommen noch lohnabhängige Umlagen: Unternehmen zahlen die sogenannte Kammerumlage 2 an die Wirtschaftskammer, je nach Bundesland heuer zwischen 0,46 und 0,54 Prozent. Von den Arbeitnehmer:innen werden automatisch 0,5 Prozent ihres Bruttos an die Arbeiterkammer abgeführt.
Die vollständige Liste der Lohnnebenkosten für den Betrieb ist:
- Wirtschaftskammerumlage
- Wohnbauförderung
- Unfallversicherung
- Mitarbeitervorsorgekasse
- Kommunalsteuer
- Arbeitslosenversicherung (inkl. Insolvenzschutz)
- Familienlastenausgleichsfonds
- Krankenversicherung
- Pensionsversicherung
Für die meisten Beschäftigten ist die Existenz der Lohnnebenkosten ein Mysterium, denn sie scheinen auf dem Lohnzettel nicht auf, sie werden schon davor vom Betrieb an den Fiskus abgeführt. Für die Buchhaltung der Betriebe sind sie allerdings ein wichtiger Bestandteil der Fixkosten und werden bei der Frage berücksichtigt, ob neue Mitarbeiter:innen angestellt werden können, oder ob es sich finanziell nicht ausgeht. Was in der Aufzählung auch auffällt, ist, dass bei weitem nicht alle dieser Abgaben und Steuern arbeitnehmerbezogen sind – wie zum Beispiel die Kommunalsteuer oder der Familienlastenausgleichsfonds – trotzdem verteuern sie den Faktor Arbeit und machen es Betrieben schwerer, neue Mitarbeiter:innen anzustellen.
Die Mär vom Urlaubs- und Weihnachtsgeld
Auch wenn Gewerkschaft, Arbeiterkammer und die SPÖ behaupten, die Lohnnebenkosten würden das 13. und 14. Gehalt finanzieren, entspricht das nicht den Fakten. Denn das wird aus der Einkommensteuer mit anderen Tarifen abgeleitet. Die zugrunde liegende steuerliche Begünstigung eines Sechstels des Jahreseinkommens unterliegt einer anderen, niedrigeren Staffel als die allgemeine Einkommensteuer, es gibt komplizierte Zusatzregeln.
Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind also eigentlich ein niedriger besteuerter Teil des Nettolohns, der nur gesammelt zweimal im Jahr ausbezahlt wird. NEOS haben deshalb auch den Vorschlag gemacht, das 13. und 14. Gehalt auf den monatlichen Lohn aufzuteilen – um für mehr Transparenz und Wettbewerbsfähigkeit zu sorgen, nachdem die österreichische Lösung international kaum verbreitet ist.
Kann man Lohnnebenkosten kürzen?
In Österreich machen die Lohnnebenkosten 7,3 Prozent des BIP aus, der Schnitt in allen OECD-Staaten beträgt nur 4,4 Prozent. Ein Potenzial auf eine Senkung auf den OECD-Schnitt könnte schon zu einer Entlastung und mehr internationaler Wettbewerbsfähigkeit führen – vor allem bei jenen Lohnnebenkosten, die nicht arbeitnehmerbezogen sind.
- Ein gutes Beispiel ist die Wohnbauförderung. Nur die Hälfte des gezahlten Betrags geht nämlich direkt in den Wohnbau, die andere Hälfte fließt in die allgemeinen Budgets der Landesregierungen. Und es stellt sich die Frage, warum überhaupt der Wohnbau so finanziert werden muss und nicht aus den Budgets direkt.
- Einsparungs- und Entlastungspotenzial gäbe es auch bei der Arbeitslosenversicherung. Nicht in Form einer kompletten Streichung – ansetzen kann man bei der Höhe. Denn die Arbeitslosenversicherung ist in Österreich mehr als doppelt so teuer wie in Deutschland und dreimal teurer als in der Schweiz, und zwar ohne spürbaren Mehrwert für die Betroffenen.
- In Anbetracht der enormen Rücklagen, auf denen die Arbeiterkammer bzw. die Wirtschaftskammer sitzen, wäre auch eine Reduktion der Kammerabgaben eine Möglichkeit, dass mehr Netto vom Brutto bleibt, ohne dass der Service der beiden Kammern leiden müsste.
Und auch abseits davon stellt sich die Frage, warum über Lohnnebenkosten Dinge wie Kulturförderung oder der Familienlastenausgleichfonds querfinanziert werden müssen – nicht weil sie nicht wichtig sind, doch wäre es wohl weniger bürokratischer Aufwand, wenn sie aus dem allgemeinen Budget finanziert werden würden – und es würde den Spalt zwischen Brutto und Netto verringern.
Auf jeden Fall wäre eine ernsthafte Debatte über die Ausgestaltung der verschiedenen Lohnnebenkosten wünschenswert – abseits von Horrorszenarien des Sozialabbaus und eines sturen Beharrens auf dem Status quo. Zu tun gäbe es genug.