Österreichs Pensionssystem ist nicht nachhaltig
Die Pensionen sind langfristig nicht sicher.
Sorry, wenn dieser Beitrag etwas negativ beginnt – aber das ist zumindest die Kernaussage, die er mitteilen soll. Denn auf diese Aussage könnte man kommen, wenn man sich eine neue Auswertung ansieht, die Pensionssysteme miteinander vergleicht. Daher das Wichtigste gleich zu Beginn.
Konkret geht es um den Mercer CFA Institute Global Pension Index 2022, kurz MCGPI. Nicht catchy genug? Mercer ist eine internationale Beratungsagentur, die für ihre Rankings im Wirtschaftsbereich bekannt ist. Hierzulande diskutiert man vor allem die regelmäßigen Auswertungen, denen zufolge Wien die lebenswerteste Stadt der Welt ist. Die Bewertungen der Agentur gelten als durchaus seriös und als Richtschnur für die Beurteilung politischer Maßnahmen.
Im unsexy betitelten Pensionsindex – den wir für den weiteren Verlauf des Artikels einfach „den Index“ nennen werden –, vergleicht Mercer 44 Pensionssysteme, in denen 65 Prozent der Weltbevölkerung abgedeckt werden. Er sagt bei weitem nicht, dass Österreich das schlechteste der Welt hat, denn das wäre allein schon deshalb unseriös, weil eben nicht alle verglichen werden. Aber der heimischen Altersvorsorge werden auch nicht unbedingt Rosen gestreut: Denn in der Kategorie „Nachhaltigkeit“ belegt Österreich den letzten Platz.
Wie sich Österreichs letzter Platz errechnet
Der Index basiert auf dem gewichteten Durchschnitt mehrerer Kategorien.
- Angemessenheit – Wie „angemessen“ ein Pensionssystem ist, wird daran gemessen, ob es ein angemessenes Einkommen im Alter sichert. In die Bewertung fließen strukturelle Maßnahmen mit ein – z.B. wie Pensionskonten steuerlich behandelt werden, wie leicht die Einzahlung ist, ob es entsprechende Anreize gibt und wie das Pensions-Splitting im Fall einer Scheidung funktioniert.
- Nachhaltigkeit – Damit ist die langfristige Tragfähigkeit des Pensionssystems gemeint. Faktoren wie die demografische Entwicklung, die Möglichkeit zur Altersteilzeit, das Pensionsantrittsalter und Beschäftigungsquoten fallen in diese Kategorie.
- Integrität – Unter diesem etwas technischen Begriff werden das Vertrauen in das Pensionssystem und die wahrgenommene Fairness subsumiert – also die Frage, ob man für das, was man einzahlt, genug herausbekommt.
Daraus wird ein Gesamtwert errechnet, der das Pensionssystem standardisiert bewertet und einen Vergleich ermöglicht. Österreich ist dabei insgesamt auf dem unrühmlichen Platz 33 von 44 – und belegt in der Kategorie Nachhaltigkeit sogar den letzten Platz.
Wenn man sich die Detailwerte dieser Statistik anschaut, gibt es nicht nur schlechte Nachrichten. In Sachen Angemessenheit schneidet Österreich mit einem Wert von 69,8 Prozent sogar relativ gut ab und belegt Platz 21 von 44, liegt also minimal über dem Durchschnitt. Immerhin sind die Pensionsbeiträge für viele wirklich angemessen – die Pensionen werden 2023 wieder je nach Einkommen zwischen 5,8 und 10,2 Prozent erhöht.
Diese guten Werte führen aber unter anderem zum Problem: Denn die angemessenen Beiträge werden alles andere als nachhaltig finanziert.
Pensionserhöhungen sind nicht nachhaltig
In Österreich werden die Pensionen – ähnlich wie viele Sozialleistungen – jährlich valorisiert, also wertangepasst. Das passiert über den sogenannten Anpassungsfaktor, der sich z.B. aus der Inflation errechnet. Berechnungszeitraum ist dafür der August des Vorjahres bis Juli des aktuellen Jahres. So erklärt es sich auch, dass im Oktober 2022, mit einer Inflation von über 10 Prozent, die Pensionen für manche um „nur“ 5,8 Prozent erhöht werden: Die besonders hohe Inflation, die im Sommer und Herbst immer weiter gestiegen ist, wird sich im Anpassungsfaktor des nächsten Jahres niederschlagen.
In der politischen Praxis wird der Anpassungsfaktor aber eher als Richtlinie gesehen. Denn in den allermeisten Jahren werden die Pensionen deutlich mehr erhöht. Gerade bei Mindestpensionen in Krisenzeiten werden nur wenige etwas dagegen einzuwenden haben – aber es sind eben nicht nur diese betroffen. Auch Luxuspensionen steigen, genauso wie kleine Pensionen von Menschen, die nur wenige Jahre in Österreich gearbeitet haben.
Was jetzt zu tun wäre
Um nicht den Eindruck der Unfairness gegenüber dem heimischen Pensionssystem zu erwecken: Der Mercer-Bericht sagt durchaus dazu, dass Österreich kein besonderer Einzelfall ist. Vielmehr kämpfen viele Länder gerade mit einer stark alternden Bevölkerung und stehen damit vor einer Herausforderung, die sogar mehr als „nur“ eine Pensionsreform erfordern würde.
Wie viele Menschen arbeiten, wie viele Stunden sie arbeiten, wie viel sie verdienen und wie viel davon auf ihre Pension eingezahlt wird, ist eigentlich Arbeitsmarkt-, aber eben auch Sozialpolitik. Wenn man darüber nachdenken muss, ob man sich Kinder „leisten“ kann, wie man sie mangels Kinderbetreuung mit einer Karriere vereinbaren soll, welche Zukunftsperspektiven sie haben – all das ist auch mit den Pensionen verbunden. Und daher ein Riesenhaufen Arbeit, wie auch der Autor der Mercer-Studie weiß:
„Angesichts der hohen Inflation, der steigenden Zinsen und der zunehmenden Unsicherheit über die wirtschaftliche Lage übernehmen die Menschen seit einiger Zeit mehr Verantwortung für ihre Altersvorsorge. Trotz unterschiedlicher sozialer, politischer, historischer oder wirtschaftlicher Einflüsse in den verschiedenen Regionen sind viele dieser Herausforderungen universell. Auch wenn die notwendigen Reformen Zeit und sorgfältige Überlegungen erfordern, müssen die politischen Entscheidungsträger alles in ihrer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass die Altersversorgungssysteme unterstützt, entwickelt und gut reguliert werden.“
David Knox, Hauptautor der Studie
Zum Glück gibt Mercer im Bericht auch konkrete Empfehlungen, wie das österreichische Pensionssystem verbessert werden könnte. Und diese laufen nicht darauf hinaus, dass die Pensionen gar nicht mehr erhöht werden dürfen – im Gegenteil! Denn die Anhebung der Mindestpension wäre etwa sinnvoll, um in Sachen Angemessenheit und Integrität weiter aufzuholen. Als weitere Maßnahmen empfiehlt Mercer z.B. die Einführung eines Mindestpensionsalters, die Erhöhung des Deckungsgrades von Arbeitnehmer:innen in der betrieblichen Altersvorsorge, mehr Anreize für (freiwillige) Beschäftigung nach dem Eintritt ins Pensionsalter oder eine Regelung zum Schutz der Pensionsinteressen beider Parteien bei einer Scheidung.
Wenn immer weniger Beitragszahler:innen immer mehr Pensionist:innen den Ruhestand bezahlen müssen, liegt auf der Hand: Das österreichische Pensionssystem in seiner jetzigen Form ist alles andere als nachhaltig. Der Mercer-Bericht ist nur ein Hinweis von vielen – und sollte von der Bundesregierung als Aufruf gelesen werden, entsprechende Reformen auszuarbeiten.