Pflege: Eine Frage des Geldes?
Die Zustände in der Pflege sind bekannt: Geringe Bezahlung, gerade beim Einstieg, und das in einer Branche, in der überwiegend Frauen arbeiten. Berichte zur Pflege, die älter als zwei Jahre sind, brachten überwiegend Nachrichten von Krankenhausbetreibern und Interessenverbänden, die Gehaltsabschlüsse und Kollektivverträge kommunizierten. Durch die Pandemie hat die Debatte über Gehälter aber richtig Fahrt aufgenommen: Täglich gibt es Informationen über den Personalnotstand, regelmäßig werden diverse Boni oder Erhöhungen gefordert. Aber ist das wirklich so notwendig, oder wird hier versucht, die Gunst der Stunde zu nutzen?
Gehalt als Feigenblatt
In vielen Branchen sind die Gehälter über Kollektivverträge geregelt. Bei der Pflege beginnt beispielsweise der Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft in der niedrigsten Verwendungs- und Gehaltsstufe bei 24.000 Euro Jahreseinkommen brutto. In den oberösterreichischen Ordensspitälern liegt es bei 25.354 Euro, beim Wiener Gesundheitsverbund bei 30.044 Euro. Theoretisch kein so schlechtes Einstiegsgehalt – immerhin liegt bundesweit das mittlere Bruttojahreseinkommen bei 30.257 Euro. Berücksichtigt man nun, dass man mit der Zeit in den Gehaltsstufen weiter vorrückt und es besonders in der Pflege hohe Zuschläge für Überstunden, Nachtdienste etc. gibt, stellt sich die Frage, warum so viel über die Gehälter in der Pflege gesprochen wird und warum es immer wieder Berichte mit viel niedrigeren Zahlen gibt. Denn selbst für Pflegehelfer:innen liegt das Durchschnittsgehalt mittlerweile bei 30.000 Euro, wie aus einigen Ausschreibungen hervorgeht.
Aber warum dann der Ruf nach höherer Bezahlung? Wenn es eine einfache Frage der Politik wäre, könnten die Bundesländer als Betreiber von Krankenhäusern und Pflegeheimen die Gehälter einfach erhöhen und sich die Betriebsabgänge, die deshalb entstehen, beim Finanzausgleich einfach vom Bund zurückholen – die öffentliche Hand hätte die Gehälter sehr schnell erhöht. Aber der Ruf nach Gehältern bietet eben nur eine Scheinlösung. Das ist der Weg, den auch die Bundesregierung wählt.
Pflege als Schwerarbeit?
Abseits der Gehaltserhöhung fordert die SPÖ beispielsweise auch den Zugang zur Schwerarbeiter:innenpension für Pflegekräfte. Ein theoretisch naheliegender Gedanke, immerhin müssen Patient:innen oft gehoben werden. Mit dem Alter wird dieser Teil der Arbeit natürlich schwieriger. Als Schwerarbeit werden aber schon einige Pflegejobs klassifiziert – bei dieser Forderung geht es also nur um die Pensionsbestimmungen. Und für die wäre es nachhaltiger, wenn über einen längeren Verbleib im Arbeitsleben nachgedacht werden würde. Dafür wäre ein Umdenken notwendig.
Denn körperliche Arbeit ist anstrengend. Viele Pflegekräfte verbringen aber nicht ihre gesamte Berufszeit in einer Kategorie von Pflegearbeit und erledigen diese, sondern oft werden bürokratische und Verwaltungsaufgaben übernommen oder sie wechseln in den – aktuell auch unterbesetzten – Ausbildungspfad. Diese Vielfalt der einzelnen Aufgaben sollte man dementsprechend auch abbilden. Natürlich wird nicht jede Person einen Weg durch alle Pflegeberufe durchmachen, nach dem ersten Bandscheibenvorfall ins Sekretariat wechseln und irgendwann selbst als Lehrkraft tätig werden – aber körperliche Gesundheit kann als integrierter Teil des Arbeitslebens betrachtet werden, Bewegung und Prävention bei körperlichen Arbeiten immer auch als langfristige Vorsorge mitgedacht werden, um gesundheitliche Schäden zu reduzieren.
Lösungen, die auf die Pension abzielen, haben auch wenig mit der Gehaltsdebatte zu tun: Sie führen nur zu mehr Pensionsbezieher:innen, und das wiederum führt zu niedrigeren Bezügen. Erst recht in der Pflege sollte die Gesellschaft sehen, dass lange Gesundheit und Integration ins Arbeitsleben wichtige Aspekte des nachhaltigen Gesellschaftsdenkens sind. Andernfalls entwickelt sich der Pflegebedarf automatisch so weiter, dass die Reform ohnedies gleich aufgegeben werden kann, weil der Bedarf so steigt, dass er unmöglich gedeckt werden kann – egal welches Gehalt geboten würde.
Gehaltserhöhung als Reformversuch
Was also tun in Sachen Pflegegehälter? Für zwei Jahre sollen Pflegekräfte laut Gesundheitsminister Rauch eine Gehaltserhöhung erhalten. Allerdings keine echte Erhöhung, die jeden Monat zur Verfügung steht, sondern ein zusätzliches Monatsgehalt pro Jahr. Das führt zu mehreren Problemen:
- Im Alltag haben Pflegekräfte nicht mehr Geld zur Verfügung, sondern nur einmal im Jahr eine Art „Bonuszahlung“.
- Gehaltserhöhungen sind eigentlich Kollektivvertragsmaterie. Eine Steuerung durch die Bundesregierung ist zwar theoretisch möglich, wäre aber wohl über branchenspezifische Mindestlöhne einfacher umzusetzen.
- Die Bundesregierung will diese Gehaltserhöhung übernehmen und hat dafür 520 Millionen Euro versprochen. Wie diese ausbezahlt werden soll, ist aber unklar.
Am schwierigsten wird aber nicht die kurzfristige, sondern die langfristige Umsetzung. Für Landeskrankenhäuser und -pflegeheime können die Kollektivverträge angepasst werden, sodass diese Gehaltserhöhung von einem Bonus zu einer tatsächlichen Gehaltserhöhung wird – allerdings müssen dafür die Bundesländer an Bord geholt werden. Komplizierter wird das bei privaten Einrichtungen oder der mobilen Pflege, da hier eine Abwicklung über viel mehr Stakeholder erfolgen muss. Und: Die Gehaltserhöhung wird vom Bund nur für zwei Jahre übernommen. Gesundheitsminister Rauch sagt dazu zwar, dass eine derartige Erhöhung nicht zurückgenommen werden kann, weil die Länder sich das „nicht trauen“ würden, aber genau dabei wird wieder einmal zu kurzsichtig gedacht.
Was passiert, wenn die Länder die Zahlung nicht in den Finanzausgleich verhandeln und wieder kürzen müssen? Oder die Länder erhalten die Erhöhung über den Bund in zwei Jahren über den Finanzausgleich regulär ausbezahlt, und private Altenheime oder gemeinnützige Anbieter für mobile Pflege können sich das 15. Gehalt nicht leisten? Dann wird der Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte vom Geld gesteuert, und die Landeseinrichtungen bekommen mehr Personal. Für ältere Menschen reduziert das aber die Auswahl, wie Pflege verfügbar ist, und es werden mehr Menschen in Heime gedrängt. Wo die Arbeitsbelastung sicher nicht weniger wird – und die strukturelle Reform noch immer fehlt.
Es bleibt also spannend, was die jetzige „Reform“ in diesem Bereich wirklich bringt, ob sie wirklich hält – und ob sie in zwei Jahren noch zu spüren sein wird.