Pflege: Lehre ohne Zukunft
Die Pflegelehre wird in der Debatte über den Personalnotstand immer wieder als potenzielle Lösung angepriesen und soll ein wichtiger Bestandteil der Pflegereform werden. Aus anderen Ländern lässt sich aber klar ableiten, dass eine niedrigere Einstiegshürde keine Lösung für den Personalmangel ist.
Mit einer Lehre hat man kürzere Ausbildungszeiten und jüngere Personen, die in den Berufsalltag einsteigen – und damit früher mehr Personal gegen den Pflegemangel. Der Faktor des Alters stimmt, aber die Ausbildungszeit würde aktuellen Ankündigungen zufolge sogar länger werden. Die Berufsbilder in der Pflege haben bereits kurze Ausbildungszeiten: zwei Jahre für die Pflegefachassistenz, ein bis zwei Jahre für die Pflegeassistenz und drei Jahre Fachhochschule für die gehobene Pflege.
Eine Lehrausbildung benötigt durchschnittlich drei bis vier Jahre und würde damit die Ausbildungszeit gar nicht verkürzen. Die verbleibende Frage ist also: Wer macht eine Lehre unter welchen Umständen, und wie lang bleiben diese Personen anschließend im Beruf?
Belastung für die Psyche
Bereits zu Beginn der Regierungsperiode wurde das Konzept der Pflegelehre ins Auge gefasst. Nach der ersten Covid-Welle im Mai 2020 wurde von Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und dem damaligen Gesundheitsminister Rudolf Anschober eine Pflegelehre angekündigt, schon im Schuljahr 2021/ 2022 hätte diese starten sollen. Aus Bundesländern und teilweise auch aus der Branche kam heftiger Protest, eine Ausbildung ab einem Alter von 15 Jahren sei keine Lösung, sondern führe durch die Arbeit am Menschen und die frühe Konfrontation mit Wunden, Krankheit oder dem Tod bei den Jugendlichen oft zu mehr emotionaler Belastung.
Bei der Pflege darf man schließlich nicht vergessen: Das Bild von der Hilfe am Menschen ist im Alltag oft nur eine Wunschvorstellung. Die Kompetenzen sind strikt zugeteilt, jedes Berufsbild darf nur bestimmte Dinge tun. Bis auf die Zeit, wo zu wenig Personal da ist: Wenn am Abend kein Küchenpersonal mehr im Krankenhaus ist, müssen Pflegekräfte Abendessen vorbereiten, wenn Patient:innen schlecht drauf sind, werden sie auch schnell einmal mit Zimmermädchen verwechselt, und ohne Physiotherapeut:innen müssen Pflegekräfte die Mobilisierung in und aus dem Bett übernehmen. In Altenheimen kommt noch die tägliche Belastung dazu, die Patient:innen in Pflegeheimen wechseln schließlich nicht so oft, und langfristige Beziehungen stellen eine zusätzliche emotionale Belastung dar. Allerdings gibt es oft keine Möglichkeit, sich für die persönliche Komponente Zeit zu nehmen, denn andere Bewohner:innen benötigen auch Hilfe.
Während der Pandemie wurden Personalschlüssel – die in jedem Bundesland anders sind – ausgesetzt, durch die vielen Absonderungen und Krankenstände hätten sie auch gar nicht eingehalten werden können. Das erhöht den Arbeitsdruck und macht den Alltag noch anstrengender. Infolgedessen stellt sich die Frage: Ist es klug, gerade zu so einem Zeitpunkt Jugendliche für eine Lehre in Krankenhäuser und Altersheime stecken zu wollen? Besonders wenn das vorhandene Pflegepersonal ohnehin überarbeitet ist und deshalb wohl kaum viele Kapazitäten für Erklärungen und Anleitungen hat?
Gerade Jugendliche sind emotional besonders von der Pandemie betroffen und sollten daher gerade in Corona-Zeiten bei der Berufsauswahl im Gesundheitsbereich jegliche Unterstützung bekommen, um gut informierte und durchdachte Entscheidungen zu treffen. Direkt nach der Pflichtschulzeit in den täglichen Ablauf eines Krankenhauses eingebunden zu werden, könnte dafür eine Herausforderung darstellen. Schließlich erzählen viele Zivildiener noch Jahre später traumatisiert von Unfällen oder der ersten Leiche, die sie gesehen haben, und wie wenig emotionales Rüstzeug für diesen Arbeitsalltag sie bekommen haben. Das System sollte aus diesem Aspekt lernen – und nicht noch jüngere Menschen in diese Situationen bringen.
Vorbild Schweiz
Derartige Argumente sollen aber natürlich nicht unbelegt bleiben. Ein häufig zitiertes Beispiel, um die Pflegelehre zu promoten, ist die Schweiz. Dort hat die Pflege unter allen Lehrberufen 2018 die zweitmeisten Jugendlichen angezogen. Dennoch arbeiteten fünf Jahre nach dem Lehrabschluss nur 26 Prozent als Fachperson Gesundheit, rund 20 Prozent der Absolvent:innen sind fünf Jahre nach Abschluss gar nicht mehr im Gesundheitsbereich tätig. Erfahrungsgemäß steigt dieser Anteil mit verstreichender Zeit, in der Schweiz werden für sieben Jahre nach dem Lehrabschluss 25 Prozent erwartet. Die Pflegelehre bringt also Personen in die Pflege, macht den Beruf aber langfristig nicht attraktiver.
Zusätzlich benötigt eine Lehrausbildung ein stationäres Setting, allerdings leiden Krankenhäuser und Altenheime in den letzten Jahren bekanntermaßen unter Personalmangel. Die Idee der Lehre ist allerdings nicht, in ein Arbeitsumfeld gesteckt zu werden und plötzlich alle Aufgaben zu einem niedrigeren Gehalt erfüllen zu können, als andere es erhalten. Stattdessen benötigt es Anleitung und Aufsicht, also ausreichend Personal. Nachdem dieses aber schon jetzt fehlt, berichtet Pflegepersonal teilweise von verwehrten Fortbildungen. Einerseits, weil sie in den bisherigen Diensten nicht ausfallen können, und andererseits, weil es nicht genügend ausbildendes Personal dafür gibt.
Aufwertung als Lösungsansatz
Andere Länder haben ebenso damit zu kämpfen. In Deutschland gibt es für Pflegeberufe z. B. eine verhältnismäßig niedrige Eintrittsbarriere, allerdings sind Praktika weitaus besser bezahlt als in Österreich, wo die mangelnde Bezahlung zum Berufseinstieg ein großes Problem ist. Doch auch dort werden Positivbeispiele aus anderen Ländern gesucht, da der Pflegekräftemangel ein immer größeres Problem wird.
Internationale Vergleiche sind zu den Ergebnissen gekommen, dass eine Einbettung in das reguläre Bildungssystem von Vorteil sein kann und in anderen Ländern der Anteil an akademischen Pflegekräften bei 45 bis 100 Prozent liegt. Auch was die Lösungswege angeht, zeigt sich ein internationaler Trend, der viele Länder eint: Rekrutierung aus dem Ausland, Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Ausbau der Aus- und Weiterbildung auf Hochschulniveau. Die Debatte über eine Pflegelehre ist also eine Maßnahme, die diesen Trends genau entgegensteht und gemessen an den Schweizer Vorbildern wohl auch keine langfristige Erleichterung darstellt.
Langfristig scheint es an internationalen Vorbildern gemessen ein guter Weg zu sein, die Pflege in reguläre Ausbildungswege ohne freie Jahre dazwischen zu integrieren – also ohne lange Pausen zwischen Schulabschluss und Start der Pflegeausbildung. In vielen Bundesländern gibt es bereits Schulversuche dazu, teilweise auch mit Bundesschulen. Meist sind diese Versuche auf eine Basis für Gesundheits- oder Sozialberufe ausgerichtet oder enden mit Matura und dem niedrigsten Ausbildungsstand.
Bei den Projekten wird oft betont, wie wichtig die psychische Begleitung ist und dass kein Arbeitszwang direkt nach dem Abschluss aufgebaut werden soll. Nach Schulversuchen über Höhere Lehranstalten für Wirtschaft (HLW) hat Gesundheitsminister Johannes Rauch angekündigt, das Modell in den Regelbetrieb zu überführen und diesen Plan auch in der neuen Reformvorstellung bestätigt. Unklar ist noch, über welche Schulformen diese Überführung in das Regelschulwesen ablaufen soll – immerhin wies das Gesundheitsministerium die Zuständigkeit von sich und verwies auf das Bildungsministerium.
Eine grundsätzliche Änderung im System wird aber nötig sein. Denn solange sich niemand für zuständig erklärt, wird es weiterhin Wildwuchs bei den Ausbildungsversuchen geben. Über das Bildungsministerium liefen vor kurzem noch mindestens fünf verschiedene Ausbildungsmodelle. Das Beispiel aus dem Burgenland, das Rauch nun promoten will, taucht in dieser Liste nicht auf, und in Niederösterreich wurde in der gleichen Woche ein neues Modell vorgestellt, mit dem auch die Pflegeassistenz und Pflegefachassistenz an Fachhochschulen gelehrt werden.
Sollte das Ministerium nicht in der Lage sein, hier einen Überblick zu schaffen, wird das System damit noch weiter zersplittert, und junge Menschen, die einsteigen wollen, werden kaum einen Überblick bekommen. Damit ein Beruf spannend sein kann, braucht es aber klare Berufsbilder und definierte Ausbildungswege. Andernfalls wird eine Pflegelehre nur einen zusätzlichen Weg in einen Beruf und bald wieder hinaus bedeuten. Damit wird der Pflegekräftemangel aber definitiv nicht behoben.