Prävention im Nachhinein
Die Bundesregierung kündigt mehr Budget für Gewaltschutz an. Das ist ein richtiger Schritt, aber als einzige Maßnahme zu wenig – denn echte Frauenpolitik setzt auch an, bevor Gewalt passiert. Ein Überblick, was man tun könnte.
In einem sind sich alle Parteien einig: Kampagnen gegen Gewalt an Frauen – v. a. sexuelle Gewalt – sind wichtig. Die große Frage ist, wie Gewaltschutz aussehen soll.
Sieht man sich das Budget an, gibt es dafür nur eine Antwort: Gewaltschutz passiert, wenn Gewalt passiert ist. Denn die Bundesregierung erhöht jedes Jahr das Budget für Gewaltschutz, aber Prävention kommt nach wie vor nicht vor. So ist beispielsweise für das Jahr 2023 vorgesehen, dass mehrere Punkte finanziert werden:
- Start- und Übergangswohnungen
- Frauen- und Mädchenberatungsstellen
- Gewaltschutzzentren und Interventionsstellen
- Opferschutz, Gewaltprävention und Täterarbeit
- Familienberatungsstellen
- Kinderschutzzentren
- Gewaltprävention bei häuslicher Gewalt
Insgesamt 19,7 Millionen Euro stehen in mindestens drei Ministerien für diese Maßnahmen zur Verfügung. Gemeinsam haben sie alle aber nur eines: Sie setzen an, wenn es bereits zu Gewalt gekommen ist. Ganz dezidiert im Frauenbudget sieht man da, dass es Geld für Gewaltschutzeinrichtungen, für Beratungs- und Betreuungseinrichtungen und darunter spezifisch Schutz- und Übergangswohnungen. Also Anlaufstellen, an die Frauen sich wenden können, wenn ihr Partner gewalttätig wurde.
An diesem Punkt arbeiten Polizei und Frauenhäuser zusammen, um betroffenen Frauen Sicherheit zu geben, je nach Situation eine Beziehung zu beenden und selbstständig zu werden, damit Gewaltspiralen enden. Oder auch daran, dass Täter nicht mehr gewalttätig werden. Beides mag gut für die betroffenen Frauen sein, hilft aber nicht gegen die gesellschaftliche Problematik, dass Männer gegenüber Frauen gewalttätig werden.
Bis Gewalt passiert, schaut die Politik zu
Gewalt gegen Frauen geht aber immer noch nicht auf individuelle „Beziehungsdramen“ zurück, sondern basiert auf gesellschaftlichen Problemen. Für die kann man Ausreden und Sündenböcke suchen – oder sich die Ursachen anschauen.
Am Gewaltschutzgipfel 2022 präsentierten gleich vier Minister:innen die wichtigsten Erkenntnisse zu Gewalt gegen Frauen. Hier ein kurzer Abriss, um aufzuzeigen, wo die Regierungsparteien zu dem Thema stehen und welche Hebel bewegt werden sollen:
- Frauenministerin Raab betonte die Relevanz der 16 Tage gegen Gewalt, deren Kampagne im Gleichbehandlungsausschuss erst beschlossen wurde, nachdem sie begonnen hat. Und dass Täter mit Migrationshintergrund überrepräsentiert sind.
- Justizministerin Zadic betonte, dass jede dritte Frau physisch, psychisch oder sexuell misshandelt wurde. Gewaltprävention setzt beim Opferschutz an – echte Präventionspolitik müsse Gleichstellungspolitik sein.
- Innenminister Karner betonte, dass Polizei und Justiz besser zusammenarbeiten würden und Betretungsverbote eine wichtige Rolle in der Verhinderung von Delikten spielten.
- Sozialminister Rauch legt einen Fokus auf Täterarbeit aus dem Sozialbudget und hat eine Sensibilisierungskampagne für Männergewalt gestartet.
So weit, so breit gestreut. Gemeinsam ist den meisten dieser Unterpunkte aber, dass sie erst ansetzen, wenn es bereits zu einzelnen Gewaltdelikten gekommen ist.
Die Fallkonferenzen zwischen Polizei und Gewaltschutzeinrichtungen wurden jahrelang auf Sparflamme betrieben, obwohl eine umfassende Betreuung betroffenen Frauen besser hilft, aus Gewaltbeziehungen auszubrechen. Auch psychosoziale Gerichtsbegleitung hilft Opfern dabei, nicht lebenslang in Traumaspiralen gefangen zu bleiben, sondern wieder ein selbstbestimmtes Leben in Unabhängigkeit zu führen. Die Budgeterhöhung aus dem Sozialministerium und die Sensibilierungskampagne setzen hier noch am frühesten an und sollen Männer darauf aufmerksam machen, dass Gewalt gegen Frauen kein „Kavaliersdelikt“ ist.
Gesellschaftlicher Wandel als Anstoßfaktor
Die große Frage ist also: Wie kann das Verständnis für ein Kavaliersdelikt zu einer gesellschaftlichen Verurteilung von Gewalt werden? Frauenministerin Raab hat beispielsweise beim Gewaltschutzgipfel davon gesprochen, dass patriarchale Rollenbilder an der Wurzel gepackt werden müssen. In der Praxis würde das bedeuten: Frauen werden nicht als Mütter, Haushälterinnen und Pflegekräfte gesehen, sondern als Innovationstreiberinnen, Fachkräfte, berufstätige Mütter und gleichberechtigte Partnerinnen im Haushalt.
Als Familienministerin könnte Raab hier auch ansetzen und den Ausbau der Kinderbetreuung weiter vorantreiben. So könnten Frauen echte Wahlfreiheit haben und sich selbst aussuchen, wann sie nach einer Geburt ins Arbeitsleben zurückkehren. In vielen Gebieten Österreichs geht das aber gar nicht, in manchen gibt es sogar noch monatliche Prämien, wenn eine Frau daheim bleibt und auf den Kindergartenplatz verzichtet. Das Problem dabei: Diese Prämien sind erstens weitaus niedriger als ein Monatsgehalt (um die 50 Euro), und der Bezug wird auch nicht auf die Pension angerechnet. Die Empfängerinnen von solchen Prämien machen sich dadurch also finanziell von ihren Partnern abhängig.
Noch problematischer ist aber der Zugang der Frauenministerin zu diesem gesellschaftlichen Wandel. Abseits der Selbstermächtigung und Bildung von Frauen – für die aus dem Frauenministerium ein Budget von 1,8 Millionen Euro vorgesehen ist – ist das Frauenbudget nämlich ausnahmslos für Gewaltschutz vorgesehen. In der Diskussion über dieses Budget und warum keine Täterarbeit vorgesehen sei, meinte die Frauenministerin lediglich, sie mache Frauenpolitik für Frauen.
Dass diese Politik über Gewaltschutz hinausgehen könnte und eben tatsächlich bei der Wurzel des Patriarchats ansetzen müsse, schien keine Option zu sein. Im Gegenteil. Auch die Gewaltschutzkampagne des Bundeskanzleramts hat lediglich drei Sujets, die auf Anlaufstellen für Gewaltopfer hinweisen und damit Frauen in Opferrollen stilisieren. Hilfreich als Information für Betroffene, aber den gesellschaftlichen Wandel wird es nicht vorantreiben.
Exekutive und Judikative: Wenig Spielraum
Justiz- und Innenministerium kann man in diesem Fall nicht einmal einen Vorwurf machen, im Gegenteil. Die Wiedereinführung der Fallkonferenzen wurde länger gefordert, und auch ein Fokus auf Traumabewältigung für Opfer ist eine massive Verbesserung gegenüber früheren Umgängen mit Gewalt gegen Frauen. Immerhin wurde jahrzehnte- oder besser jahrhundertelang akzeptiert, dass Männer in Beziehungen einfach entscheiden dürfen, wann Frauen was tun dürfen, und mehr noch: was sie mit ihren Frauen machen dürfen. Immerhin wurde Vergewaltigung in der Ehe in Österreich erst 1989 unter Strafe gestellt.
Bis heute gibt es aber gerade bei Sexualdelikten große Lücken in der Vollziehung. Einerseits gibt es nach wie vor große Hürden bei der Anzeigebereitschaft von Opfern. Eine Studie aus dem Jahr 2011 zeigte, dass damals nur rund zehn Prozent der betroffenen Frauen nach einer Vergewaltigung Anzeige erstatteten. Durch #metoo sollte dieser Anteil zwar gestiegen sein – verlässliche Zahlen dazu gibt es aber nicht. Zu hoffen wäre, dass die steigende Anzahl an Anzeigen auf eine niedrigere Hemmschwelle von Opfern zurückzuführen ist, und nicht auf eine tatsächlich gestiegene Anzahl von Delikten. Bestätigte Fakten darüber gibt es allerdings nicht.
Was sich dennoch sagen lässt: Viele der gemeldeten Vergewaltigungen oder Nötigungen führen nicht zu Verurteilungen durch das Justizministerium. Im Gegenteil. Sieht man sich die Zahlen an, führen sozusagen nur 4 Prozent der Anzeigen wegen Vergewaltigung in einem Jahr zu einer Verurteilung.
Wo Prävention ansetzen könnte
Die Frage ist also, wer Präventionspolitik für Männer macht. Die Täterarbeit wird über Justiz und Polizei initiiert – aber wer verhindert, dass Männer Täter werden?
Der ehemalige Minister Wolfgang Mückstein hat vier Millionen für ein Präventionsbudget bestimmt. Im Frühjahr 2021 ging er vonseiten der Grünen in Vorlage, Raab und Nehammer waren damals in diese Pläne noch gar nicht involviert. Zu den 16 Tagen gegen Gewalt wurde schon 2021 die Kampagne Mann spricht’s an gestartet, im Jahr darauf wurde das Budget für Männerarbeit auf 7 Millionen Euro erhöht. Die neuen Sujets haben zwar vorerst hauptsächlich für Lacher gesorgt, die Intention stimmt aber: (Sexuelle) Belästigung ist nicht nur ein Zeichen für mangelndes Verständnis von psychischer und körperlicher Integrität, sondern eben auch ein Teil des kritisierten patriarchalen Denkens. Wer Frauenkörper ungeniert kommentiert, sagt damit ja automatisch, dass Urteilshoheit, Gefallen oder Nichtgefallen automatisch im Recht des:der Betrachter:in liegen – die Rolle der betroffenen Frau kommt dabei nicht vor.
Schon auf dieser Ebene anzusetzen, ist damit sinnvoll. Etwas unklar ist aber noch, welche konkreten Projekte damit abgedeckt werden, wie z.B. auch Rollenbilder in Schulen aufgebrochen werden. Sexuelle Gewalt hat eben niedrige Anzeigeraten, weil Sex grundsätzlich immer noch oft als Tabuthema behandelt wird. Und Selbstermächtigung oder mehr aktives Bewusstsein für eine Berufswahl, die Rollenklischees aufbricht, kann keiner erwarten, wenn Mädchen nach wie vor unterstellt wird, schlecht in Mathematik zu sein und wenn vermittelt wird, dass es nur Ärzte und Rechtsanwälte und Krankenschwestern und Putzfrauen gibt – um Klischees absichtlich überzustrapazieren. Dass bis vor wenigen Jahren in Serien oder Filmen meist ein Mann bedeutet hat, dass nun endlich das richtige Leben der Titelheldin anfängt und sie am Ende ihrer Reise ist, hat wohl auch nicht viel geholfen.
Wir müssten an vielen Rädchen drehen
Viele dieser gesellschaftlichen Punkte – wie Männer und Frauen sich gegenseitig sehen, wo es eine Besitzhaltung gibt oder inwiefern Belästigung, sexuelle und körperliche Gewalt alltäglich sind – können nur schlecht von der Politik gesteuert werden. Es braucht viele politische Rädchen.
Im Bildungssystem, damit Kinder mit moderneren Rollenverständnissen aufwachsen. In der Kinderbetreuung, damit kein Bürgermeister mehr eine Prämie für die Kinderbetreuung zu Hause anbietet, sondern damit jeder Bürgermeister Jungmütter am Arbeitsplatz sehen will – immerhin ist das nicht nur für ihre Pensionsbeiträge gut, sondern auch für die Gemeindeeinnahmen. Im Sozialsystem, damit Kinderbetreuung und Pflegearbeiten nicht mehr als billige Frauenarbeit gesehen werden, sondern als kompetente Facharbeit. Im Gesundheitssystem, indem Frauen ernster genommen werden und Ärzten auch stärker bewusst ist, das Symptome oft je nach Geschlecht unterschiedlich aussehen. Am Arbeitsmarkt, bei Diskriminierung und, und, und.
An all diesen Rädchen muss gedreht werden, damit Gewalt gegen Frauen nicht nur kein Kavaliersdelikt ist, sondern auf breites gesellschaftliches Unverständnis stößt. Die Kampagne des Sozialministeriums zeigt, dass es zumindest irgendwo langsam ein Bewusstsein für echte Gleichstellungspolitik gibt. Sieht man sich den Handlungsbedarf an, muss aber definitiv noch mehr Tempo gemacht werden.