Rot-Schwarz bedeutet keine Entlastung
Das Versprechen der Entlastung – also einer Steuerreform, die vor allem die hohe Belastung auf Arbeit senkt – ist mittlerweile so eine Art politische Grundkonstante geworden. Keine Partei gibt an, diese nicht zu wollen, die wesentliche Debatte beschränkt sich auf das Wie.
Aber das ist nicht die einzige Grundkonstante der österreichischen Wirtschaftspolitik. Die andere lautet nämlich: eine steigende Steuer- und Abgabenlast. Also genau das Gegenteil von dem, was so oft versprochen wurde.
Spurensuche: Rot-Schwarz auf der Suche nach der Entlastung
Im Regierungsprogramm der rot-schwarzen Koalition von 2008 bis 2013 – übrigens die einzige, die bisher die volle Länge durchgehalten hat -, war das Bekenntnis zu sinkenden Steuern und Abgaben bereits festgehalten. Die Regierung von Werner Faymann und Josef Pröll erklärte:
Wir treten für Wachstum und die Sicherung der Arbeitsplätze ein. Mit zwei Konjunkturpaketen und einer Entlastung für alle Lohn- und EinkommensteuerzahlerInnen und der Familien werden wir dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Dadurch soll die Kaufkraft und die Nachfrage belebt werden. Für die Unternehmen bieten wir Anreize zu Investitionen, die gerade angesichts der Wirtschaftslage notwendig sind. Der Ausbau einer modernen und Zukunft sichernden Infrastruktur wird ebenso wie eine nachhaltige Umwelt-, Klimaschutz- und Landwirtschaftspolitik zur Sicherung der hohen Lebensqualität in Österreich forciert.
Und außerdem:
Die Bundesregierung wird ein umfangreiches Programm zur Stärkung des mittelständische Wirtschaft erarbeiten, dabei sollen insbesondere folgende Maßnahmen umgesetzt werden: Entlastung des Faktors Arbeit, Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung (z.B. Rechtsformneutralität), bessere Rechtssetzung für KMU und Verwaltungsvereinfachungen.
Die letzten Punkte kann man relativ einfach abhaken: Das ist nicht passiert. Aber 2009 kam tatsächlich eine kleine Steuerreform, gezeichnet vom Bemühen, die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise abzufangen.
Der erste große Haken dieser Reform: Sie wurde fast ausschließlich „auf Pump“ finanziert, also durch neue Schulden. Und der zweite große Haken: Laut einer Analyse des Wirtschaftsforschungsinstituts glich die Senkung der Lohn- und Einkommensteuern nur die Kalte Progression aus, also den schleichenden Anstieg der Steuerlast dadurch, dass jedes Jahr Menschen in neuen Steuerstufen landeten.
Rot-Schwarz Reloaded: Jetzt aber wirklich?
Nach der Nationalratswahl 2013 schaffte es die rot-schwarze Regierung in eine Neuauflage mit Werner Faymann und Michael Spindelegger. Auch in diesem Jahr erneuerte sie ihr Versprechen der Entlastung – mit einer Forderung, die gerade von roten Parteigranden heute rhetorisch torpediert wird. So steht im Programm der Regierung Faymann II:
Senkung der Lohnnebenkosten: Der Faktor Arbeit ist in Österreich stark belastet, die Lohnnebenkostenbelastung liegt im internationalen Spitzenfeld. Eine Senkung dieser wirkt wachstumssteigernd und beschäftigungsfördernd.
Weit später in der Legislaturperiode sah es mit dieser Ankündigung sogar noch besser aus: Der „Plan A“ von Christian Kern sah eine Senkung der Lohnnebenkosten für kleine und mittlere Unternehmen vor. Und auch der frühere Sozialminister Rudolf Hundstorfer plädierte für die Senkung der Lohnnebenkosten. 2015 forderte Hundstorfer, der sonst sicher nicht als Turbokapitalist verschrien war, einen „Überstunden-Euro“, den die Arbeitgeberseite bezahlen solle – um im Gegenzug die Lohnnebenkosten zu senken. So wollte er die Arbeitslosigkeit bekämpfen.
Mit diesen Forderungen ist es längst vorbei: Die SPÖ führt, begleitet durch die PR-Maschinerie der Arbeiterkammer und Gewerkschaften, einen Verteidigungskampf für die Lohnnebenkosten. Der rote Nationalratsabgeordnete Mario Lindner behauptete kürzlich auf X/Twitter, dass darunter auch das 13. und 14. Gehalt oder das Urlaubsgeld fallen würden. Diese Falschaussage zeigt, dass das Thema in der aktuellen SPÖ dogmatischer geführt wird als unter der Regierung Werner Faymann – die diese Lohnnebenkosten zumindest noch rhetorisch senken wollte.
Was sind Lohnnebenkosten?
— Mario Lindner (@MarioLindner82) January 15, 2024
13. und 14. Lohn / Gehalt
bezahlter Krankenstand
Urlaub
Abfertigung
Pensionsversicherung
Unfallversicherung
Krankenversicherung
Arbeitslosenversicherung
Und einiges mehr.
Kann man gar nicht oft genug wiederholen. #Servicetweet
Im Endeffekt schaffte es auch die Wiederauflage von Rot-Schwarz nicht, die Steuer- und Abgabenlast nennenswert zu verändern. Hundstorfers Vorschlag führte zwar zu einer minimalen Senkung der Lohnnebenkosten, weil der Betrag zur Unfallversicherung leicht gesenkt wurde. Und ja, es gab auch eine Steuerreform. Auch hier kam das Wirtschaftsforschungsinstitut zu einer ähnlichen Bewertung: Sie sei ein „erster Schritt hin zu einer wachstums- und beschäftigungsverträglicheren Ausgestaltung der Abgabenstruktur“, aber weitere Schritte müssten folgen – etwa eine „grundlegende Aufgabendiskussion“.
Das Bemühen nach einer weiteren Entlastung scheiterte zuerst an der Forderung von Werner Faymann, dass eine „schnelle“ Steuerreform ohne eine Vermögenssteuer undenkbar sei – danach an der Sabotage der rot-schwarzen Regierung durch türkise Loyalisten, die schleunigst Neuwahlen und eine Koalition mit der FPÖ anstrebten. Eine spätere Analyse des Finanzministeriums unter Hartwig Löger zeigte dann rückblickend, dass die 5,4 Milliarden schwere Steuerreform der Faymann-Regierung nur 2,5 Milliarden Euro an Nettowirkung hatte. Der Grund: Sie enthielt auch Erhöhungen, etwa bei der Umsatzsteuer oder Kapitalerträgen, und führte mit der Registrierkassenpflicht auch eine neue Belastung ein.
Und was, wenn es nicht nur an der SPÖ liegt?
Nach den Wahlen 2017 ging die ÖVP, von Sebastian Kurz auf Türkis umgefärbt, mit der FPÖ in eine Koalition. Wieder wurden Versprechen in Richtung sinkende Steuerlast gegeben. Aus dem Regierungsprogramm:
Die Bundesregierung hat es sich daher zum Ziel gesetzt, die Steuer- und Abgabenquote in Richtung 40 Prozent zu senken. Um dies zu erreichen, sind deutliche Entlastungsschritte notwendig. Die Finanzierung dieser Entlastungen und der dazu nötigen Maßnahmen soll durch ausgabenseitige Einsparungen und Strukturreformen erfolgen. Die Bundesregierung hat es sich auch zum Ziel gesetzt, das Steuerrecht massiv zu vereinfachen. Ein einfaches Steuerrecht – verbunden mit Rechtssicherheit im Sinne einer Bestands- und Planungssicherheit – ist ein entscheidender Standortfaktor.
In der Tat gab es eine Steuerreform unter Türkis-Blau. Angekündigt wurde sie mit einem Ausmaß von 14 Milliarden, im Endeffekt kamen 6,5 Milliarden. Und auch diese wurden von der Kalten Progression schnell wieder egalisiert – denn die schleichende Steuererhöhung wurde zum Thema der schwarz-grünen Nachfolgeregierung. Auch durch den jahrelangen Druck von NEOS im Parlament wurde sie 2023 abgeschafft. Ein langfristig wichtiger Schritt, wie auch das WIFO betont – aber vorerst nur der Verzicht auf eine Erhöhung.
Mit den Grünen versuchte die ÖVP, das rhetorische Versprechen der Entlastung zu verwirklichen, die Steuer- und Abgabenlast ist dennoch weiter gestiegen. Gesenkt wurde vor allem deswegen wenig, weil viele Maßnahmen in der Corona-Krise und Zeiten hoher Inflation nach dem Gießkannen-Prinzip getätigt wurden: Alle bekommen ein bisschen was. Auf soziale Treffsicherheit wurde lange vergessen, viele Entlastungsmaßnahmen waren zeitlich begrenzt und laufen 2024 aus. Auf Dauer steigt aber die Steuer- und Abgabenquote weiter.
Eine Geschichte der verschlafenen Chancen
Man sieht: Weder SPÖ noch ÖVP haben es geschafft, langfristig die Steuern und Abgaben zu senken. In allen erwähnten Reformen wurden viele Dinge nicht diskutiert: keine Föderalismus-Reform, kein Antasten von Doppel- und Dreifachstrukturen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Weder wurde der Finanzausgleich verbessert – obwohl angekündigt –, noch gab es wesentliche Strukturreformen in der Bildungs- und Gesundheitspolitik. In der Zwischenzeit stapeln sich die Rechnungshof-Empfehlungen, wo es Optimierungspotenziale im öffentlichen Bereich gäbe. Sie landen in einer Schublade.
Und heute ist der Diskurs über Entlastung möglicherweise noch unehrlicher als zu Beginn der rot-schwarzen Koalition 2008. Die Babler-SPÖ fordert Vermögenssteuern, die von der Sozialdemokratie selbst abgeschafft wurden, und rechnet mit Gewinnen im gleichen Ausmaß wie Frankreich, das eine siebenfach höhere Bevölkerung hat als Österreich. Wenn es um die Forderung nach neuen Steuern geht, ist die SPÖ laut – wenn es um die Senkung von Steuern und Abgaben geht, hört man wenig, geschweige denn wenn es um die Gegenfinanzierung teurer Forderungen geht. Dabei könnte gerade die Entlastung des Faktors Arbeit sozialdemokratische Kernprogrammatik sein.
Und die ÖVP? Sie will einen „Regimewechsel in Österreichs Wirtschaftspolitik“, weg vom Etatismus und Nanny-State. Dabei führt genau sie seit 37 Jahren das Wirtschaftsministerium – und trotzdem sinkt die Steuer- und Abgabenlast meist nur kurzfristig. Wer nach 1987 geboren ist, kann sich an keine Regierung ohne Beteiligung der österreichischen Volkspartei erinnern. Wenn gerade sie dazu aufruft, „endlich“ den Kurs zu wechseln, kann sie das niemandem ausrichten außer sich selbst.
Rot-Schwarz macht Entlastung unmöglich
Das einzig positive an der jüngeren Entlastungsgeschichte Österreichs: Mit der Abschaffung der Kalten Progression gäbe es jetzt zum ersten Mal das Potenzial, eine Steuerreform zu schaffen, die bleibt. Alle Bemühungen, die von der ÖVP in wechselnden Koalitionen umgesetzt wurden, hatten bisher den Effekt, dass sich die Steuern und Abgaben schon bald auf ihr altes Niveau einpendelten – wer jetzt eine Steuersenkung durchsetzt, kann eine dauerhafte Lösung schaffen. Zumindest zu zwei Drittel: Denn ein Drittel der Kalten Progression steht der Bundesregierung weiterhin zur Verfügung, um ausgesuchte Projekte zu finanzieren.
Sollte es nach der nächsten Nationalratswahl eine Wiederauflage der ehemals „Großen Koalition“ geben, wäre das Versprechen einer ernsthaften Steuerreform also wenig glaubwürdig. Zu oft haben beide Parteien bewiesen, dass sie es nicht ernst meinen, zu oft sind sinnvolle Forderungen im parteipolitischen Hickhack untergegangen. Wer also mit dieser Koalitionsvariante in einen Wahlkampf geht, kann viel versprechen – aber keine Entlastung.