Die Sanktionen wirken – und zwar immer besser
Viel spricht dafür, dass Österreich unabhängig von den Sanktionen gegen Russland ein harter Winter bevorsteht. Nicht nur, weil weitere Corona-Wellen erwartbar sind. Dazu kommen eine Rekordinflation und eine Energiekrise, die für viele so bisher nicht vorstellbar waren.
Der Grund dafür ist, dass fossile Brennstoffe immer teurer werden. Das wäre auch in normalen Zeiten so, denn erneuerbare Energien werden wesentlich günstiger produziert. Aber in diesem Winter liegt es am Kalkül von Wladimir Putin, der die europäischen Staaten des Westens mit dem Zurückhalten seiner Gaslieferungen dazu erpressen will, die Sanktionen gegen Russland einzustellen. Hier rächt sich die Abhängigkeit von Russland.
Dieses Narrativ wird auch immer wieder von Freunden Putins in Österreich und Europa aufgegriffen. Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer meinte zuletzt, die Sanktionen seien „nicht zu Ende gedacht“. Bundeskanzler Nehammer fiel mit einem spontanen Besuch in Russland auf, und auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner appellierte zuletzt erneut, mit Putin zu verhandeln. Dazu kommt die Freiheitliche Partei, deren Obmann Herbert Kickl im ORF-Sommergespräch verbreitete, Putin wahre lediglich seine Interessen, während Österreich sich mit den Sanktionen hauptsächlich selbst schade.
Das Problem daran ist nur: Es stimmt einfach nicht. Denn die Realität ist, dass Russland massiv von den Sanktionen getroffen wird. Und dass der Schaden, den Europa durch sie nimmt, in keinem Vergleich dazu steht.
Europa und Russland – ein Vergleich
Der offensichtlichste Vergleich, um die Wirkung der Sanktionen zu untersuchen, ist das Wirtschaftswachstum. Oder wenn wir uns das Beispiel Russland anschauen: wäre. Denn im Gegensatz zur österreichischen und europäischen Wirtschaft wird die russische weder dieses noch nächstes Jahr irgendein Wachstum verzeichnen. Im Gegenteil: Minus 7 Prozent im Jahr 2022 sind ein enormer Schaden, Prognosen gehen sogar von 10 bis 15 Prozent Rückgang aus. Unternehmen sperren zu oder verlassen das Land, viele Menschen folgen ihrem Beispiel und wandern aus. Durch die Abwanderung großer Arbeitgeber setzt ein Brain Drain ein, von dem Russland noch jahre-, wenn nicht jahrzehntelang einen Schaden davontragen wird.
Jetzt mag man im Vergleich mit Russlands Wirtschaftswachstum auf die Inflation verweisen. Nach dem Motto: Was bringt uns Wirtschaftswachstum, wenn alles teurer wird? Aber auch die ist in Russland um einiges schlimmer – und auch da scheint es nicht, als wäre diese Abwärtsspirale bald beendet.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen untersucht auch eine Studie der Yale University. Die Ergebnisse: Russlands Wirtschaft leidet brutal unter den Sanktionen. Die strategische Positionierung als Rohstoffexporteur ist unwiderruflich dahin, und auch die Importe sind weitgehend zusammengebrochen. Die Inlandsproduktion sei „völlig zum Erliegen gekommen“, da keine Kapazitäten vorhanden wären, um den Verlust an Unternehmen, Produkten und Arbeitskräften auszugleichen. Die Devisenreserven wären trotz hoher Energiepreise aufgebraucht.
Das Resultat dieser Entwicklungen sind nicht nur steigende Preise, sondern auch eine verunsicherte Bevölkerung. Und auch die russischen Finanzmärkte schneiden trotz strenger Kapitalverkehrskontrollen weltweit am schlechtesten ab – auch das gibt nicht gerade Grund zur Hoffnung, dass die Wirtschaft schon bald mit einer Wiederauferstehung rechnen kann.
Sanktionen wirken langfristig
Die Kennzahlen allein sprechen also schon eine deutliche Sprache. Aber das ist nicht alles: denn die russischen Sanktionen sind nicht alle darauf ausgelegt, sofort großen Schaden anzurichten. Einige werden erst in einigen Monaten oder Jahren spürbar sein – z.B. das Exportverbot für Technologieprodukte. Russlands Luftfahrt kämpft mit einem Mangel an Ersatzteilen, weil diese in der Regel importiert werden. Das Problem der Importabhängigkeit haben in einer globalisierten Welt viele – sie wird Russland jetzt aber in der Autoproduktion, Ölförderung und sogar in der Landwirtschaft zum Verhängnis.
Auch westliche Software wird in Russland dringend gebraucht. Der Mobilfunk im Land wird z.B. im Wesentlichen mit westlichen Programmen betrieben. Momentan funktioniert das noch problemlos, durch die Sanktionen dürfen die Lizenzen aber nicht erneuert werden. Das heißt, jede Behörde, jede Bahn, jedes Unternehmen, das mit Microsoft Windows oder Apples Betriebssystemen macOS und iOS arbeitet, wird in absehbarer Zeit ein Problem haben, an auch nur ansatzweise gleichwertige Software zu kommen. Das wird die ohnehin schon starke Wirtschaftskrise weiter verschärfen – zu einer Zeit, in der sich die europäischen Staaten schon erholen und (hoffentlich) ihre Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren konnten.
Das deutsche Handelsblatt schreibt: Europa steht ein harter Winter bevor – Russland dauerhaftes Siechtum.
Die politische Isolation erledigt den Rest
Es stimmt zwar, dass europäische Staaten von russischem Gas abhängig sind, aber Russland braucht auch die Einnahmen daraus. Ein absichtliches Abdrehen des Gashahns wäre auf Dauer wirtschaftlicher Selbstmord. Denn das Land kann weder seine Importe noch seine Exporte anderswo im gleichen Ausmaß abdecken. China mag ein interessanter Partner sein, der die autokratischen Werte Putins teilt. Aber die Gas-Pipelines führen nun mal nach Europa und nicht nach China.
Dazu kommt, dass Russland aus einer Position der Schwäche handelt. Ob Putins Propaganda nach innen noch wirkt, kann man von außen nur schwer beurteilen. Sicher ist aber, dass die Kennzahlen der russischen Wirtschaft international niemanden kalt lassen können. Wer mit einem Land neue Handelsbeziehungen aufnimmt, das trotz dieser Performance nicht von einem ohnehin schon verurteilten Angriffskrieg ablässt, kann nicht nur mit internationaler Ächtung rechnen, es sieht auch schlicht und einfach nicht aus wie ein gutes Investment. Die Kombination aus einer hart getroffenen Wirtschaft und politischer Isolation wird dafür sorgen, dass Russlands Wirtschaft noch lange am Boden bleibt.
Eine europäische Kursfrage
Es ist also nachweislich falsch, wenn russlandfreundliche Politiker:innen und sonstige Akteur:innen behaupten, Europa würde sich mit den Sanktionen nur selbst schaden. Sie treffen Russland deutlich stärker und lösen genau die Wirkung aus, die erwünscht wird: Die Finanzierung des Kriegs in der Ukraine wird immer schwieriger.
Das heißt nicht, dass die nächsten Monate für die Europäische Union einfach werden. Alleine von der Tatsache, dass es den Menschen in Russland schlechter geht, kann sich niemand teuren Strom leisten. Um der multiplen Krisen unserer Zeit Herr zu werden, ist es aber wichtig, nicht dem Lager der einfachen Scheinlösungen zu verfallen. Es braucht gemeinsame, europäische Lösungen, die der Komplexität der Lage gerecht werden – und diese sind in der Regel nicht von Menschen zu erwarten, die trotz allem Wladimir Putin die Treue halten.