Von der Tragik, über Politik zu schreiben
Seit mittlerweile dreizehn Jahren schreibe ich in der einen oder anderen Form über Politik. Zuerst in der Art von Journalismus, die man eher für den Lebenslauf macht, dann im „echten“ Journalismus, heute für Materie, und seitdem konstant in Form von Blogs und Newslettern. Ich mache es, weil mich Politik begeistert und Text meine Art von Medium ist. Aber eine Tragik dieser Rolle wird mir immer klarer: Die Politik, die ist in vielen Bereichen einfach zu Ende erzählt. Lasst mich erklären.
Es gibt zwei Arten von „Politik-Geschichten“.
Die eine ist das, was im politmedialen Komplex als „Politik-Politik“ bezeichnet wird. Ich glaube, der Begriff geht auf Peter Filzmaier zurück. Er beschreibt das, was man in der Politikwissenschaft „Politics“ nennt, das Politikmachen. Wer kann mit wem, wer streitet mit wem, über was und warum? Es geht um Strategie und Taktik, parteipolitische Konflikte, um innerparteiliche Intrigen und den Stoff, der Politik teilweise zu einer Reality-Show verkommen lässt.
Die andere Art der Geschichte behandelt das, was man in der Politikwissenschaft „Policy“ nennt: Inhalte. Welches Gesetz kommt, was drinsteht, wie sich das auf unser Leben auswirkt und welche Probleme das löst. Gähn, schnarch, fad. Dass dieser Teil der Politik-Berichterstattung stiefmütterlich behandelt wird, kann man durch Medienbeobachtung ganz einfach belegen: Wie oft liest man von Angriffen innerhalb der SPÖ auf Andreas Babler, wie oft von Inhalten der SPÖ? Wie viele Analysen gibt es darüber, wer die ÖVP nach der Wahl übernimmt, und wie viele über ihre Policy-Vorschläge zur Nationalratswahl? Und hat sich eigentlich schon mal irgendjemand damit beschäftigt, was die FPÖ neben Ausländer-raus-Rhetorik und Verschwörungstheorien inhaltlich vorschlägt?
Die Policy-Berichterstattung hat ein Problem. Und es liegt nicht nur daran, dass Politics einfach geiler ist. Auch Policy hat das Potenzial, Stimmung zu machen. Der Vorschlag von Beate Meinl-Reisinger, ein Chancenkonto einzuführen, hat Diskussion erzeugt, die sich auch in Medienbeiträgen niederschlägt. Ein neuer Vorschlag, der etwas verändern könnte, wird in der Regel gut angenommen. Das Problem ist nur: Es gibt immer weniger davon.
Denn Inhalte, die werden in Österreich viel zu selten bespielt.
Es gibt eine Theorie, dass die Politik in Zeiten globalisierter Märkte (die etwas Gutes sind) und großer gesellschaftlicher Veränderungen die Fähigkeit verloren hat, das Leben der Menschen fundamental zu verändern. Gerade Österreich ist ein gutes Argument für diese These: Die Themen, die wirklich wichtig sind, werden von den alten, großen und ehemals staatstragenden Parteien kaum mehr erwähnt, einen sinnvollen Vorschlag sucht man vergebens. Stattdessen schimpft der eine über die Konzerne, der andere über die Ausländer und der wieder andere über die EU. Und Policy bleibt auf der Strecke.
Nehmen wir zwei Beispiele. Im Bildungsbereich ist völlig klar, dass wir einen Lehrkräftemangel haben, der absolut absehbar war. Gleichzeitig ersticken die Schulen in Bürokratie, was nicht unbedingt dabei hilft, junge Menschen für den Beruf zu begeistern. Und die Bildungspolitik selbst? Die ist gelähmt durch ein Kompetenz-Wirrwarr, dass nur von unserem zweiten Beispiel geschlagen wird: dem Gesundheitswesen. Dort sind die Zuständigkeiten derart verzahnt, dass die einzige Lösung zu sein scheint, in einen beliebigen der unzähligen Töpfe im System noch mehr Geld reinzubuttern. Eine nachhaltige Lösung sieht anders aus – hier muss man die Struktur selbst verändern, statt zu kapitulieren.
Und als jemand, der über Politik schreibt, ist das alles doppelt schlimm. Denn keines der vielen Probleme, die Österreich hat, ist wirklich neu, es gibt fast nichts mehr aufzudecken. Jedes Medium hat einen Artikel darüber geschrieben, dass Frauen durch mangelnde Kinderbetreuung weniger arbeiten können, als sie wollen – was auch für den Arbeitsmarkt ein Problem ist. Genau wie den Artikel darüber, dass wir genug Ärztinnen und Ärzte haben, aber eben nicht im Kassensystem. Es ist alles längst gesagt – man müsste es nur machen.
Aber die Politik hat sich von Themen völlig entkoppelt.
Während sich andere Staaten überlegen, wie man mit der massiv voranschreitenden Digitalisierung umgeht, wie man eine alternde Gesellschaft finanziert oder wie man staatliche Aufgaben wie Bildung und Gesundheit nicht nur gut erledigt, sondern auch noch ohne Staatsschulden ermöglicht, geht es in Österreich um Scheindebatten. Ja, Bargeld ist wichtig und sollte auf keinen Fall verboten werden – aber wenn niemand dieses Verbot fordert, ist die Debatte einfach nur ein Versuch, ins Gespräch zu kommen. Oder wer erinnert sich noch an die Diskussion darüber, was eigentlich „normal“ ist? Dieses beschämende Level an politischer Debatte jedenfalls nicht.
In so einem Umfeld darüber zu schreiben, was gerade Thema ist, stellt Schreibende vor einen Konflikt. Nehmen wir das auf, was gerade zum Thema gemacht wird, aber de facto keines ist? Oder behandeln wir das, was wirklich wichtig ist, wobei da schon alles gesagt ist? In einer Medienlandschaft, die wirtschaftlich unter enormem Druck steht, entscheidet man sich oft für die erste Option. Man nimmt das, was (angeblich) nachgefragt ist, statt das, was man schon unzählige Male gemacht hat. Denn auch der 100. Artikel über Bodenschutz wird nichts bringen, wenn die Bundesregierung weiterhin blockiert.
Das war nicht der Deal.
Normale Demokratien funktionieren ganz anders: Eine mehr oder weniger informierte Öffentlichkeit – wir sollten uns keine Illusionen machen, dass die Menschen in Deutschland, Frankreich oder gar Großbritannien politisierter sind als wir in Österreich – bekommt durch Medien Informationen, die sie interessieren und betreffen. Dabei nehmen die Medien auch die wichtigen Themen auf, die sich in einem Land stellen, und tragen sie quasi in die Politik: Wenn der Druck groß wird, wird reagiert.
Österreich scheint aber ganz anders zu funktionieren: Hier können sich seit Jahren und Jahrzehnten sämtliche Expertinnen und Experten einig sein, dass ein Problem existiert, und es wird trotzdem ignoriert. Der große Wurf wird nicht einmal gedacht, die kurzfristige Scheinlösung als Jahrhundertwurf verkauft, und die Möglichkeit, die Umstände der Menschen zu verbessern, wird ungenutzt liegen gelassen. Oder anders gesagt: Künstliche Intelligenz und katastrophale Folgen des Klimawandels stehen vor der Tür – und die österreichische Politik tut so, als würden sie höflich anklopfen und wieder gehen.
Darum ist es eben nicht immer nur schön, über Politik zu schreiben.
Denn gerade in Österreich, wo eine Partei seit 37 Jahren durchgehend an der Macht ist, fühlt es sich viel zu oft an, als wäre schon längst alles gesagt. Aber das ist es nicht. Denn solange Kinderbetreuung noch immer zu schlecht ausgebaut ist, solange das Geld dafür nicht im Budget verankert ist, solange wir unsere Klimaziele verpassen und viel Geld für Bildung und Gesundheit ausgeben, um mittelmäßige Leistungen zu bekommen, sind wir in diesem Land alles andere als „fertig“ mit der Politik.
Auch wenn es sich manchmal sinnlos anfühlt, sollten wir auf keinen Fall aufhören, über das zu reden, was wirklich zählt. Denn sonst wird es keine politische Lösung geben. Aber für die braucht es nicht nur mediale Berichterstattung – sondern auch politische Mehrheiten, die eine Veränderung zulassen. Ein Superwahljahr ist die perfekte Zeit, darüber nachzudenken.