Wer ist Jan Marsalek?
Immer wieder berichten Medien von neuen Entwicklungen in der Wirecard-Affäre und rund um den geflüchteten Ex-Finanzvorstand der Firma, Jan Marsalek. Wer ist dieser Mann, der seine Kontakte dazu nutzen konnte, vor den Behörden nach Russland zu fliehen?
Der ehemalige Wirecard-Finanzvorstand und gebürtige Österreicher Jan Marsalek gilt als Schlüsselfigur im milliardenschweren Bilanzskandal des zusammengebrochenen deutschen Zahlungsdienstleisters. Doch bevor die Behörden seiner habhaft werden konnten, verschwand Marsalek aus Deutschland – der Ex-Manager soll sich unter anderem mithilfe österreichischer Kontakte im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Juni 2020, kurz vor der Pleite, über Minsk nach Russland abgesetzt haben. Sein Vorstandschef Markus Braun, ebenfalls Österreicher, sitzt derzeit in München auf der Anklagebank.
Der Aufenthaltsort des 43 Jahre alten Wieners ist weiter unbekannt, bestätigte die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Sommer letzten Jahres einmal mehr. Sie hat zwar eine gewisse Zuständigkeit, weil Braun und Marsalek österreichische Staatsbürger sind und es auch in Österreich einige Opfer etwaiger strafbarer Handlungen geben könnte. Doch der Schwerpunkt mutmaßlicher krimineller Handlungen liegt in Deutschland. Allerdings erstreckt sich das Netz, das Marsalek während seiner Zeit bei Wirecard aufgebaut hat, weit über Deutschland und Österreich hinaus.
Denn Marsalek konnte als Anbieter von Finanzdienstleistungen Kontakte zu verschiedensten Personen mit Einfluss, Geld oder beidem knüpfen – oft auch über die Bande von Geheimdiensten. Doch zuerst ein kurzer Überblick darüber, was der Wirecard-Skandal überhaupt war:
- Wirecard war ein Unternehmen für Zahlungsverkehrsdienstleistungen. Das bedeutet, dass es das Bindeglied zwischen dem Online-Käufer und dem Online-Verkäufer war, welches die Zahlung abgewickelt hat. Dabei ging es ausschließlich um elektronische Zahlungen mit Kreditkarten. Wirecard bezahlte hierbei direkt das Geld an den Verkäufer und erhielt im Nachhinein das Geld vom Kreditkarteninstitut. Dabei fuhr es eine geringe Kommission ein.
- Aufgrund des starken und vorbildlichen Aufstiegs des Unternehmens hat es sogar die Commerzbank 2018 aus dem DAX verdrängt und war somit in der Topliga der deutschen Finanz-Firmen.
- Recherchen der Financial Times ergaben im Frühjahr 2019, dass Scheinhandel mit Tochterfirmen in Asien den Umsatz künstlich nach oben getrieben haben. Es wurden unter anderem angebliche Zahlungen mit Unternehmen abgewickelt, die bereits seit Jahren nicht mehr existierten. Diese Vorwürfe wies Wirecard zurück – jedoch brachen die Aktien zum ersten Mal massiv ein.
- Aufgrund der Größe des Unternehmens begannen mächtige Hedgefonds, auf fallende Kurse der Aktien zu spekulieren. Daraufhin fiel der Aktienwert innerhalb der nächsten Tage auf die Hälfte ab. Als Reaktion sperrte die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die Spekulation auf fallende Kurse für zwei Monate, was eine Premiere in ihrer Geschichte war. Es schien demnach so, als wolle die BaFin Wirecard schützen.
- Nach weiteren Recherchen und Vorwürfen der Financial Times kamen immer mehr Hinweise für Fälschungen von Umsätzen mithilfe einer Partnerfirma namens Al Alam Solution in Dubai zum Vorschein. Nachdem der Jahresabschluss für 2019 mehrfach verschoben wurde, war er für den 18. Juni 2020 angesetzt.
- An diesem Tag wurde der Jahresabschluss erneut verschoben, da in der Bilanz 1,9 Milliarden Euro fehlten. Laut Wirecard befand sich dieses Geld auf Konten von zwei Banken auf den Philippinen. Diese bestritten allerdings jegliche Geschäftsbeziehung zu Wirecard. Es kam heraus, dass die Finanzunterlagen dieser Konten durch Wirecard gefälscht wurden, woraufhin die Aktien endgültig abstürzten.
- Eine Woche später meldete Wirecard Insolvenz an – doch die Affäre fing dann erst an. Denn als das Straucheln des Unternehmens klar wurde, zeichnete sich auch ab, wer dort für die Malversationen verantwortlich war: Jan Marsalek.
Marsaleks Kontakte in den Osten
Einer der bekanntesten Kontakte Marsaleks ist jener zum ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch. Für seine Firmengruppe errichtete Wirecard unter Vermittlung Marsaleks 2019 15 Konten, nachdem Firtasch von seiner Hausbank vor die Tür gesetzt wurde. Firtasch lebt aktuell in Wien und kämpft seit 2014 gegen seine Auslieferung an die USA – diese wollen ihn verhaften, weil er enge Kontakte zur russischen Mafia hat und diese auch an Entscheidungsträger:innen in den USA weitervermittelt haben soll. Das bedeutet, dass Marsalek für Wirecard einen schwerreichen Kunden angeworben hat, um gute Beziehungen nach Osteuropa absichern zu können.
Ebendiese Kontakte – zum BVT und nach Russland – sollen Marsalek auch dabei geholfen haben sich abzusetzen, als die Pleite von Wirecard ruchbar wurde. Konkret hatten ein damals karenzierter Beamter des BVT und ein Ex-Politiker nach Ansicht der Anklagebehörde im Juni 2020 geholfen, einen Bedarfsflug aus Bad Vöslau nach Minsk zu organisieren. In betreffenden Verfahren ist aber auch der Banker selbst im Zusammenhang mit Bestechungsvorwürfen als Beschuldigter geführt worden. Seine weitere Flucht, die laut Medienberichten nach Russland geführt hat, wäre schließlich ohne Kontakte zum belarussischen und russischen Geheimdienst kaum zu bewerkstelligen gewesen.
Was bedeutet das für Österreich?
Jeder Nachrichtendienst, der etwas auf sich gehalten hat, muss Marsalek auf dem Schirm gehabt haben; denn er hat sie ja benutzt. […] Aber wenn ich meine Erfahrung sagen darf, dann wären die Dienste ja blöd gewesen, wenn sie die Dienste nicht genutzt hätten, die er hätte anbieten können.
So beschreibt Bernd Schmidbauer, ehemaliger Koordinator der deutschen Nachrichtendienste, die Rolle Marsaleks im Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestags. Marsalek hat gegenüber „Kund:innen“ – also anderen Nachrichtendiensten – damit geprahlt, wie viel Einfluss und Kontakt er und sein Unternehmen hatten. Nach der Vergiftung des russischen Spions Sergei Skripal und seiner Tochter im britischen Salisbury 2018 durch das Nervengas Nowitschok prahlte Marsalek gegenüber Kontakten mit seinem Wissen und Geheimdokumenten über das Gift – ein Fakt, der 2021 zur Entlassung eines österreichischen Diplomaten führte, der diese Informationen nicht ans Außenministerium weitergegeben hatte.
Es zeichnet sich also ein Bild ab, dass Marsalek ein gut vernetzter Unternehmer war, der geheimdienstliche Informationen weitergab, wenn es ihm oder Wirecard einen Vorteil brachte. Wer die Folgen dafür zu tragen hatte, war offensichtlich egal.
Es ist schwierig, im Nachhinein das ganze Ausmaß der Wirecard-Affäre zu fassen und deutlich zu machen, welche Abgründe sich im Zuge der Ermittlungen auftaten. Wirecard hatte einen eigenen Geldwäsche-Beauftragten, dessen Dienste wurden von Marsalek und Co. offen angeboten. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich scheint diese Firma Politiker:innen und Geheimdienstler:innen geblendet und ausgenutzt zu haben. In Deutschland wurde zumindest ein Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Aufarbeitung gestartet – in Österreich wird darüber zu wenig gesprochen. Denn die Causa ist noch nicht aufgeklärt, und die Ermittlungen laufen noch.