Wie Wissenschaftsablehnung die Pandemie verschlimmert hat
Wissenschaftsskepsis kann gefährlich werden – vor allem, wenn gerade eine Pandemie wütet. Man muss dabei nicht nur auf die selbsternannten Querdenker:innen schauen, die aktiv Verschwörungstheorien verbreiten. Gerade in den härteren Phasen der Pandemie, in der hohe Fallzahlen das Tagesgeschehen dominierten, lehnten viele die Impfung auch aus anderen Sorgen ab – z. B. junge Frauen, die sich (unberechtigte) Sorgen um ihre Fruchtbarkeit machten.
Natürlich wäre es zu kurz gegriffen, den schwachen Impffortschritt gegen COVID-19 alleine mit der Anti-Gentechnik-Rhetorik der vergangenen Jahrzehnte zu erklären. Man muss die Impfskepsis, auch jene gegenüber nicht-gentechnikbasierten Impfstoffen, vielmehr in das Ökosystem der generellen Wissenschaftsfeindlichkeit einbetten, in dem sie überhaupt gedeihen konnte.
Exemplarisch seien hier einige rezente Beispiele aus Medien und Politik angeführt:
- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk beschäftigt seit vielen Jahren eine „Star-Astrologin“, die im Dezember 2021 breitenwirksam voraussagte, die Pandemie werde zu Ende sein, „wenn der Neptun aus den Fischen geht“.
- Eine Vielzahl österreichischer Medien publiziert irgendeine Art von Horoskop.
- Eine ehemalige österreichische Wirtschaftsministerin jüngerer Zeit besaß acht Jahre lang einen Gewerbeschein für Energetik.
- Ein Nationalratsabgeordneter der FPÖ zerstörte im Hohen Haus live am Rednerpult einen SARS-CoV-2 Antigenschnelltest mit Coca-Cola, um dessen – nun tatsächliche – Nutzlosigkeit zu demonstrieren.
- Die neue Partei „MFG – Menschen-Freiheit-Grundrechte“ verdankt einen Teil ihres Erfolgs der kalkulierten Verbreitung von Corona-Verschwörungstheorien per Messenger-Dienst „Telegram“ und auf Social Media.
Zumindest die 1998 eingesetzte Bundesstelle für Sektenfragen dürfte von diesen Entwicklungen nicht überrascht sein. Sie wies bereits in ihrem Tätigkeitsbericht aus dem Jahr 1999 auf das „weiterhin“ stark zunehmende Interesse an esoterischen Inhalten jeder Art in allen Teilen der Bevölkerung hin. Vor allem im Bereich „Esoterik und Psychoszene“ entstünden „ständig neue Überzeugungsgemeinschaften und kleine Grüppchen mit zum Teil abseits naturwissenschaftlicher Erkenntnisse liegendem Gedankengut“. Ebenso bemühten sich manche Gruppen um ein „gewisses Maß an gesellschaftlicher Akzeptanz“.
2019, ein Jahr vor der Pandemie, hielt die Bundesstelle für Sektenfragen wiederholt fest, dass Verschwörungstheorien, darunter Impfskepsis, zunehmende Relevanz zeigten und sich „nicht nur in Zusammenhang mit esoterischen Kreisen stark auszubreiten“ schienen.
Das Glaubenssystem der Impfgegner:innen
Impfkritiker:innen sehen darin kein Problem. Denn wer ein „gutes“ Immunsystem hat, so die beliebte Argumentation, übersteht eine Infektion nicht nur, im Gegenteil, er geht „gestärkt“ aus ihr hervor. Anhänger der „Germanischen Neuen Medizin“, begründet durch den mehrfach inhaftierten, antisemitischen Mediziner Ryke Geerd Hamer, gehen noch einen Schritt weiter: Krankheiten – „sinnvolle biologische Sonderprogramme“ – würden durch Traumata ausgelöst, sie mit Medikamenten oder Therapien zu behandeln, störe die Selbstheilung des Körpers. Viren und Bakterien seien an diesem Heilungsprozess beteiligt. Der Entzug der Approbation Hamers, die Weigerung seriöser Wissenschaftler, seine abstrusen Hypothesen anzuerkennen, die Ablehnung seiner Habilitationsschrift – die Schuld daran trifft nicht seine blühende Fantasie, sondern „jüdische Logen“.
Während solche und ähnliche Theorien in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit, etwa durch die Verleihung des Goldenen Bretts vorm Kopf, viel Spott ernteten und eindringliche Warnungen vor ernsthaften gesundheitlichen Schäden bei den Verantwortlichen kaum Gehör fanden, breiteten sie sich auf Social Media, in Büchern, Seminaren, ja sogar in Ordinationen weiter aus. Dass dieses „Wissen“ konsequenterweise auch auf den Umgang mit SARS-CoV-2 umgelegt wird, sollte daher niemanden überraschen. Homöopathie, Numerologie, Pferdeentwurmungsmittel, Akupunktur, Reiki, all das soll gegen COVID-19 wirken oder einer Infektion sogar vorbeugen.
Agents of Disinformation
Desinformation dieser Art ist etwa im Online-Shop des in Esoterik-Kreisen sehr beliebten Kopp-Verlags ganz leicht erhältlich. Bücher über COVID-19, Bill Gates und die neue Weltordnung reihen sich dort an solche, in denen schwer gesundheitsschädliche Mittel wie Chlordioxid – ein industrielles Desinfektions- bzw. Bleichmittel, für medizinische Zwecke nicht zugelassen – als geheimes Wundermittel gegen fast jeden Krankheitserreger beworben werden. Chlordioxid, bereits vor der Pandemie als Heilmittel für Autismus in Kindern angepriesen und am besten per Einlauf verabreicht, soll nun auch gegen „Impfstoff-Shedding“ wirken. Hierbei handelt es sich um ein frei erfundenes Phänomen, wonach Geimpfte Ungeimpfte per Übertragung des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 krank oder unfruchtbar machen können. Für den Kopp-Verlag ist die Verbreitung solcher Desinformation durchaus lukrativ: Medial werden Umsätze in zweistelliger Millionenhöhe kolportiert.
Was früher eher als sonderbare Ansichten einiger auffälliger Charaktere abgetan wurde, bedroht mittlerweile zunehmend das soziale Gefüge unserer Gesellschaft. Denn die Maßnahmenverweigerung dieser Minderheit bedingte während der Pandemie immer striktere Freiheitsbeschränkungen für die Mehrheit. Zudem witterten Rechtsextreme in den Corona-Protesten eine Chance, ihre Ideologie zu verbreiten. Jene Menschen, die mit Badehauben, aber ohne Schutzmasken bekleidet und Schamanentänze vollführend hinter ihnen durch diverse österreichische Städte zogen, hatten offenbar wenig Interesse, sich von ihnen zu distanzieren. Egal, ob Esoteriker:innen, Rechtsextreme oder beides: Für logische Argumente und naturwissenschaftliche Fakten ist in dieser Gruppe jedenfalls niemand mehr empfänglich.
Am Ende der Pandemie stehen nicht nur gesellschaftliche Verwerfungen, gesundheitliche sowie wirtschaftliche Schäden und viel zu viele vermeidbare Todesfälle. Es bleiben auch einige unangenehme Fragen: In Anbetracht der vorherrschenden Wissenschaftsskepsis, wie konnte man da annehmen, dass die notwendige Impfquote mit neu zugelassenen, gentechnik-basierten Impfstoffen einfach so erreichbar sei? Warum durften unwissenschaftliche, gesundheitsschädliche alternative „Therapieformen“ so lange fast unwidersprochen in Gesellschaft, Medien und Politik grassieren? Warum wurde ihnen durch Ärzt:innen, Apotheker:innen, Politiker:innen, Wirtschaftskammer, Medien, ja sogar Universitäten ein seriöser Anstrich verliehen? Wie schaffen wir es, dass Naturwissenschaft künftig nicht mehr als nur eines von vielen gleichberechtigten „Glaubenskonzepten“ dargestellt wird? Wir werden uns diesen Fragen in einem ehrlichen Diskurs stellen und notwendige Reformen – vor allem im Bildungssystem – umsetzen müssen, um zumindest für die nächsten Krisen gewappnet zu sein.