Wissenschaftsskepsis – am Beispiel Gentechnik
Exemplarisch für die hierzulande verbreitete Wissenschaftsskepsis ist die von Beginn an kontroverse und oftmals emotional geführte öffentliche Debatte über Gentechnik, gleichermaßen auf die Spitze getrieben von Politik sowie Boulevard.
Nur wenige Technologien sind auch heute noch imstande, das österreichische Gemüt so zu erregen. Kein Wunder, werfen Kritiker:innen im Zusammenhang mit Gentechnik doch gerne Kampfbegriffe wie „Eugenik“, „Designerbaby“, „Pharmalobby“ und „Genfutter“ in den Ring, während Fürsprecher meist auf rationale Argumente statt Polemik setzen. Das Spiel mit der Angst der Bevölkerung inspirierte beispielsweise die Kronen Zeitung zu neuen Höhe- bzw. Tiefpunkten in puncto Schlagzeilen. 1997 titelte sie mit der Frage „Gen-Gefahr: Wird jetzt auch Krebs ansteckend?“ Für Expert:innen klingt das absurd – für viele Menschen war und ist es das damals wie heute nicht.
Gentechnologie greift tief in das Glaubensfundament vieler Menschen ein und wirft Fragen auf, auf die es keine trivialen Antworten gibt. Etwa, wie viel „Schöpfer spielen“ erlaubt sein soll, und zu welchem Zweck. Wie weit der Mensch auf seinem Weg des Erkenntnisgewinns gehen darf. Welche genetischen Eigenschaften erwünscht sind und welche nicht. Das alles sind hervorragende Fragen – für eine andere Debatte. Diverse philosophische Strömungen bieten für sie den richtigen Rahmen – für eine praktische Risikobewertung einer Technologie mit nach wie vor limitierten Möglichkeiten sind diese Debatten aber kaum relevant. Insbesondere was den Einsatz im Menschen betrifft.
Im Gegenteil: Sie verzerren den Diskurs, weil hypothetische Risiken über- und reale Chancen unterbewertet werden. Die Politik hat hier die wenig beneidenswerte Position inne, zwischen Risikominimierung einerseits und Innovationsmaximierung andererseits abzuwägen und zwischen beiden Polen zu vermitteln, ohne beide Seiten gleichermaßen zu vergraulen.
Vorbote der Impf-Ablehnung: Die Debatte über das Gentechnikgesetz
Als Beispiel für dieses Spannungsfeld seien hier einige Verfehlungen der österreichischen Politik im Umgang mit Gentechnik genannt. Im Bericht der 1992 durchgeführten parlamentarischen Enquete-Kommission betreffend „Technikfolgenabschätzung am Beispiel der Gentechnologie“ findet sich eine treffende Abbildung des bereits damals vorherrschenden Stimmungsbildes. In der Geschichte der Naturwissenschaft und Technik sei die Entwicklung der Gentechnik insofern einzigartig, als Anwender:innen und die Öffentlichkeit nicht vorrangig Chancen, sondern auch die Risiken intensiv diskutierten, heißt es darin. Während dies grundsätzlich positiv sei, sei der Prozess in der Praxis aber „keineswegs befriedigend“ verlaufen. Der Appell der Expert:innen lautete, eine „ausgewogene, die Gentechnik nicht einseitig benachteiligende und diskriminierende Auseinandersetzung“ anzustreben.
Das Ringen um ein Gentechnikgesetz, das genau diesen Wunsch einigermaßen abbilden sollte, zog sich über fünf Jahre. Eine Studie des Instituts für höhere Studien (IHS) aus dem Jahr 2008 zeigt die politischen Differenzen zwischen den beiden Regierungsparteien ÖVP und SPÖ vor allem zu Beginn des Gesetzgebungsprozesses deutlich auf. „Wirtschaft und Wissenschaft“ hätten das Gesetz anfänglich verhindern wollen, hieß es aus gentechnikkritischen Kreisen, die insbesondere in der Sozialdemokratie verortet waren. Ein früher Entwurf des SPÖ-geführten Gesundheitsministeriums aus dem Jahr 1991 trug gar den Suggestivtitel „Bundesgesetz […] über Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit des Menschen einschließlich seiner Nachkommenschaft und der Umwelt vor Schäden durch gentechnologische Eingriffe“.
Den schlussendlichen Begutachtungsentwurf – mit fast gleichlautendem Titel – lehnten insbesondere die ÖVP-geführten Bundesministerien für wirtschaftliche Angelegenheiten, Land- und Forstwirtschaft sowie Wissenschaft und Forschung strikt ab. Er sei zu überreguliert und zu bürokratisch, Forscher:innen könnten abwandern, die Chancen der Technologie würden nicht ausreichend genutzt. Expert:innen aus Wissenschaft und Forschung kritisierten den Gesetzesentwurf ebenfalls vehement. Unterdessen erhielten die Gentechnikkritiker:innen der SPÖ vor allem durch die drastische „Anti-Gen-Lobby“-Rhetorik der Grünen, der Kronen Zeitung und einiger NGOs wie Global 2000 Unterstützung.
Die negative Grundhaltung gegenüber Gentechnik, die den Gesetzesentwurf prägte, die Vermischung des Einsatzes der Technologie in Landwirtschaft und Medizin in einem einzigen Gesetz, das angedachte Verbot der Genanalyse im Menschen – Wissenschafts- und Forschungsfeindlichkeit waren wesentliche Bestandteile der Genese des Gentechnikgesetzes, das 1994 schlussendlich – eher zugunsten der Forschung und des Wirtschaftsstandorts – in abgeänderter Form unter dem Titel „Bundesgesetz, mit dem Arbeiten mit gentechnisch veränderten Organismen, das Freisetzen und Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen und die Anwendung von Genanalyse und Gentherapie am Menschen geregelt werden“ beschlossen wurde.
Konsequenzen der negativen Stimmungsmache
Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass im Jahr 1997 mehr als 1,2 Millionen Menschen das Gentechnik-Volksbegehren unterstützten, darunter laut Innenministerium acht Nationalratsabgeordnete der Grünen. Mit rund 21 Prozent Stimmbeteiligung ist es nach wie vor das zweiterfolgreichste Volksbegehren in der Zweiten Republik. Laut Greenpeace waren Österreich und Deutschland damals die einzigen EU-Länder, die Gentechnik strikt ablehnten. Die NGO wertet es als Erfolg, dass im Laufe der Zeit auch viele andere EU-Staaten diese Haltung einnahmen. 1999 führte Österreich als erstes Land der Welt das „Gentechnik frei“-Gütesiegel ein.
Auch heute noch überbietet man sich fraktionsübergreifend in Zusicherungen, Gentechnik werde in österreichischen Nahrungsmitteln nicht zum Einsatz kommen, auch dann nicht, wenn etwa Verträglichkeit, Ertrag und Klimawandelresistenz ohne Nebenwirkungen für Mensch und Umwelt gesteigert werden könnten. Denn das von Expert:innen empfohlene Überdenken der strengen Regulierung von CRISPR/Cas9, der „Genschere“, die laut wissenschaftlichem Konsens aufgrund anderer Funktionsmechanismen von bisherigen gentechnologischen Methoden abzugrenzen ist, wird von fast allen Parteien strikt abgelehnt. Man beugt sich weiterhin der negativen Stimmung in der Gesellschaft, die man selbst mitverschuldet hat.