Wo Türkis-Grün umgefallen ist
Viele Versprechen aus dem türkis-grünen Regierungsprogramm wurden nicht eingehalten. Ob bei Wirtschaft, Bildung oder Transparenz: In wesentlichen Bereichen mit Reformbedarf ist zu wenig weitergegangen.
„Eine Entlastung der Menschen, eine Senkung der Steuer- und Abgabenquote in Richtung 40 %.“
Mit diesem Satz im Regierungsprogramm hätte man zu Beginn der Legislaturperiode schon fast zufrieden sein können. Genau wie mit vielen anderen. Denn man kann der türkis-grünen Bundesregierung zwar viel vorwerfen – einen Mangel an sinnvollen Ideen, die ins Programm geschrieben wurden, sicher nicht. Aber das ist das traurige Schicksal guter Ideen in politischen Dokumenten: Sie halten selten alles, was sie versprechen, wie diese Entwicklung zeigt:
Schauen wir also auf das Regierungsprogramm und das „Beste aus beiden Welten“ – und darauf, was sich wirklich getan hat.
1. Der Standort Österreich fällt weiter zurück
Man muss kein Doomsdayer sein, um festzuhalten: Österreichs Wirtschaftsstandort ging es schon mal besser. Was nicht nur an Grundkrankheiten wie der absurd hohen Steuerlast auf Arbeit liegt, sondern auch daran, dass wesentliche Reformen versäumt wurden und werden. Eine Standortstrategie, die im Regierungsprogramm angekündigt wurde, fehlt genauso wie eine Gesetzeslage für sogenannte „Regulatory Sandboxes“ – also ein Rahmen, in dem Unternehmen ohne bürokratische Hürden ausprobieren können. Diese gibt es übrigens zum Teil schon, etwa durch den AI Act auf EU-Ebene, um künstliche Intelligenz auszuprobieren – man hätte das Rad also wirklich nicht neu erfinden müssen.
Es geht weiter mit qualifizierter Zuwanderung: Die Rot-Weiß-Rot-Karte wurde nicht überarbeitet, um qualifizierte Zuwanderung zu erleichtern, und auch eine neue Unternehmensform mit unkomplizierter Gründung wurde nicht eingeführt. Hier wäre es gut, wenn sich die Politik an Best Practice orientieren würde: Nach dem Vorbild Estlands sollte es jederzeit möglich sein, sich digital und ohne großen bürokratischen Aufwand selbstständig zu machen. Die wichtigste Aufgabe von Unternehmerinnen und Unternehmern sollte nicht sein, sich mit Formularen, Förderungen und Behörden zu beschäftigen und einen Notariatsakt auszufüllen – sondern zu arbeiten. Türkis-Grün hat das zumindest angedacht, aber nicht umgesetzt.
2. Außenpolitisch sind wir völlig abgemeldet
Wer erinnert sich noch an den Angriff Russlands auf die Ukraine? Eh klar – wir alle. Aber so selbstverständlich scheint das nicht zu sein: Denn die Bundesregierung, die mehrmals lautstark eine neue Sicherheitsstrategie angekündigt hat, hält immer noch an unserer alten Doktrin fest. Eine neue wurde zwar von Expertinnen und Experten erarbeitet, verstaubt aber in einer Schublade. Der Mut, eine unangenehme, aber wichtige Änderung zu beschließen, ist im Wahlkampf nicht groß genug. In der Strategie von 2013 wird Putins Staat übrigens noch als „Partner“ gesehen.
Wenig überraschend ist in dieser Hinsicht auch, dass Österreich nach wie vor an russischem Gas festhält. Während sich andere Staaten von dieser Abhängigkeit gelöst haben, gibt Österreich fast so viel für die Gazprom aus wie noch vor dem Krieg – es hat sich also nichts verändert. Das ist aus zwei Sichtweisen verheerend: 1) Mit diesem Geld wird er Krieg in der Ukraine weitergeführt. 2) Eine Regierung, die sich den Umweltschutz auf die Fahnen heftet – „Wen würde das Klima wählen?“ – muss daran arbeiten, aus Gas auszusteigen. Beides ist nicht gelungen: Österreich bleibt weiter durch einen Diktator erpressbar.
3. Stillstand in der Bildungspolitik
Auch im wichtigen Bereich Bildungspolitik bleibt die Regierung hinter ihren Versprechungen zurück. Angekündigte Verbesserungen in der Elementarpädagogik, etwa im Bereich Tageseltern, wurden genauso versäumt wie die Einführung der täglichen Turnstunde – eine Debatte, an die sich viele seit ihrer eigenen Schulzeit erinnern können. Auch hier hatte Türkis-Grün also gute Ideen im Programm. Sie wurden einfach nicht umgesetzt.
Das mag auch damit zu tun haben, dass Minister Polaschek der wahrscheinlich visionsloseste Minister der Zweiten Republik ist. In einem Interview mit der Presse hielt er etwa fest, dass der Ball in der Bildungspolitik bei den Expertinnen und Experten liege. Ein fundamentales Missverständnis davon, was Politik bedeutet: Wer in der Bildung nichts verändern will, hat in der Politik nichts verloren.
Besonders wichtig wäre die Einführung einer mittleren Reife. Denn das neunte Schuljahr ist für viele momentan eine schlechte Lösung – jeder fünfte Fünfzehnjährige kann danach nicht sinnerfassend lesen. Um dem entgegenzusteuern, braucht es bundesweit einheitliche Mindeststandards bei Grundkompetenzen wie Lesen und Schreiben auf Deutsch und Englisch, aber auch Mathematik. Auch das stand im Regierungsprogramm, bleibt aber ein schönes Gedankenspiel.
3. Medienpolitik hinterlässt Baustellen
Man kann nicht behaupten, dass sich unter Türkis-Grün gar nichts verändert habe, siehe etwa durch das Aus der gedruckten Wiener Zeitung und die Umstellung von GIS auf eine Haushaltsabgabe. Die ORF-Landesabgaben, ein Körberlgeld für die Bundesländer, bleiben aber weiterhin möglich – die Chance, ehrlich mit den Bürgerinnen und Bürgern zu sein, wurde verpasst. (In der Wiener Stadtregierung wurde diese Abgabe übrigens durch NEOS abgeschafft.)
Die großen Baustellen bleiben aber weiterhin ungelöst: Der ORF wird nach wie vor parteipolitisch besetzt, eine Gremienreform bleibt aus. Und auch Inseratenkorruption, also das Anfüttern freundlicher Berichterstattung durch Steuergeld, bleibt nach wie vor möglich. Entweder diese Reformen wurden einfach vergessen, weil sie der Regierung nicht wichtig waren. Oder aber man setzt bewusst darauf, in der nächsten Legislaturperiode neue Posten zu besetzen und neue Deals machen zu können. Beides wäre fatal für Österreich – in der Medienpolitik muss schleunigst aufgeräumt werden.
Handlungsbedarf trotz guter Ideen
Das sind längst nicht alle Bereiche, in denen die Bundesregierung unter ihren Möglichkeiten geblieben ist. Denn wie anfangs erwähnt: Es waren viele gute Ideen im Regierungsprogramm. Stand 2019 wussten die ÖVP und die Grünen also um zumindest einige der Herausforderungen, die Österreich bewältigen muss, und hatten auch einige gute Ideen, die aus liberaler Sicht unterstützenswert wären. Ein Auszug:
- Das Senken der Schuldenquote, um sich den Maastricht-Vorgaben anzunähern.
- Das automatische Pensionssplitting, das Frauen aus der Altersarmut helfen würde.
- Die Einführung einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft.
- Das Klimaschutzgesetz, das einen verbindlichen Pfad vorgibt, wie Österreich seine Klimaziele erreicht.
- Die Einführung einer Behaltefrist für Wertpapiere, nach der sie KESt-frei werden.
- Die Vorgabe bundesweit einheitlicher Standards in der Elementarbildung.
- Die Ausverhandlung neuer Rücknahmeabkommen mit Herkunftsstaaten von Flüchtlingen.
Und ja, es gab eine Pandemie. Niemand sagt, dass Regieren in dieser Zeit leicht war oder dass alles richtig gemacht wurde. Gerade in den letzten Jahren hat Türkis-Grün nichts davon abgehalten, sinnvolle Anliegen miteinander umzusetzen. Aber der Mut hat sie offenbar verlassen. In der nächsten Regierung braucht es eine liberale Reformpartei, die diese Themen wirklich angeht, statt sie nur auf Papier zu schreiben. Und dafür gibt es nur eine Option.