Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Düstere Aussichten
Seit zwei Jahren herrscht wieder Krieg in Europa. Am 24. Februar jährt sich der Überfall Russlands auf die Ukraine, ein trauriger Jahrestag, der an das Leid der Bevölkerung erinnert. Es ist auch ein guter Zeitpunkt für eine Reflexion über den Stand der Dinge. Nicht nur, was die Front angeht, sondern vor allem auch die Entwicklungen in der Ukraine, in Russland und der Welt. Und der Sukkus ist ein grimmiger – es sieht heuer erheblich trüber aus als vor einem Jahr.
Kurz vor dem zweiten Jahrestag des Ausbruchs des Kriegs muss die ukrainische Armee sich aus der heftig umkämpften Stadt Awdijiwka im Osten des Landes zurückziehen. Nach monatelangen Kämpfen konnte nur so die Einkesselung der Truppen verhindert werden. Russland hat damit einen symbolischen Sieg errungen – und nun werden auch Vorwürfe laut, dass russische Truppen dort schwer verwundete ukrainische Soldat:innen erschossen haben sollen.
Es ist ein grimmiges Beispiel für die Schwierigkeiten, die die Ukraine aktuell an der Front hat. Die Gegenoffensive des Vorjahrs hatte unter hohem Blutzoll nur wenig Geländegewinn gebracht, und Russland kann die Frontlinie aktuell nicht nur halten, sondern sogar Gewinne verzeichnen. Darüber hinaus gibt es auch innerhalb der ukrainischen Regierung und Militärführung Spannungen. Anfang Februar wechselte Präsident Selenskyj den Generalstabschef Walerij Saluschnyj aus, der „General des Volkes“, soll sich gegen die Absetzung gewehrt haben, doch Selenskyj soll, laut Medienberichten, Sorge über die große Popularität Saluschnyjs gehabt haben.
Diese Entscheidung Selenskyjs ist nicht populär und auch gefährlich. Nicht nur in Bezug auf die militärische Lage im Krieg mit Russland. Risiken birgt die Entfernung Saluschnyjs vor allem für den Präsidenten selbst – denn mit einem Mal ist es weg, sein so sorgsam gepflegtes Image eines Präsidenten aller Ukrainer:innen, der die Interessen des Landes vor die eigenen stellt. Die Entlassung ist der letzte Punkt in einem wochenlangen Schauspiel voll gekränkten Stolzes und beleidigter Gesten, das tiefe Einblicke hinter die Kulissen gewährte.
Offenbar gibt es Spannungen zwischen Militärführung und Regierung: Denn Saluschnyj war skeptisch gegenüber der von Selenskyj großangekündigten Sommeroffensive 2023. Hochrangige Militärs aus dem engeren Umfeld des Generals betonten dazu immer wieder, dass es militärische Pläne für eine solche Sommeroffensive nie gegeben hatte, der Präsident das aber ignorierte. Trotzdem war es dann Saluschnyj, der von der Regierung für die als gescheitert angesehene Offensive geradestehen musste. Und was das Unverständnis über die Absetzung des Generals noch vergrößert: Saluschnyjs Nachfolger ist ausgerechnet einer jener Militärs, der als Oberkommandant der Landstreitkräfte und Vertrauter Selenskyjs tatsächlich für die schlampige Umsetzung der Sommeroffensive verantwortlich war.
Im zweiten Jahr des Kriegs scheint es für die Regierung also schwerer zu werden, nach außen Geschlossenheit zu zeigen und damit Vertrauen in der Bevölkerung zu bilden. Auch das notwendige Verschieben der für heuer geplanten Wahlen ist, so nachvollziehbar es auch ist, ein schwieriger Balanceakt. Es wird nicht leichter für die Regierung Selenskyjs, das Land im Krieg stabil zu führen – vor allem auch wegen der aktuell ausbleibenden Erfolgsmeldungen von der Front. Und das hat direkt auch mit der nächsten Baustelle im Krieg zu tun: dem teilweise schwankenden Interesse des Westens.
Der Westen lässt die Ukraine zappeln
Es waren dramatische Worte, die Präsident Selenskyj Mitte Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz wählte. Die Lage an der Front sei „äußerst schwierig“. Probleme gebe es an Frontabschnitten, wo Russland die größten Reserven konzentriert hätte. „Sie nutzen Verzögerungen bei der Hilfe für die Ukraine aus.“ Selenskyj beklagte den Mangel an Artilleriegeschossen, an Flugabwehrsystemen im frontnahen Bereich und an weitreichenden Raketen. Die Botschaft des Präsidenten ist klar: Die Ukraine braucht schnellere Waffenlieferungen, die Ukraine müsse unbedingt die Lufthoheit erlangen, um an den Fronten im Abwehrkampf gegen Russland wieder Erfolge zu haben.
Die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen sprang Selenskyj bei der Münchner Sicherheitskonferenz unterstützend bei und sprach an, was auch Militäranalyst:innen seit einiger Zeit betonen: Die stockenden Militärhilfen des Westens sind aktuell das größte Hemmnis für die Ukraine an der Front und steigern das Risiko eines großen Durchbruchs der Russen. Vor allem Artilleriemunition fehlt aktuell massiv. Denn die von der EU der Ukraine versprochenen eine Million Stück an Munition bis März werden höchstwahrscheinlich nicht machbar sein. Nur die Hälfte davon, verkündete die EU-Kommission bereits im Jänner – die europäische Produktion würde nicht schnell genug ausreichend produzieren können. Frederiksen kündigte zwar an, Dänemarks gesamte Artilleriemunition an die Ukraine zu spenden, doch das dürfte die Lücke nicht füllen.
Die Frustration Frederiksens teilt auch der tschechische Präsident und ehemalige NATO-General Petr Pavel. Er bemüht sich nun darum, dass die EU auch an Waffenproduzenten außerhalb der EU herantritt, um Munition zu kaufen. Doch das wird aktuell von Frankreich, dem größten Waffenproduzenten innerhalb der EU, blockiert.
Das politische Tauziehen um die Militärhilfen für die Ukraine ist aber vielleicht nur ein Vorgeschmack auf die Probleme, die die EU haben könnte, wenn es um die Unterstützung der Ukraine geht. Denn bei den anstehenden Wahlen des EU-Parlaments dürften rechtspopulistische bis rechtsextreme Parteien, die die Ukraine-Hilfen kritisieren, massiv dazugewinnen. Ein zersplittertertes EU-Parlament würde es schwerer machen, in der EU an einem Strang zu ziehen.
Auch eine mögliche Kanzlerschaft von Herbert Kickl nach den Nationalratswahlen im Herbst könnte Einigungen auf neue Hilfen im Rat der Staats- und Regierungschefs noch schwieriger machen – und das, obwohl Österreich jetzt schon im Vergleich kein großer finanzieller Unterstützer der Ukraine ist. Aktuell gibt es mit Ungarns Viktor Orbán und dem slowakischen Regierungschef Robert Fico bereits zwei Staatschefs, die skeptisch gegenüber weiterer Unterstützung sind und Verhandlungen dazu immer blockieren oder in die Länge ziehen.
Zusammen mit der innenpolitischen Blockade in den USA durch die von Donald Trump geführten Republicans ist der Westen zum zweiten Jahrestag des Ausbruchs des Kriegs ein überlebensnotwendiger, aber unsicherer Verbündeter der Ukraine geworden. Und es kann durchaus sein, dass es im dritten Kriegsjahr nicht besser werden wird.
Putins Regime zieht die Daumenschrauben an
Auch in Russland unter Wladimir Putin zeigen sich Abnützungserscheinungen: Das Regime verstärkt seine Kontrolle und versucht Dissens im Keim zu ersticken. Vor allem vor den Präsidentschaftswahlen im März zeigt sich die Nervosität der Führung. Dem populären Oppositionellen und Kriegsgegner Boris Nadeschdin wurde eine Kandidatur bei der Wahl verboten, mit dem Vorwand, dass zu viele seiner eingereichten Unterstützungserklärungen „fehlerhaft“ seien.
Und auch die Ermordung Alexei Nawalnys zeigt, wie sehr das Regime aktuell die Daumenschrauben anzieht. Zwar funktioniert die Desinformationskampagne im Westen, doch der Druck innerhalb Russlands steigt für Putin. Ein schwaches Ergebnis bei den Wahlen, auch wenn ein Sieg Putins feststeht, wäre peinlich und ein Zeichen der Schwäche. Gleichzeitig ist noch nicht absehbar, wie sehr der Zorn der Bevölkerung über den Tod Nawalnys noch wachsen wird – und über die Verhaftungen von Trauernden auf den Straßen der russischen Städte.
Ein unvorhersehbares drittes Kriegsjahr
Was das dritte Jahr Krieg bringen wird, ist schwer absehbar. Ob die Unterstützung des Westens wieder stärker wird, wird massiv vom Ausgang der Wahlen des EU-Parlaments und im November in den USA abhängen. Mit Donald Trump im Weißen Haus ist es schwer vorstellbar, dass die USA weitere Unterstützung leisten werden. Gleichzeitig kann es sein, dass Russlands Führung durch den wachsenden Ärger und Zorn der Bevölkerung geschwächt wird. Der russische Oppositionelle Aleksei Miniailo geht davon aus, dass Russland heuer noch die Geldreserven aus über 20 Jahren Erdöl und Erdgas-Verkauf für die Finanzierung des Kriegs aufgebraucht werden könnte. Und damit schwächer nach außen und nach innen wäre.
Was von diesen Möglichkeiten eintritt, wird sich zeigen. Doch währenddessen geht das Sterben an der ukrainischen Front in Europa weiter.