Wehrpflicht nach skandinavischem Vorbild – ein möglicher Weg für Österreich?
Um das Bundesheer zu verbessern, muss man die Wehrpflicht nicht abschaffen. Österreich könnte die Politik aus skandinavischen Staaten übernehmen, um den Grundwehrdienst attraktiver zu machen und junge Menschen zu motivieren.
Vor etwas mehr als zehn Jahren, im Jänner 2013, wurde in Österreich das letzte Mal ernsthaft über eine Änderung der Wehrpflicht diskutiert. Damals stimmten die Österreicher:innen bei einer Volksabstimmung mit knapp 60 Prozent für die Beibehaltung der derzeitigen für alle männlichen Staatsbürger geltenden allgemeinen Wehrpflicht. Größere Reformen blieben seitdem aus, das Bundesheer klagt immer wieder über finanzielle und strukturelle Probleme, Nachwuchs für die Landesverteidigung fehlt.
Vor allem aber fehlt es dem Bundesheer an Rekruten: Immer mehr junge Männer entscheiden sich für den Zivildienst oder sind untauglich. Außerdem gelingt es nicht effektiv, Frauen anzusprechen – unsere Streitkräfte werden immer noch als Männerbastion angesehen. Das steht dem Bundesheer bei zwei Zielen im Weg: sich zu modernisieren und den Grundwehrdienst attraktiver zu machen. Ein Blick ins Ausland, vor allem nach Skandinavien, könnte aus liberaler Sicht ein realistisches Zukunftsmodell aufzeigen.
Dänemark: Zur Verpflichtung motiviert
Grundsätzlich gibt es in Europa zwei Arten von Armeen: Die meisten europäischen Staaten wie Frankreich, Italien oder Deutschland setzen auf eine Berufsarmee und ziehen grundsätzlich keine Staatsbürger:innen gegen ihren Willen ein. Es wird auf Freiwilligkeit gesetzt. Als Kontrast gibt es die Wehrpflicht mit einem ähnlichen System wie in Österreich außerdem noch in der Schweiz und in Finnland.
Dänemark, Schweden und Norwegen gehen mit ihrer Wehrpflicht jedoch einen Mittelweg: Obwohl in allen drei Ländern grundsätzlich eine Wehrpflicht besteht, werden nicht alle Staatsbürger eines Jahrgangs eingezogen. In Dänemark umfasst das wie bei uns nur die männlichen Staatsbürger: Dort müssen alle 18-Jährigen zum sogenannten forsvarets dag, dem Tag der Verteidigung erscheinen, vergleichbar mit der Stellung in Österreich.
Der Fokus liegt jedoch nicht allein auf der Feststellung der Tauglichkeit – vielmehr will man junge Menschen für den Militärdienst begeistern und beraten. Wird man später als geeignet beurteilt, zieht man ein Los. Melden sich nicht genügend junge Männer freiwillig zum Dienst, kann man je nach gezogener Nummer unfreiwillig eingezogen werden. Laut dänischem Verteidigungsministerium werden jedoch 99 Prozent aller Wehrdienstvereinbarungen freiwillig abgeschlossen.
Schweden und Norwegen: Auch Frauen werden ausgewählt
Dieses System hat mehrere Vorteile: Dänemark schafft es auf der einen Seite, sein Heer fast vollständig ohne Zwang wehrfähig zu halten und die Anzahl der Rekruten an die geopolitische Sicherheitslage anzupassen. Auf der anderen Seite sind ebendiese Rekruten, bedingt durch die Freiwilligkeit, hochmotiviert.
Auch Schweden agiert ähnlich: Dort gilt das Wehrpflichtgesetz wie in Norwegen seit 2010 aber auch für Frauen. Nach der Stellung werden die bestgeeigneten ausgewählt, 2019 waren es 4.500 Schwed:innen, davon 720 Frauen. Durch die Geschlechtergleichheit können beide Länder auf einen größeren Pool an Wehrfähigen zurückgreifen: In Norwegen treten ungefähr 15 Prozent der 19-Jährigen den Militärdienst an, in Schweden sind es 4 Prozent. In Norwegen gibt es sogar mehr Interessenten als Ausbildungsplätze. Beide Länder werden durch die Forschung bestätigt: Eine Studie der Universität Oslo zeigt, dass durch die bessere Durchmischung der Geschlechter Geschlecht und Stereotype an Bedeutung verlieren.
Eine bessere Wehrpflicht ist möglich
Der Blick nach Skandinavien zeigt, dass eine Neujustierung des Wehrsystems durch politischen Willen möglich ist. Dabei wird auf eine Kombination aus Pflicht- und Freiwilligenmodell gesetzt. Eine Zwangsrekrutierung wie in Österreich ist nur eine ergänzende Säule, aber nicht die Norm. Außerdem wird ein höherer Grad an Geschlechtergleichheit erreicht – Mitglied der Streitkräfte wird man durch Qualifikation, nicht durch Geschlecht. Dieses System hätte für Österreich mehrere Vorteile: Mit einer geschlechterneutralen Wehrpflicht nach schwedischem Vorbild könnte Österreich die Anzahl der potenziell Wehrpflichtigen verdoppeln, so besser geeignete Rekrut:innen finden und gleichzeitig für mehr Gleichstellung sorgen.
Skandinavien zeigt uns Wege, um den Grundwehrdienst zu modernisieren und für junge Menschen attraktiver zu machen. Wenn dies im Einklang mit unseren Zielen und Werten steht, könnte Österreich sein Wehrpflichtsystem adaptieren, um auch in Zukunft den Anforderungen des Landes gerecht zu werden.
LUCA MODL studiert Politik und Internationale Beziehungen am Forward College in Lissabon.