Hippokrates 2.0 oder Wie ich lernte, KI zu lieben
Wir brauchen eine ethische und politische Diskussion bei künstlicher Intelligenz.
Jennifer Doudna hatte einen Albtraum. In ihm erschien Adolf Hitler und erkundigte sich nach Genom-Editierung – der Technik, um unser Erbgut zu verändern, für die Doudna 2020 den Nobelpreis erhielt. Sie malte sich aus, was passieren würde, hätte jemand von Hitlers Fähigkeit zum Bösen Zugang dazu. Schon 2015 lancierte Doudna die Forderung nach einem Moratorium der embryonalen Genom-Editierung, bis es mehr Klarheit gäbe, was moralisch und rechtlich erlaubt sein sollte.
Tatsächlich veränderte der chinesische Forscher He Jiankui als Erster Gene von Embryos. Die 2018 geborenen Zwillinge Nana und Lulu seien resistent gegen das HI-Virus, das Aids verursacht. In der Folge beabsichtigte He, eine Firma für Medizintourismus zu gründen, die es betuchten Klienten ermöglichen würde, Genom-optimierte Kinder in Auftrag zu geben.
Es folgten ein Aufschrei durch die Welt und Diskussionen über ein Regelwerk zum Eingriff in das Genom von Ungeborenen. He wurde wissenschaftlich geächtet und zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt.
Autonome Entscheidung zum Töten
Während wir über Designerbabys lebhafte Diskussionen haben, fehlen sie im Bereich künstliche Intelligenz (KI) großteils. Der Stand der KI-Forschung ist weniger weit als der der Biomedizin. Allerdings werden z.B. autonome Waffensysteme, sogenannte Killerroboter, schon bald in der Lage sein, autonom zu entscheiden, wen sie töten.
Die Zeit drängt also. Aber die Ausgangsvoraussetzungen sind schlechter. Mediziner beschäftigen sich seit Hippokrates mit ethischen Fragen. Technologen haben diese Tradition weniger.
Die Gedankenwelt des Silicon Valley und seiner weltweiten Epigonen ist eine, die der Stanford-Professor Rob Reich „technische Optimierung“ nennt. Auch wenn die Chefs großer Unternehmen wie Facebook, Amazon und ByteDance (der Mutter von Tiktok) gute Absichten haben mögen, sehen sie Probleme als messbar und mit den geeigneten technischen Mitteln als lösbar an. In Verbindung mit Venture-Capital-Unternehmen, die Startups finanzieren, ergibt sich eine Obsession mit Größe – sie wollen die Welt erobern und tun das, wenn sie neue Services entwickeln, die einen Nerv treffen.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
Lieber reich werden
Die Folge beschreibt Reich so: Ein Student im ersten Semester kam in die Sprechstunde und erzählte von einem Projekt, das er starten wollte, um den Journalismus in autoritären Ländern zu retten. Als Reich ihn im zweiten Semester wiedertraf, erzählte der Student von seinem geplanten Sommerpraktikum in einem Finanztechnologie-Startup. Auf Reichs Frage, was denn mit dem Journalismusprojekt sei, sagte der Student: „Jaja, aber mit Fintech kann ich reich werden!“
Peter Thiel, der Milliardär und Arbeitgeber von Sebastian Kurz, ist repräsentativ für Techno-Optimierer, wenn er meint, dass die Welt keine Demokratie, sondern wohlwollende Techno-Diktatoren brauche. Die Gefahr ist, dass erfolgreiche Giga-Unternehmen uns ihr Weltbild aufzwingen. Wirkmächtige Technologien, die unser Leben dominieren, codieren Werte, die wir uns nicht ausgesucht haben, und die wir oft gar nicht bemerken.
Biomedizin hat eine ethische und politische Diskussion, die bei KI noch fehlt. Wir brauchen sie.