Wie kultivierte Wissenschaftsfeindlichkeit die Krise zum Normalzustand macht
Österreichs Bevölkerung und Wissenschaft gehen nur schwer zusammen. Das grundsätzliche Interesse, sich mit Wissenschaft zu beschäftigen, ist bei uns recht schwach ausgeprägt. Bei der Frage, ob Biotechnologie in den nächsten 20 Jahren einen positiven Effekt auf unser Leben haben wird, stimmen hierzulande nur 55 Prozent zu – der niedrigste Wert aller EU-Länder. Bei Fragen nach der Ehrlichkeit von Wissenschaftlern und beim Glauben, dass Wissenschaft einen positiven Einfluss auf die Gesellschaft hat, landen wir auf den hintersten Plätzen. Zu diesen Schlüssen kam die letzte Eurobarometer Umfrage „European citizens’ knowledge and attitudes towards science and technology“ (2021) der Europäischen Kommission.
Länder mit höheren Impfquoten wie Portugal schneiden in allen diesen Punkten wesentlich besser ab. Ob nur Korrelation oder tatsächlich Kausalität, lässt sich aus dieser Erhebung zwar nicht einfach so schließen, mitten in der COVID-19-Pandemie liefert sie aber einen willkommenen Einblick, warum das Krisenmanagement so schwierig ist: Die gentechnikbasierten Impfstoffe, Resultate langjähriger Forschung und der einzige nachhaltige Weg in eine post-pandemische Welt, treffen auf eine der wissenschaftsskeptischsten Bevölkerungen in der gesamten EU.
Die Angst vor der Impfung überwiegt bei vielen die Angst vor der Erkrankung selbst. Impfstoffe und Gentechnik, dieser Mix ist vielen nicht geheuer. Ein Mangel an scientific literacy, also naturwissenschaftlicher Grundbildung, in der österreichischen Bevölkerung fällt uns jetzt auf den Kopf. Das ist keineswegs nur bei Pandemien der Fall, auch beim Klimawandel stellt das eine ganz wesentliche Hürde dar: Ohne Basiswissen ist es vielen Menschen inmitten der vorherrschenden Informationsflut kaum mehr möglich, zwischen richtig und falsch, plausibel und unplausibel, glaubwürdig oder absurd zu unterscheiden. Schnell stellt sich der sogenannte confirmation bias ein – vertraut wird nur der Information, die das eigene Weltbild bestätigt. Der „Dunning-Kruger-Effekt“, wonach Menschen mit mangelnder Kompetenz ihr eigenes Wissen überschätzen, tut sein Übriges. Halb- oder Unwahrheiten finden, gepaart mit ihrer Verbreitung in Echtzeit über das Internet, unter diesen Bedingungen den perfekten Nährboden.
Vorwerfen kann man das realistisch betrachtet den Wenigsten. Denn die Wissenschaft ist viel zu leise, während jene, die sie ablehnen, viel zu laut sind. Zu lange haben sich viele Wissenschaftler:innen bzw. die Institutionen, denen sie angehören, nicht ausreichend darum bemüht, den Diskurs mit der Bevölkerung zu suchen, obwohl allein im Jahr 2022 rund 3,8 Milliarden Euro im Bundesbudget – also Steuergeld – für Forschung und Entwicklung vorgesehen sind. Für die öffentlichen Universitäten sind in den Jahren 2022–2024 rund 12,3 Milliarden Euro vorgesehen.
Das ist ohne Frage gut so, Forschung und Entwicklung waren in Österreich lange Jahre unterdotiert. Investitionen in diesen Bereich sind, wie man so schön sagt, Investitionen in die Zukunft. Aber das Bewusstsein, dass der Steuerzahler als Financier ein Recht darauf hat zu erfahren, wohin diese Summen fließen, welche Erkenntnisse gewonnen werden, welche Einrichtungen damit finanziert werden, und zwar in einer Sprache, die er auch verstehen kann, erhielt erst durch die Pandemie einen seit langem notwendigen Schub. Interessanterweise geschieht dies hauptsächlich aus Eigenantrieb von Wissenschaft und Medien. Ernstzunehmende Investitionen in Wissenschaftskommunikation seitens der Politik findet man nur sporadisch.
In Anbetracht all dessen war es fast schon absehbar, dass wir an der Pandemiebekämpfung gesamtgesellschaftlich scheitern werden. Auch die Argumente, wonach die Impfpflicht gegen COVID-19 ein Resultat der schlechten Kommunikation und Performance der Regierenden während der Krise sei, sind daher gewissermaßen irreführend: Wir haben es bei Wissenschaftsfeindlichkeit nicht mit einem neuen Phänomen zu tun, das man durch bessere Infokampagnen irgendwann im Laufe dieser Pandemie ganz einfach entzaubern hätte können. Berichte über immer mehr Zulauf zu Esoterik und Alternativmedizin bei gleichzeitig wachsender Impfskepsis und Ablehnung wissenschaftlicher Neuerungen wie Gentechnik gab es bereits Jahrzehnte vor dieser Pandemie. Die Warnungen waren da – sie wurden nur nicht gehört.