Wie viel KI braucht intelligenter Journalismus?
Wenn mit KI Computerprogramme gemeint sind, die Muster erkennen und einordnen können, die mithilfe von Dateneingaben immer besser werden, und die seit einiger Zeit auch ohne Menschenhilfe Bilder und Texte erzeugen, dann wird KI bereits seit einigen Jahren auch im Nachrichten-Journalismus erfolgreich eingesetzt. Allerdings kaum für elaborierte journalistische Formate, sondern vor allem für die Routine-Berichterstattung, die wiederholende und klar strukturierte Formen aufweist – beispielsweise für Recherchezwecke, Textübersetzungen, Transkriptionen von audio-visuellem Material, der Distribution von Inhalten sowie für das automatisierte Schreiben von Beiträgen (wie etwa Wahl- oder Sportberichte) oder das Erstellen von Radiomeldungen oder Social-Media-Posts.
Die Gretchenfrage lautet: Wie viel KI braucht intelligenter Journalismus? Und eine erste Antwort ist: Intelligenter Journalismus braucht KI, weil er schlichtweg zukünftig nicht mehr ohne sie auskommen wird. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, kann KI den journalistischen Workflow effizienter machen, um damit Redakteure zu entlasten. Zunächst wird durch KI aber die Kernkompetenz von Journalismus auf den Prüfstand gestellt: Redakteure sammeln Themen, priorisieren deren Auswahl gemäß ihrem Nachrichtenwert bzw. ihrer Relevanz und Dringlichkeit für ihren jeweiligen Adressatenkreis, prüfen die gesammelten Daten auf Vertrauenswürdigkeit und informieren dann die Öffentlichkeit über gesellschaftliche Vorgänge.
KI = von Vorteil
Gut zertifizierte KI-Assistenzsysteme könnten Journalistinnen und Journalisten dabei helfen, transparent zu machen, nach welchen Kriterien eine Auswahl der Nachrichten getroffen wurde. Das könnte auch der Reflexion der getroffenen Nachrichtenauswahl in der Redaktion dienen. Vorteile der Nutzung von KI liegen zudem auch für die Content-Produktion auf der Hand: Von KI gestützte Software erleichtert die Recherche, insbesondere bei der Sortierung und Auswertung großer Datenmengen oder der Abschrift von Audiodateien. Dasselbe gilt für die Erstellung von Grafiken und Illustrationen. Auch beim Erkennen von Falschnachrichten und Spam im Web oder auf Social-Media-Plattformen kann KI zum Einsatz kommen.
Mediale Inhalte können dank KI zudem immer genauer aufs Publikum zugeschnitten werden (beispielsweise in Form von personalisierten Nachrichten nach geografischen Parametern und bekannten Präferenzen). Sie lassen sich sekundenschnell automatisiert generieren und verbreiten. Insbesondere für News-Ticker, aber auch für Sport- oder Börsenberichte ist diese schnelle, automatisierte Texterstellung und Distribution ein Gewinn im Wettbewerb um die Gunst des Publikums.
Die journalistische Verantwortung bleibt
Trotz all dieser Vorteile um KI spielen Kontrolle und Verantwortung immer noch eine entscheidende Rolle, wenn Medien diese Trendtechnologie einsetzen möchten. KI-erstellte Texte und Bilder führen ja bekanntlich zu einer Flut von Fakes, vermeintlich faktenbasierte Texte können Falschinformation enthalten.
Mit den oben beschriebenen Einsatzmöglichkeiten birgt KI-generierter Content aber ein enormes Effizienz-Potenzial. Dieses steht jedoch gleichzeitig in direkter Konkurrenz zu den klassischen Medienschaffenden selbst. Welche Jobs fallen künftig weg, wenn KI nicht nur Wetter- und Verkehrsberichte schneller und besser erstellt, sondern auch unvoreingenommener und multiperspektivischer berichtet? Für die Kommunikationsbranche ist dies eine Herausforderung von existenzieller Bedeutung.
Zumindest für viele Nutzerinnen und Nutzer scheinen diese menschlichen Faktoren weiterhin Relevanz zu besitzen: Einer im Januar 2024 veröffentlichten Studie des Hamburger Brand Science Institute zufolge sinkt mit dem redaktionellen Einsatz von künstlicher Intelligenz die Zahlungsbereitschaft der Leserschaft von Online-Nachrichten um ganze 30 Prozent von 10,24 Euro (für einen Artikel ohne KI) auf 6,68 Euro (reiner KI-Artikel).
Diese Differenzierung ist jedoch nicht zwangsläufig negativ zu bewerten – denn sie könnte wiederum den Markt für von Menschenhand erzeugte journalistische Inhalte stärken. Während der mithilfe von KI erstellte Content ein günstigeres Angebot für die Masse bietet, könnten Verlage die Zahlungsbereitschaft für explizit von Redakteuren erstellten redaktionellen Inhalte im oberen Preissegment abschöpfen.
KI = Transformative Wirkung
Generative KI kann Journalismus intelligenter machen. Ein wertbildender Einsatz im Journalismus ist damit vermutlich eine gute Sache. Aber Journalismus muss sich selbst erst über den Wert von KI im Klaren sein. Wie viel KI intelligenter Journalismus braucht, ist letzten Endes auch eine Frage der Innovationsbereitschaft von aufgeklärtem Journalismus. Das Media Lab Bayern hat dies zuletzt treffend folgendermaßen formuliert:
„Wichtig ist, dass Redaktionen sich über den Wert von Menschen-unterstützender KI bewusst sind und ein entsprechendes Arbeitsumfeld schaffen, indem KI im Journalismus sicher und gezielt eingesetzt werden kann. Dazu braucht es angepasste Workflows, ein erweitertes Skillset in Redaktionen und eine (neue) Medienethik, die KI als Wegbereiter von journalistischer Innovation begreift.“
Es ist also die Aufgabe von Nachrichtenredaktionen und Medienhäusern, gemeinsam mit den Journalistinnen und Journalisten ein KI-Adoptionsmodell zu entwerfen. Dieses soll die Potenziale der KI für eine bessere journalistische Arbeit aktivieren, ökonomische Effizienzsteigerung ermöglichen und eine Überlastung von Journalistinnen und Journalisten durch Aufgabenhäufung oder Stellenabbau vermeiden.
PAUL CLEMENS MURSCHETZ ist Privatdozent für Medienmanagement und Medienökonomie und selbständiger Medienberater (mmc – murschetz media consulting).