Fiona Fiedler: „Es gibt kein klares Ziel in der Gesundheitspolitik“
Fiona Fiedler, Gesundheitssprecherin von NEOS, im Interview über lange Wartezeiten, warum es keinen Ärzt:innenmangel gibt, nur eine falsche Zielsetzung bei Kassenstellen, und was getan werden müsste, um das System für die Patient:innen und Steuerzahler:innen besser zu machen.
Warum sind die Wartezeiten in den Ordinationen auf nicht dringende Eingriffe oder auf Termine bei Fachärztinnen und Fachärzten eigentlich so lang?
Wir sehen aktuell, auch im Budget, dass sehr viel in Krankenhäuser investiert wird. Zusammen mit der Pflege haben wir 2 Milliarden Euro, die jährlich die nächsten fünf Jahre in den Bereich fließen – aber niemand weiß, was genau mit dem Geld passiert. Die Verteilung zwischen den Krankenhäusern und dem niedergelassenen Bereich ist wieder so, dass doppelt so viele Mittel in die Krankenhäuser fließen. Notwendige Reformen, die diese Struktur aufbrechen würden, passieren nicht: Ich kann nicht immer nur Geld auf ein Problem schütten, sondern ich muss schauen, wo dieses Geld hingeht und wie es verwendet wird.
Da geht es auch um Kassenplätze und Wartezeiten: alle wollen immer mehr Kassenplätze und mehr Medizinstudierende, weil wir zu wenig Ärzte haben – wir haben nicht zu wenig Ärzte in Österreich, wir hätten genug. Das Problem ist nur, dass die meisten Wahl- oder Privatarzt werden, weil die Kassenverträge zu uninteressant sind. Und ein Patient hätte gerne jemanden, der sich Zeit für ihn nimmt. Aber mittlerweile haben wir bei Kassenärzten im Schnitt zwei, drei Minuten Behandlungszeit, weil sie sich aufgrund der Honorare nicht mehr Zeit nehmen können. Wir kennen Berichte von Ärzten, die 300 bis 400 Patienten am Tag bearbeiten. Da kann man sich ausrechnen, wie viel Zeit da für einen Patienten bleibt. Das geht sich nicht aus.
Das heißt, irgendwas in dem sehr komplexen Zusammenspiel aus den vielen Playern – Bund, Länder, Krankenversicherungen, Ärztekammer – läuft nicht rund?
In diesem Dickicht der Verantwortungen geht sehr viel verloren, ja. Wir sollten ja eigentlich schon in der Vorsorge starten und dann das Prinzip ambulant vor stationär konsequent verfolgen. Wie viele wissen zum Beispiel, dass die Gesundheitsnummer 1450 nicht nur für Corona ist, sondern generell für alle medizinischen Fragen? Es weiß keiner, dass man dort wirklich ärztliche Hilfe holen kann, und nicht immer sofort ins Krankenhaus gehen muss. Das müsste zentraler geregelt werden, damit Menschen besser durch das System dorthin gelotst werden, wo es für sie am besten ist. Deshalb sagen wir, dass die Finanzierung und die Steuerung aus einer Hand kommen sollten.
Also durch den Bund?
Ja, aber es heißt nicht, dass ich jetzt den Ländern das Geld wegnehmen möchte oder alles der Sozialversicherung umhängen oder nur die Länder entscheiden lassen will. Es geht darum, dass man sowohl die Krankenhäuser als auch den niedergelassenen Bereich als auch die Primärversorgungszentren steuert. Es soll gemeinsam beschlossen werden, wo das Geld notwendig und gut verwendet wird. Aber es sind auch die Konsequenzen zu tragen. Das heißt, ich kann auch vielleicht einmal ein teureres Medikament als Sozialversicherung bezahlen, weil ich die späteren Behandlungskosten im System einspare.
Das heißt, eines der großen Probleme ist, dass man einfach zu viele verschiedene Player hat, die entweder planen oder zahlen, die aber verschiedene Interessen haben? Sollte das alles im Gesundheitsministerium liegen?
Das Gesundheitsministerium sollte einen Rahmen vorgeben, ja. Es erstellt das Budget, das vom Ministerium verteilt wird, die Sozialversicherung und die Länder sind mit im Boot. Wir wollen die Krankenhäuser entlasten und den niedergelassenen Bereich gut aufstellen – also müssen wir den auch finanziell stärken. Da muss einfach eine Strategie erarbeitet werden.
Könnte damit auch das Problem der fehlenden Kassenärzte angegangen werden?
Das wäre das Ziel. Wir müssen schauen, dass die Kassenverträge besser werden. Das heißt, die Ärztekammer muss mit den Sozialversicherungsträgern etwas Attraktiveres aushandeln, damit sich der Arzt auch wieder die Zeit nehmen kann, sich mit jedem Patienten so lange zu befassen, wie es eben dauert. Im Moment kriegt man als Arzt einmal im Quartal für einen Patienten eine gewisse Summe, wenn der aber ständig kommen muss, dann erhält der Arzt für seine Leistungen nichts mehr. Deswegen wollen wir beispielsweise eigene Systeme für chronisch Kranke: Wenn ein Patient öfter kommt, dann ist die Pauschale auch höher. Dann ist es auch attraktiver, eine Kassenstelle anzunehmen. Wir haben nicht zu wenig Ärzte – nur zu wenige in Kassenverträgen.
Also den Ärztemangel gibt es so gar nicht?
Nein, nur ein System, das es nicht attraktiv genug macht, Kassenarzt zu werden. Wir haben keine schlechten Ärzte, wir haben wirklich gut ausgebildetes Personal, aber es ist am Wahlarztsektor besser aufgehoben. Dort können sie sich ihre Zeiten besser einteilen, weil sie ihre Termine schnell vergeben können, weil sie sich Zeit für den Patienten nehmen können. Das Problem hat eigentlich nur der Patient, der jedes Monat Sozialversicherungsbeiträge zahlt und trotzdem für den Arztbesuch zahlen muss.
Wie wahrscheinlich ist es, dass so eine große Reform angegangen wird?
Das hängt vom Mut der Beteiligten auf allen Ebenen ab, es wäre dringend an der Zeit. Seit Corona wissen wir, wie viele Baustellen es im Gesundheitssystem gibt. Der Informationsaustausch zwischen Ärzten, Krankenhäusern und weiteren Stellen funktioniert nicht, das bestätigt auch der Rechnungshof. Aber wirklich verbessert hat sich da nichts. Wir haben mit ELGA, der elektronischen Gesundheitsakte, wirklich ein super Instrument, das aber nur zu einem Bruchteil überhaupt genutzt wird. Teilweise sind Ärzte gar nicht im System, gleichzeitig haben verschiedene Krankenhäuser keinen Zugriff. Untersuchungen müssen dann wiederholt werden – was Kosten verursacht, die nicht notwendig wären. Ich würde mir wünschen, dass das einmal ordentlich durchgesetzt wird. Das Gesundheitssystem ist so eine wichtige Säule – es ist dringend notwendig, dass die Politik und alle involvierten Player ernsthaft eine Reform angehen. Wir wissen, was die Baustellen sind, wir haben die Daten und Analysen, was sich ändern müsste. Es muss nur getan werden.