Fritz Jergitsch: „Volksbegehren werden nur in ein Gesetz gegossen, wenn es den Parteien opportun ist“
Fritz Jergitsch über das sinnlose Volksbegehren, die Zahnlosigkeit von Volksbegehren an sich, den Ausbau der direkten Demokratie und seine politische Rolle als Satiriker.
Am 19. Jänner ist es wieder soweit: Die Volksbegehren, die im letzten Eintragungszeitraum mehr als 100.000 Unterschriften erreicht haben, müssen im Nationalrat behandelt werden. In der Praxis bedeutet das aber recht wenig, denn sie sind rechtlich nicht bindend. Wenn sich das Parlament damit befasst, muss dadurch nichts Konkretes passieren – die meisten Volksbegehren führen nicht zu Gesetzen, sondern zu einer Debatte.
Um das zu kritisieren, hat „Die Tagespresse“ ein sinnloses Volksbegehren ins Leben gerufen. Mit dem Spruch „Gib deiner Stimme keinen Sinn“ wirbt die Satirezeitung für Unterschriften, damit sich der Nationalrat damit beschäftigen und dadurch ganz oft „das sinnlose Volksbegehren“ laut aussprechen muss. Fritz Jergitsch, Gründer und Chef der Tagespresse, will damit auf die Zahnlosigkeit des direktdemokratischen Instruments aufmerksam machen und einen Diskurs anregen. Wir haben ihn zum Interview getroffen.
Die Tagespresse organisiert gerade ein dezidiert „sinnloses Volksbegehren“. Wie ist es dazu gekommen, und was haben Sie eigentlich gegen Volksbegehren?
In der letzten Eintragungswoche ist mir aufgefallen, dass Volksbegehren zwar sehr viele Unterschriften bekommen, aber sehr wenig damit passiert. Im Parlament wird diskutiert, jeder gibt seinen Senf dazu, das wars. Deshalb haben wir uns gedacht, machen wir doch das „Sinnlose Volksbegehren“, um das Instrument an sich zu kritisieren. Ziel ist, dass wir den Nationalrat sinnlos darüber diskutieren lassen.
Ich seh das übrigens gar nicht als Volksbegehren gegen Volksbegehren, sondern eigentlich eines für Volksbegehren. Was wir im Kern verlangen, ist eine Diskussion darüber, wie man direkte Demokratie aufwerten kann und wie man das Instrument zu einem wirkungsvollen Baustein der direkten Demokratie ausbauen kann.
Sehen Sie darin Ihre Möglichkeit, als Satiriker etwas zu bewegen?
Es ist ein satirisches Volksbegehren. Aber dass es satirisch ist, macht es ja nicht weniger echt. Es ist trotzdem ein Volksbegehren, das wir im Innenministerium eingebracht haben, das zugelassen wurde und aktuell in der Unterstützungsphase ist. Und das auch das Ziel hat, etwas Positives zu bewirken. So wie jeder, der ein Volksbegehren einbringt, wollen auch wir eine Diskussion damit starten.
Andere Proponent:innen von Volksbegehren würden vermutlich sagen, dass es doch gut ist, wenn viele Menschen sich an Volksbegehren beteiligen. Sehen Sie das anders?
Absolut. Ich finde es gut, dass so viele mitmachen, und ich finde es umso mehr schade, dass die Politik den Volksbegehren keine echte Wertschätzung entgegenbringt. Stand September 2022 gab es seit 1964 72 Volksbegehren – davon wurden zwei in ein Gesetz gegossen. Für mich ist das keine Erfolgsgeschichte. Volksbegehren könnten so viel mehr sein. Gerade, dass so viele Menschen mitmachen zeigt ja, dass die Menschen mitmachen sollen.
Was könnten Volksbegehren denn sein? Das Sinnlose Volksbegehren schlägt ja keine konkrete Alternative vor.
Als Satiriker bin ich zurückhaltend, wenn es darum geht, wie eine Aufwertung aussehen könnte. Ich will das Problem aufzeigen, das ist meine primäre Aufgabe als Satiriker. Wir könnten uns an der Schweiz orientieren, die gewisse Automatismen hat – ab einer gewissen Unterschriftenhürde wird im Parlament abgestimmt. Ich könnte mir auch eine automatische Volksabstimmung ab einer gewissen Hürde vorstellen.
Was sagen Sie zu dem Einwand, dass die Themen, die bei Volksbegehren erfolgreich sind, meist „Tierschutz Ja“ und „EU Nein“ sind?
Dass manchmal Themen kommen, bei denen sich Ich oder andere nicht wiederfinden können, spricht für mich nicht per se gegen Volksbegehren. Gerade, wenn man Volksbegehren aufwertet, könnten sich Menschen aus anderen Richtungen mehr einbringen. Gerade in einer Zeit, in der das Vertrauen in das politische System auf einem historischen Tiefpunkt liegt, wäre doch ein willkommener Zeitpunkt, um diese Diskussion zu starten. Ich bin überzeugt, dass wir durch mehr direkte Demokratie das Vertrauen wieder stärken können.
Weil Sie das Beispiel Schweiz gebracht haben: Hat die nicht auch eine andere politische Kultur, die besser dafür geeignet ist?
Man kann das politische System der Schweiz natürlich nicht auf Österreich umlegen und glauben, dass es bei uns gleich gut funktioniert. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir auch über mehr direkte Demokratie diskutieren dürfen. Heute werden Volksbegehren nur in ein Gesetz gegossen, wenn es den Parteien opportun ist. Das widerspricht ja dem Gedanken von direkter Demokratie, die Macht aus dem Parteiensystem rausnehmen und verbreiten will.
Sie haben auch angesprochen, dass das Vertrauen in das politische System schon mal besser war. Was sind denn aus Ihrer Sicht die Gründe dafür? Hat das auch mit dem Umgang mit Volksbegehren zu tun?
Ich glaube, das hat auch andere Gründe. Das liegt an den endlosen Skandalen, die aufgeflogen sind, und sicher auch das Thema Corona. Viele Menschen haben sich in der Corona-Politik nicht wiedergefunden und hatten das Gefühl, dass Regierungen gegen ihr Interesse arbeiten. Wobei es dazu auch viel Desinformation gibt.
Wenn Politik in die Schlagzeilen kommt, dann meistens in einem sehr negativen Kontext. Man denke an die Chat-Affäre, die die Politik in einem wirklich schlechten Licht erscheinen lässt. Ich finde aber auch, dass sich Politik zu sehr auf die negativen Seiten der Vergangenheit beschränkt.
Ist das eine Kritik an der politischen Kultur? Dass man zu viel über das Negative spricht?
Nehmen wir zum Beispiel den U-Ausschuss her. Da werden zwar auch Themen in einem sehr schlechten Licht dargestellt, aber den Ausschuss gibt es ja nicht zum Spaß. Die behandeln ernste Themen, also „Don’t shoot the messenger“. Es gibt gewisse Machtstrukturen, die über Jahre entstanden sind, die sich eingenistet haben und die auch Unkulturen gebildet haben. Und ich finde es auch richtig, dass das jetzt aufbricht und dass wir durch diese Chats gesehen haben, wie Postenschacher eigentlich funktioniert. Jeder hat gewusst, dass das passiert, aber jetzt sieht man es schwarz auf weiß.
Dass wir wissen, wie so etwas funktioniert, daran ist die Tagespresse ja nicht ganz unbeteiligt. Sie nimmt Bezug auf die Chats, repliziert sie und weißt auf das Problem hin. Wie sehen Sie eigentlich Ihre Rolle im politischen Österreich?
Ich seh mich in der Rolle, in der sich Satiriker schon seit der Antike befunden haben: Als Medium, um die machthabenden zu verspotten. Satire ist eine Spottkunst – wir schauen uns an, was wir kritisieren können, worüber wir uns lustig machen können, greifen gesellschaftliche Ereignisse auf. Und das verarschen wir dann einfach. So ist es einerseits ein journalistisches Medium, aber andererseits natürlich auch Unterhaltung.
Sehen Sie sich als politischen Akteur?
Was die Demokratie stark macht, ist die Fähigkeit der Gesellschaft, gewisse Fehlentwicklungen früh aufzuzeigen und dann politische Gegenentwicklungen zu starten. Wenn wir etwa Korruption kritisieren, machen wir dieses Thema größer. Das ist ein Vorteil, den autokratische Systeme nicht haben.
Putin etabliert zum Beispiel ein System, in dem alle rund um ihn sagen, er wird Kyiv in drei Tagen einnehmen. Einer setzt sich etwas in den Kopf, alle sagen Ja Ja und am Ende bricht das alles zusammen. Demokratien dagegen haben den Vorteil, dass Information frei fließen kann, dass Kritik frei geäußert werden kann. Ich sehe uns als Teil der Maschinerie, die diesen Informationsfluss perpetuiert.
Bekommen Sie auch manchmal den Vorwurf zu hören, dass Sie Politik nur schlecht reden?
Auf die Medien an sich umgemünzt sehe ich das gar nicht so. Ich finde, wenn positive Dinge passieren – das Klimaticket finde ich zum Beispiel sehr positiv – wird ja auch viel Positives berichtet. Wenn die Politik etwas Gutes macht, findet das auch Niederschlag. Auf uns als Tagespresse bezogen würde ich aber sagen, das ist einfach unsere Aufgabe, die Verspottung. Und ich glaube nicht, dass wir zur Politikverdrossenheit beitragen, sondern eher sogar, dass wir das Interesse an Politik stärken.
Das ist ja auch das Ziel des Sinnlosen Volksbegehrens, oder? Das Interesse an direkter Demokratie zu steigern, und dass im Nationalrat über sinnlose Volksbegehren diskutiert wird.
Unser Ziel ist tatsächlich, dass Wolfgang Sobotka vom Präsidium aus ankündigt: „Wir diskutieren jetzt das sinnlose Volksbegehren“. Und dann kommen alle Parteien und sagen, was sie von sinnlosen Volksbegehren halten.