Oliver Scheiber: „Wenn sich keiner mehr um Regeln schert, kommt man mit Gesetzen auch nicht mehr weiter.“
Oliver Scheiber, einer der Mitinitiatoren des Antikorruptionsbegehrens, spricht im Materie-Interview über die politische Kultur Österreichs, den Sinn von Volksbegehren und darüber, was sich konkret ändern müsste.
Herr Scheiber, fangen wir mit der naivsten Frage an: Österreich ist ein kleines Land. Man kennt sich, man hilft sich, und so war das schon immer. Wo fängt Korruption denn überhaupt an?
Man kann keinen Punkt festmachen, weil es einen großen Graubereich gibt. Es gibt einige Bereiche, die sind strafrechtlich umschrieben. Wenn ich als Beamter Geld entgegennehme, um etwas zu bewilligen, ist es z.B. ganz klar, dass das Korruption ist, weil es strafbar ist. Im Bereich der Bekanntschaften gibt es da sicher einen höheren Graubereich – aber ich glaube, das Bauchgefühl sagt einem sehr gut, was in Ordnung ist und was nicht.
Wobei man sich ja bei diversen Chats fragen könnte, ob dieses Bauchgefühl wirklich so gut funktioniert.
Das stimmt. Das ist das Erstaunliche der letzten Jahre, dass diese Hemmschwellen gefallen sind und Werteordnungen offenbar auf dem Kopf stehen.
War das die Motivation, das Antikorruptionsbegehren ins Leben zu rufen?
Der Wunsch, irgendwas zu tun. Das war zu einem Zeitpunkt, zu dem ich gemerkt habe, dass viele Leute im Sicherheits- und Justizbereich das ähnlich empfinden wie ich, dass da viele Dinge bergab gehen, dass Grenzen überschritten werden. Wir haben uns dann relativ schnell zusammengefunden, und der letzte Auslöser für die meisten von uns war der Vorschlag, dass Hausdurchsuchungen abgeschafft werden sollten. Da ist das Fass zum Überlaufen gekommen.
Der Punkt mit den Hausdurchsuchungen war also der Punkt, wo Sie gesagt haben „Da muss man was tun.“
Genau. Normalerweise denke ich mir, das kommt in Wellen und da passiert einmal mehr und einmal weniger. Aber wenn die Politik anfängt, die Rahmenbedingungen zu ändern, die gesetzlichen Werkzeuge anzugreifen und Grenzen zu verschieben, dann kommt die Demokratie selbst ins Wanken.
Aber kommt das ins Wanken? Das eine sind ja Verluste in Umfragen. Aber personell ist ja nicht wirklich viel passiert, oder?
Ich hab eher das Gefühl, der Wechsel von Finanzminister und zweimal vom Kanzler ist für Österreich doch ungewöhnlich. Ich habe eher die Befürchtung, dass sich Gesichter ändern, aber Strukturen nicht. Was ich sehr aussagekräftig gefunden habe ist, dass Österreich bei allen drei Indizes – Korruptionsindex, Pressefreiheitsindex, Demokratieindex – absinkt. Ich fürchte, das wird sich fortsetzen.
Hängt das daran, dass die Regierung weitermachen kann? Oder wäre das mit anderen Mehrheiten anders?
Schwer zu sagen. Die jüngere Zeit zeigt global, dass die Korruptionsneigung zunimmt und Demokratien in Schwierigkeiten geraten, auch in europäischen Ländern. Aber die Verantwortung dafür liegt natürlich immer bei der Regierung.
Ein Beispiel, das ich sehr markant finde, ist das Verhältnis von Politik und Medien. Inseratenkorruption ist einer der Hauptprobleme im Korruptionsbereich. Und da geht die Verantwortung schon lange zurück. Mit Inseraten Stimmung zu machen ist unter Faymann stark gepflegt worden und unter Kanzler Kurz explodiert.
Deswegen die Frage nach den wechselnden Mehrheiten. Jetzt ist die ÖVP gerade durch ihre Chats im Rampenlicht, aber sagen da nicht viele auch „Glaubst, mit der SPÖ wäre es anders?“ Was sagen Sie dazu?
Für die Demokratie finde ich das ganz schwierig, wenn sich in der Bevölkerung der Gedanke durchsetzt, die sind alle gleich. Es stimmt natürlich auch nicht – es sind nicht alle gleich. Das müssen die anderen nur beweisen.
Jetzt ist das gerade stark bei der ÖVP, was natürlich auch damit zusammenhängt, dass sie schon sehr lange an der Macht ist. Aber diese Häufung an Strafverfahren gegen höchste Politiker und Parteifunktionäre ist beispiellos – und das wird sich nicht ändern können, wenn sich eine Regierungspartei weigert, zuzugeben, dass es ein Problem gibt.
Wie war das in Ihrer Arbeit für das Antikorruptionsbegehren? Hatten Sie da den Eindruck, dass viele glauben, dass sich „die da oben“ alles ausmachen? Und wie erklären Sie den Leuten, dass es besser werden kann?
So wie alle anderen Proponenten war ich auch auf der Straße, um Unterstützer zu sammeln. Uns ist da vor allem Sympathie begegnet, kaum jemand hat gesagt, dass das ein Blödsinn ist. Aber die Hauptrückmeldung war: Es ist total schlimm, aber ihr werdet da auch nichts ändern. Das spiegelt sich auch durch die 300.000 Unterschriften wider. Das ist ein gutes Ergebnis, aber da wäre noch Luft nach oben gewesen, wenn man es mit anderen Volksbegehren vergleicht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass sich viele Leute denken, dass man nichts ändern kann. Aber es war wichtig, um Bewusstseinsarbeit zu machen: Es muss sich ändern, es kann sich ändern und es wird sich ändern.
Wenn Sie von Bewusstseinsarbeit sprechen: Haben Sie Hoffnung, dass Ihre Vorschläge umgesetzt werden, weil der Nationalrat sie ja behandeln muss?
Positiv sehe ich, dass das Volksbegehren geholfen hat, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten. Die NEOS waren dahinter, die Grünen waren fallweise auch dahinter, aber das Thema ist jetzt jedenfalls da. Das Bewusstsein ist da, das sehe ich mal als Erfolg. Aber dass sich etwas in der Gesetzgebung ändert, sehe ich wenig. Informationsfreiheit ist so ein Beispiel: Die Diskussion interessiert jetzt nach 20 Jahren Ankündigungen eigentlich niemanden mehr, bis etwas beschlossen wird. Auch die Medienreform ist enttäuschend. Der große Wurf bleibt jedenfalls aus.
Das Volksbegehren als Instrument an sich gilt als zahnlos. Die Tagespresse hat z.B. gerade das „sinnlose Volksbegehren“ beworben, um darauf hinzuweisen, dass Volksbegehren nichts bringen. Was halten Sie von dieser Kritik?
Diese Kritik teile ich nicht. Ich finde es grundsätzlich erfreulich, wenn es viele Volksbegehren gibt. Dass immer die mit Tierschutz gut abschneiden, damit muss man leben. Vielleicht kann man die Schwelle in der Einleitungsphase anheben, weil es ja digital einfacher geworden ist. Aber an und für sich sollten sich alle, die auf der öffentlichen Bühne mitspielen, z.B. Abgeordnete, selbst an der Nase nehmen. Da kann man nicht der Bevölkerung die Schuld geben, wenn nichts passiert.
Ich hätte das gar nicht als Kritik „am Volk“ verstanden, sondern an einem Instrument in unserem politischen System.
Wobei das ja nicht so schlimm ist. Weil wenn man sagt, 300.000 Leute unterschreiben, ist das immer noch ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung. Man könnte da über mehr Volksbefragungen- oder Abstimmungen nachdenken, aber grundsätzlich denke ich, dass das Instrument okay ist.
Wie stehen Sie denn dazu?
Ich bin da sehr skeptisch bei einem Ausbau der direkten Demokratie, weil wir die Tradition dazu nicht haben, wie sie die Schweiz z.B. hat. Dort funktioniert das ganz gut – aber mit einem großen Verantwortungsbewusstsein aller politischen Player, einer umfassenden Informationsarbeit vor den Referenden. Das wird man in Österreich nicht so schnell auf die Beine stellen. Da finde ich eher spannend, wenn es Modelle gibt, dass man sehen kann, welche Abgeordneten man gewählt hat und wie sie sich im Parlament verhalten.
Wäre in der Schweiz denn anders auf das Antikorruptionsbegehren reagiert worden?
Dazu kenne ich die Schweiz zu wenig. Ich habe dort nur erstaunlich gefunden, dass es dort regelmäßig Referenden gibt, wo die Menschen gegen weniger Steuern abstimmen, in der Tendenz sogar für mehr oder neue Steuern. Populistische Anliegen scheitern in der Schweiz relativ leicht – bei Österreich wäre ich mir da nicht so sicher. Schnell abstimmen geht nur, wenn es die entsprechende Information in der Bevölkerung gibt.
Was könnten wir denn in Sachen „Politische Kultur“ ändern? Wo könnten politische Akteure – also nicht nur Menschen in der Politik, sondern auch in den Medien oder in der Zivilgesellschaft – ansetzen?
Wenn sich keiner mehr um Regeln schert, kommt man mit Gesetzen auch nicht mehr weiter. Das sieht man ja auch an den nicht gelieferten Akten aus dem Finanzministerium: Wenn Akteure grundsätzliche Spielregeln außer acht lassen, steht man auch mit den Gesetzen an, und darum muss sich auch die Kultur ändern. Dafür braucht es wieder mehr Berufsethos in der Beamtenschaft und Verfassungstreue in der Politik. Wie man das herbeiführt, weiß ich auch nicht – aber was sicher hilft, ist Druck aus der Zivilgesellschaft.
Was Sie ansprechen, klingt für mich nach einer Spirale. „Wenn die sich nicht um die Regeln scheren, dann interessiert’s mich auch nicht mehr“. Glauben Sie, dass wir den Tiefpunkt erreicht haben und dass das jetzt wieder besser werden kann?
Die Spirale ist sicher nicht durchbrochen. Sie hat eher eine Pause gehabt. Aber wenn wir jetzt wieder das Gezerre um Postenbesetzungen bei der Bundeswettbewerbsbehörde oder beim ORF sehen, merkt man: Das geht alles genau so weiter wie vorher.
Man sieht aber auch, dass das anders geht. In Slowenien gab es Ähnliches unter der Regierung Janša, das wurde durch ein starkes Wählervotum abgebrochen. Die USA waren auch an der Kippe, Italien ist immer wieder an der Kippe. Die Spirale in Österreich zu durchbrechen wäre also sicher möglich – aber es müsste halt was passieren.
Was sehen Sie denn als halbwegs realistisches Best-Case-Szenario, was passieren könnte?
Wenn in nächster Zeit ein Informationsfreiheitsgesetz beschlossen würde, wäre das sicher ein großer Schritt. Und man müsste die Regierung ermutigen, das auch ohne die Länder zu machen. Man unterschätzt auch, wie viel das an Vertrauensgewinn bringen würde. Wenn sie nicht „Unser Weg ist die Korruption“ signalisieren will, dann wäre das sicher ein guter Weg.