Helmut Brandstätter: „Die Ukraine lässt sich nicht unterkriegen“
Helmut Brandstätter ist NEOS-Sprecher für Außenpolitik und damit mitten in der Debatte über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, Desinformationskampagnen und der Rolle Österreichs und dessen Neutralität. Ein Gespräch über Moral und politische Neutralität, Putins Freunde in Österreich und wie er Besuche in der Ukraine erlebt hat.
Du warst Anfang des Monats mit der parlamentarischen Freundschaftsgruppe für die Ukraine unter anderem in Odessa auf Besuch. Putins Krieg tobt jetzt schon über ein Jahr in dem Land. Was ist dir dort am meisten aufgefallen?
Es war inzwischen unsere dritte Reise als parlamentarische Freundschaftsgruppe. Die erste war im Juni 2022, die nächste im Dezember 2022 und eben jetzt eine im Juli. Wir haben da in Zusammenarbeit mit Apothekern ohne Grenzen immer viel an medizinischem Material mitnehmen können, etwa starke Schmerzmittel, die benötigt werden. Wir waren diesmal in Odessa, in Mykolajiw und in kleinen Ortschaften östlich davon. Das waren Gemeinden, die bereits befreit wurden. Das beeindruckendste Erlebnis war diesmal, als wir in Mykolajiw den dortigen Gouverneur getroffen und mit ihm befreite Dörfer besucht haben. In einem Dorf hat uns ein Lehrer weinend seine Schule gezeigt, die zerstört, ausgebombt war. Am Abend waren wir wieder in Odessa zum Abendessen in einem Restaurant in einem Park, nicht weit vom Hafen. Dort sah man Pärchen und Familien, die zusammen Abend essen, wie die Menschen dort ein normales Leben führen. Das ist für uns so unvorstellbar – du siehst die ärgsten Zerstörungen, und dann triffst du die Menschen, die sagen, „wir leben weiter, wir lassen uns nicht unterjochen, wollen nicht Putins Sklaven sein“. Das ist beeindruckend.
Wie erlebt man so eine Reise? Wie sieht der Transport aus? Wie wird das abgewickelt?
Das ist jedes Mal die hervorragende Organisation durch das Team der österreichischen Botschaft in der Ukraine. Das ist ein kleines Team in Kiew rund um Botschafter Arad Benkö, doch die schaffen es, diese Besuche immer gut zu organisieren. Wir werden immer an der Grenze abgeholt, einmal in einem kleinen Bus oder in ein paar Autos, natürlich auch mit Sicherheitspersonal und Dolmetscher sowie einem kleinen Team der Botschaft. Die ganze Gruppe übernachtet dann zusammen in den Hotels, diesmal war es eben in Odessa. Und ein Detail aus dem Alltag der Ukraine: Im Hotel wurde uns auch gleich gezeigt, wo der Bunker ist und es gab eine Belehrung, dass wir da rein müssen, wenn es einen Alarm gibt.
Habt ihr bei den Reisen Luftalarme erlebt?
Ja, das haben wir, bei der Reise im Dezember. Da gab es beim Abendessen im Hotel in Poltawa Alarm, und unser Sicherheitspersonal hat uns gleich hinunter in den Bunker geführt. Was spannend war: Die Gäste im Restaurant sind oben geblieben. Der Botschafter erzählte uns damals, dass die Luftalarme schon so Alltag sind, dass Menschen in der Ukraine oft warten, ob etwas zu hören ist, bevor sie in die Bunker gehen, oder nur in die Mitte eines Gebäudes, dass sie nicht nahe an Fenstern sind.
Helmut Brandstätter ist NEOS-Sprecher für Außenpolitik, Forschung, Innovation und Technologie
Kommen wir von der Situation in der Ukraine dazu, wie in Österreich über den Krieg gesprochen wird. Du hast inzwischen einige Debatten im Nationalrat zu dem Thema erlebt. Vor allem die FPÖ spielt dabei eine unschöne Rolle. Bei den Reisen der Freundschaftsgruppe in die Ukraine war auch nie eine Vertreterin oder ein Vertreter der FPÖ dabei, oder?
Nein, in der Ukraine noch nie. Als Leiter der Freundschaftsgruppe für die Ukraine, Belarus und Moldau schicke ich immer Einladungen aus, versuche Termine zu finden, an denen alle Fraktionen jemanden entsenden können. Die FPÖ antwortet einfach nicht, wenn es um die Ukraine geht. Da werde ich inzwischen auch schon emotional, wenn mir Leute erklären wollen, was dort los ist, die selbst aber noch nie vor Ort waren. Der außenpolitische Sprecher der FPÖ, Axel Kassegger, war nicht in der freien Ukraine, ist aber auf die besetzte Krim gefahren und hat die Besatzer getroffen. Das hat inzwischen dazu geführt, dass im außenpolitischen Ausschuss des Nationalrats eine unglaublich aggressive Stimmung durch die FPÖ verursacht wird. Das letzte Mal hieß es dann, dass wir die korrupte Regierung in Kiew unterstützen. Das ist eins zu eins die Propaganda des Kremls, die von der FPÖ in den Nationalrat getragen wird. Auch bei Plenardebatten, wenn du eine Rede hältst über die Lage in der Ukraine, wenn du von den ausgebombten Schulen erzählst oder von dem Massaker in Butscha, dann sitzen in den ersten paar Reihen der FPÖ Abgeordnete und schauen dich provokant lächelnd an. Das ist das Ärgste, was mir im Parlament bis jetzt passiert ist. Und sie machen das ganz bewusst.
Inwiefern?
Sie wollen sich ganz klar von der Mehrheitsmeinung absetzen, sie wollen erzählen, dass uns der Krieg gar nichts angeht. Damit belügen sie die Menschen, weil sie behaupten, dass uns nichts passieren kann, weil wir neutral sind. Sie sollten es besser wissen: Die Geschichte zeigt, dass neutrale Staaten oft überfallen werden. Neutralität kann ein politisches Konzept sein, das debattiert werden kann, aber sicher kein Sicherheitskonzept. Bekanntlich war die Ukraine auch nicht Teil eines Militärbündnisses und wurde von Russland überfallen. Und dabei ist es der FPÖ völlig egal, dass sie damit ignorieren, was Russland alles in der Ukraine zerstört. Das ist erschreckend.
Die Rolle der FPÖ ist in der Debatte über den Angriff Russlands nicht zu unterschätzen, da spielen auch rechte Medien oft mit. Wie sehr sind Desinformationen, die so verbreitet werden, eine Gefahr?
Ja, vor allem weil es die allgemeine Debatte beeinflusst. Die ÖVP hat Angst vor der FPÖ, und die FPÖ kann damit die Politik der ÖVP und somit auch der Bundesregierung beeinflussen. Die ÖVP hat wirklich Angst, dass die FPÖ sagt: „In Österreich kann man sich das Leben nicht mehr leisten, und die Regierung schickt Hilfsgelder und unterstützt die Sanktionen!“ Deshalb kommt so wenig lauter Widerstand vonseiten der Regierung gegen diese Desinformation. Wir müssen da lauter sein. Zum Beispiel die Kreml-Strategie, dass Kiew so korrupt ist. Die Politikerinnen und Politiker in der Ukraine sprechen das bei unseren Besuchen aktiv an und sagen, was sie dagegen getan haben, was sie planen. Aber die FPÖ hat kein Problem mit der Korruption in Russland? Und auch das kategorische Nein des Kanzlers zu einer Debatte über die Neutralität zeigt, wie sehr man sich da vor der FPÖ fürchtet. So kann das nicht weitergehen, das schadet Österreich, wenn die Propaganda Russlands hier so viel Einfluss hat.
Da sind wir bei den Einflusssphären Russlands und der internationalen Politik. Hier scheint sich seit dem Beginn des Krieges einiges zu verändern. Was bedeutet das für die Welt, aber gerade auch für Europa?
Da geschieht viel gleichzeitig: In der direkten Nachbarschaft Russlands sehen wir, dass der Einfluss des Kremls in ehemaligen Mitgliedsländern der Sowjetunion, wie Kasachstan, weniger wird, weil die militärische Macht Russlands doch nicht so stark ist, wie diese Länder lange befürchtet haben. Armenien hat jetzt zum Beispiel gesagt, dass es nicht an gemeinsamen militärischen Übungen mit Russland teilnehmen wird, das wäre früher nicht denkbar gewesen. Zweitens ist jetzt klar, dass Russland von China abhängig ist, gerade bei Lieferungen für Waffensysteme. Das wird Peking auszunutzen wissen. Unsicher ist, wie sich die USA weiter verhalten werden. In der Ukraine wird befürchtet, dass Joe Biden im Vorwahlkampf für die Präsidentschaftswahl nächstes Jahr die Militärhilfen reduzieren könnte, sollte die Gegenoffensive stocken. Und sollte Trump oder DeSantis 2024 gewinnen, gibt es überhaupt keine Sicherheit für die Ukraine mehr. Da kommt dann Europa ins Spiel. Leider ist Großbritannien nicht mehr in der EU, spielt aber in der Ukraine eine wichtige Rolle, auch im Einklang mit der EU. Frankreich und Deutschland engagieren sich mehr. Europa könnte wichtiger werden, aber wir müssen dafür geeint auftreten. Und da geht es auch wieder um die Rolle Österreichs in der EU.
Zum Abschluss: Was würdest du von deinen Besuchen in der Ukraine gerne noch mitgeben?
Weil Odessa und die Getreidelieferungen für die Welt ja – leider – wieder Thema wurden, nachdem Russland das Ausfuhrabkommen aufgekündigt hat: Wir haben in Odessa die riesigen Hafenanlagen besucht, die zum Ausschiffen des wichtigen Getreides benötigt werden. Das sind riesige Silos, deren Getreide jetzt mit Lkw transportiert werden soll. Da fragt man sich, wie viele tausend Lkw-Ladungen man wohl brauchen wird. Aber die Menschen in der Ukraine sagen, sie werden das irgendwie schaffen. Auf der einen Seite sieht man so viel Zerstörung, auf der anderen Seite lebt man aber das Leben weiter. Der Bürgermeister von Odessa sagte zu uns: Bitte schickt uns Leute vom Bundesdenkmalamt, wir wollen die Stadt wieder schön aufbauen, und ihr seid darin so gut. Dieser Spirit beeindruckt mich immer. Diese Menschen lassen sich nicht unterkriegen. Und das bewegt auch mich dazu immer zu sagen: Wir stehen auf der richtigen Seite, wenn wir der Ukraine helfen.