Karl-Arthur Arlamovsky: „Ohne Mitbestimmung gibt es keine Demokratie“
Karl-Arthur Arlamovsky ist NEOS-Bundesrat für Wien, zu seinen inhaltlichen Schwerpunkten zählen Demokratie, Mitbestimmung und Staatsbürgerschaftsrecht. Ein Gespräch über den Wert von Staatsbürgerschaften, wie Bürgerräte die Demokratie bereichern könnten, und wieso die immer höhere Zahl an Menschen, die nicht wählen dürfen, ein Problem ist.
Einer deiner Schwerpunkte ist Demokratie und Mitbestimmung, wer also an der Politik teilnehmen kann und wie. Wie beurteilst du die Lage in Österreich?
Wir haben hier Probleme. Einerseits können immer mehr Menschen, die in Österreich leben, gar nicht wählen. Andererseits wird auch der Anteil jener, die wahlberechtigt sind, aber nicht zu Wahlen gehen, höher. Das sind zwei unabhängige Baustellen, die natürlich verschiedene Gründe haben. Bei der sinkenden Wahlbeteiligung geht es darum, dass Menschen, die sich wirtschaftlich abgehängt fühlen, sich auch politisch nicht angesprochen fühlen und dann auch keinen Sinn darin sehen, sich an Wahlen zu beteiligen, oder an der Zivilgesellschaft ganz allgemein. Das ist etwas, wo die Politik, wir eingeschlossen, mehr Engagement zeigen muss. Wir müssen unter Beweis stellen, dass wir für die Menschen arbeiten, ihre Probleme ernst nehmen, aber verantwortungsvoll damit umgehen. Ohne Mitbestimmung gibt es keine Demokratie.
Und dann gibt es eben auch noch den Aspekt, dass immer weniger Menschen überhaupt an Wahlen teilnehmen dürfen.
Ja, die Zahl der Wahlberechtigten wird geringer im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, das ist eine Folge der Migration – aus der EU und auch von außerhalb der EU. Das ist auch kein spezifisch österreichisches Problem, weil die Menschen auch mobiler geworden sind – beruflich und aus privaten Gründen. Wir müssen uns aber überlegen, wie wir damit umgehen. Das sind Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben, hier legal leben, Steuern zahlen, an der Gesellschaft teilhaben. Seit wir Mitglied der Europäischen Union sind, ist das Wahlrecht ja auch auf Unionsbürgerinnen und -bürger ausgeweitet worden, allerdings in Österreich nur auf lokaler Ebene. Das wird in anderen EU-Mitgliedstaaten großzügiger angewandt. Wir NEOS wollen, dass das auf die anderen Ebenen wie Nationalrat auch ausgeweitet wird, mit gewisser Aufenthaltsdauer in Österreich als Hauptwohnsitz. Und dann gibt es natürlich noch die Frage der Staatsbürgerschaft.
Die Regeln, wie man die österreichische Staatsbürgerschaft erlangt?
Genau, und da muss die Frage gestellt werden: Wollen so viele die Staatsbürgerschaft nicht, oder ist es so umständlich, die Staatsbürgerschaft zu erlangen? Das betrifft natürlich alle ausländischen Menschen in Österreich. Und im internationalen Vergleich ist Österreich da sehr restriktiv – in Europa sind wir sogar unter den drei restriktivsten Ländern. Ein Beispiel: Österreich ist in Europa neben den Niederlanden das einzige Land, in dem man die alte Staatsbürgerschaft aufgeben muss, quasi alle alten Wurzeln kappen muss, und das ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Man kann in Österreich leben und ankommen und trotzdem noch mit dem Geburtsland verbunden sein. Und darüber hinaus hat Österreich einfach enorm schikanöse Regeln im Prozess. Bei der Berechnung der Aufenthaltsdauer fängt es bei einer längeren Abwesenheit, etwa einem Auslandssemester, wieder von vorne an, da wird die Zeit davor und danach nicht zusammengerechnet. Hier könnten die Regeln einfach wohlwollender werden, oder einfach nicht so schikanös und restriktiv.
Spielt da mit rein, dass vor allem rechte Parteien meinen, bei der Frage Staatsbürgerschaft Kante zeigen zu müssen? Da schwingt ja immer ein Sicherheitsaspekt mit – so als ob es eine Gefahr wäre, wenn die Staatsbürgerschaft zu leicht zu bekommen wäre.
Ja, aber darum geht es ja nicht. Es geht eigentlich um Menschen, die sich entschieden haben, in Österreich, in dem Land, in dem sie leben, Wurzeln zu schlagen. Und da muss der Prozess nicht so voller Schikanen sein. Da wird ja viel vermischt: Wenn gesagt wird, man wolle keine Einwanderung ins Sozialsystem – das passiert ja nicht, indem es weniger schikanöse Regeln bei der Staatsbürgerschaft gibt. Und solch restriktive Regeln gibt es in die andere Richtung ja auch: wenn Auslandsösterreicherinnen und -österreicher die Nationalität des Landes annehmen wollen, in dem sie leben.
Dürfen sie dann die österreichische Staatsbürgerschaft nicht behalten?
Nicht grundsätzlich, nein. Das sind aber quasi Botschafterinnen und Botschafter Österreichs in der Welt – und Österreich macht es ihnen sehr schwer, die Staatsbürgerschaft behalten zu können. Dafür muss ein Antrag gestellt werden, und dann wird die Beibehaltung nur erlaubt, wenn man eine Koryphäe in einem Fachgebiet ist, oder es im Sinne des Kindeswohls ist. Es muss also im erhöhten Interesse Österreichs sein, nur dann kann man Österreicherin oder Österreicher bleiben. Und wir wollen das umdrehen – NEOS will, dass die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft ermöglicht wird, solange es nicht gegen die Interessen Österreichs verstößt. Weil wir wollen, dass diese Menschen, die überall auf der Welt auch ein Gesicht Österreichs sind, ihre Wurzeln behalten können. Ohne Staatsbürgerschaft ist meistens auch ein Familienbesuch in Österreich viel schwieriger, oder aber man will für den nächsten Job vielleicht doch wieder zurück, oder in der alten Heimat die Pension verbringen. Diese Chance sollte man den Menschen nicht rauben.
Karl-Arthur Arlamovsky
Neben Wahlen und Staatsbürgerschaft gibt es ja auch noch andere Möglichkeiten der demokratischen Mitbestimmung, etwa Volksbegehren. Ist das aktuelle System da noch zeitgemäß?
Vor allem seit Volksbegehren jetzt auch digital unterstützt werden können, ist die Zahl der Volksbegehren auch stark angestiegen, was grundsätzlich positiv ist. Es soll aber auch so leicht wie möglich sein, sich da einbringen zu können. Volksbegehren betreffen oft auch Themen, die sowieso auf dem politischen Programm stehen, geben uns als Parlament aber auch die Möglichkeit, über das Thema zu reden. Wir sollten uns aber anschauen, ob wir die inhaltlichen Forderungen aus Volksbegehren nicht besser in die Politik bringen können.
Wie könnte das gelingen?
Ein Punkt wäre, dass ein erfolgreiches Volksbegehren auch eine Volksbefragung nach sich zieht. Da müssten Volksbegehren aber teilweise auch konkreter werden. Und ein zweiter Punkt sind Bürgerräte. In Österreich gab es schon das Beispiel Klimarat, in anderen Ländern gibt es da auch schon sehr viele und gute Erfahrungen damit, etwa in Irland. Sie sollen quasi besondere Fokusgruppen wie in der Marktforschung sein. Personen, die die Bevölkerung repräsentieren, sollen Input für einen gewissen Bereich liefern, was dann Grundlage für die Politik ist. Aber dort sollen dann nicht anstelle des Parlaments Entscheidungen gefällt werden – ausgeloste Bürgerräte können nicht gewählte Vertretungen des Volks aushebeln. Aber das wäre eine Aufwertung der Demokratie, und das wollen wir erreichen.
Und wenn wir schon bei der gewählten Vertretung des Volks sind, müssen wir auch über den Bundesrat reden. Ein Gremium, das ein wenig unter dem Radar der medialen Aufmerksamkeit fliegt, auch weil er nicht dieselbe Rolle im Gesetzesprozess hat. Ist er in seiner jetzigen Form überhaupt nützlich?
Der Bundesrat hat bei der Gesetzgebung viel weniger Möglichkeiten, zum Beispiel beim Einbringen von Gesetzesinitiativen. Seit ich Bundesrat bin, haben wir zwei Gesetzesinitiativen beschlossen, auf denen jeweils auch mein Name stand. Mit einem der beiden wollten wir verhindern, dass Staatssekretärinnen und Staatssekretäre mehr bezahlt bekommen, als eigentlich im Gesetz vorgesehen ist. Da bin ich mit Kollegen durch eine Anfrage überhaupt erst einmal drauf gekommen, dass das seit Jahren der Fall war. Aber wir sind davon abhängig, dass der Nationalrat diese Gesetzesinitiative überhaupt einmal auf die Tagesordnung nimmt. Und darauf warten wir immer noch. Und dann kommt noch dazu, dass der Bundesrat Vorschläge des Nationalrats nur vorübergehend blockieren und selbst dann keine Änderungen vorschlagen kann.
Ist es dann überhaupt sinnvoll, den Bundesrat in seiner jetzigen Form zu erhalten?
Aktuell ist das System nicht effizient, nein. Es ist doppelgleisig, sowohl was seine Zusammensetzung als auch was die Kompetenzen betrifft. Da müsste bei beiden Punkten etwas verbessert werden. In einem föderalen System wie Österreich ist es möglich, dass auch eine zweite Kammer Gestaltungsmacht hat und damit auch die notwendige Akzeptanz und Legitimität besitzt, wir müssen nur in die Schweiz schauen. Deshalb wollen wir den Bundesrat in seiner jetzigen Form auch abschaffen. Wir können uns eine Länderkammer, die dem Nationalrat ebenbürtige Kompetenzen hat, vorstellen, mit der Direktwahl der Bundesrätinnen und Bundesräte, die parallel zur Landtagswahl gewählt werden. Das wäre eine echte demokratische Reform.