7 Punkte, die Fußball und Politik gemeinsam haben
Im August ist die englische Premier League wieder gestartet. Aus diesem Anlass wagen wir einen Vergleich zwischen der österreichischen Politik und der teuersten und besten Liga der Welt. Denn die Premier League, bekannt für ihre spannenden Spiele und weltweite Anhängerschaft, weist tatsächlich einige Gemeinsamkeiten mit der Politik auf.
1. Mediengetriebenheit
„Im Fußball und in der Politik“ werde doch deshalb „nur noch gelogen“, beklagt er, „weil sich niemand mehr seine Meinung zu sagen traut. Die schlimmsten Interviews geben Sportdirektoren – die müssen bei jeder Frage lügen, damit keine Unruhe entsteht.“
Martin Hinteregger spricht in diesem Zitat von einer Mediengetriebenheit – sowohl im Fußball als auch in der Politik. Die Angst davor, wie die Medien auf ehrliche Aussagen reagieren könnten, führt dazu, dass viele Akteure in beiden Bereichen zur Lüge greifen. Insbesondere Sportdirektor:innen im Fußball sehen sich offenbar gezwungen, unehrlich zu antworten, um potenzielle Unruhe oder negative Schlagzeilen zu vermeiden.
Dass ausgerechnet die Direktor:innen kritisiert werden, nehme ich kritisch (Anm. der Redaktion: Der Autor ist NEOS-Klubdirektor) zur Kenntnis. Diese Mediengetriebenheit hat zur Folge, dass die Authentizität verloren geht und die Öffentlichkeit mit oberflächlichen oder manipulierten Informationen konfrontiert wird. Es verdeutlicht, wie der Druck von Medien in Fußball und Politik zu einem Mangel an Offenheit und Transparenz führen kann, was wiederum das Vertrauen in diese Bereiche beeinträchtigen kann.
2. Intensiver Wettbewerb
Ein zentraler Aspekt, in dem sich Politik und Premier League ähneln, ist der intensive Wettbewerb. In der Politik kämpfen verschiedene Parteien und Politiker:innen um Wähler:innenstimmen und politische Macht, während in der Premier League Fußballvereine um Punkte, Platzierungen und Titel konkurrieren. Beide Bereiche ziehen große Aufmerksamkeit auf sich, da politische Entscheidungen und Maßnahmen direkte Auswirkungen auf die Gesellschaft haben, während Fußballspiele und Ereignisse der Premier League von Millionen von Menschen verfolgt und diskutiert werden.
Gerade in Österreich könnte man die „Tabelle“, also die wöchentlich aktualisierte Übersicht über die Performance der Fußball-Teams, auch durch die Sonntagsfrage verwirklicht sehen. So wie Fußballteams auf schlechte Spiele mit Änderungen reagieren, wird auch so manche Regierungspartei nervös, wenn die Umfragewerte einbrechen. In manchen Fällen werden dann Trainer:innen ausgewechselt. Oder eben Parteiobleute. Nur dass es bei Ersterem weniger zu rechnen gibt.
3. (Un-)Geschriebene Regeln und Praktiken
Sowohl Premier League als auch die österreichische Politik unterliegen klaren Regeln – z.B. durch die österreichische Bundesverfassung oder das Premier-League-Handbuch. Es ist aber wichtig anzumerken, dass nicht alle Regeln und Praktiken in der Premier League und der Politik explizit niedergeschrieben sind. Oft ergeben sich bestimmte Vorgehensweisen aus der Praxis und der Tradition. Zum Beispiel kann die Auswahl der Teams, die an europäischen Vereinswettbewerben teilnehmen, in der Premier League theoretisch jedem englischen Ligaverein ermöglicht werden – praktisch beschränkt sich die Auswahl jedoch oft auf die besten Mannschaften der obersten Spielklasse. Wenngleich die UEFA da auch noch ein Stück mitzureden hätte.
In der Politik gibt es ähnliche Situationen, in denen bestimmte Vorgehensweisen zwar etabliert, aber nicht zwangsläufig verfassungsrechtlich festgeschrieben sind. Es ist z.B. üblich, dass der Bundespräsident nach einer Nationalratswahl der stimmenstärksten Partei den Auftrag zur Regierungsbildung gibt, jedoch gibt es keine festgeschriebene Regel dafür. Wenn bei den Wahlen 2024 die FPÖ unter Herbert Kickl zur stärksten Partei wird, ist es unwahrscheinlich, dass er sofort mit der Regierungsbildung beauftragt wird.
Ein anderes Beispiel: Es gibt auch Situationen, in denen berichtet wird, dass die Landeshauptleutekonferenz ein Veto eingelegt hat – obwohl weder die Verfassung eine Landeshauptleutekonferenz vorsieht noch die Landeshauptleute in den meisten Fällen ein Vetorecht haben. Das ist Realpolitik. Genauso wie die Frage, was die Konsequenz ist, wenn man sich nicht an das Financial Fairplay hält – egal ob man da über teure Fußballtransfers oder die Überziehung der Wahlkampfkostenobergrenze spricht.
Symbolbild, produziert mit Midjourney AI
4. Marketing, Superstars und Transfers
Fußballklubs investieren viel in Marketing, um ihre Marke zu stärken und neue Fans zu gewinnen. Das versuchen auch Parlamentsklubs: Ihre Agenda muss mit Marketing-Strategien kommuniziert werden, um Menschen dafür zu begeistern und neue Wähler:innen anzuziehen. Aber zunehmend passiert das in beiden Fällen, durch Persönlichkeiten, die schon eine Marke sind.
Die politische Landschaft wird zunehmend von Persönlichkeiten dominiert, während Vereine – ich meine Parteien – an Bedeutung verlieren. Ein Beispiel dafür ist der beliebte ehemalige italienische Ministerpräsident Mario Draghi, der das Vertrauen von über 60 Prozent der Italiener:innen genoss, obwohl er keiner Partei angehörte. Ähnlich hat der wiedergewählte französische Präsident Emmanuel Macron die traditionellen Parteien hinter sich gelassen.
Auch im Sport ist dieser Trend erkennbar. Einige Superstars wechseln zu Vereinen, die zuvor kaum bekannt waren. N’golo Kante, ein Star der Liga, ist kürzlich von Chelsea zu Ittihad gewechselt, wo er mit dem bekannten Karim Benzema (ehemals Real Madrid) zusammenspielen wird. Solche Spieler ziehen Fans an und steigern die Popularität des Vereins über Saudi-Arabien hinaus. Über Persönlichkeiten soll die Marke aufgeladen werden. Der sportliche Wert tritt in den Hintergrund.
Ähnlich verhält es sich in der Politik, wo angesehene Expert:innen und Persönlichkeiten aus der Öffentlichkeit vermehrt in die Politik wechseln. Nicht selten sind es auch Sportler:innen. Die Ankündigung solcher Wechsel wird zu einem großen Medienspektakel. Dieses Phänomen verstärkt sich zunehmend.
Politiker:innen, die ihre politische Zugehörigkeit ändern, sind selten. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der englische Politiker Winston Churchill, der bei zwei großen Parteien des Vereinigten Königreichs kandidierte: LibDems und Tories. Ebenfalls bemerkenswert war Donald Trump, der zumindest zeitweise als registriertes Mitglied der Demokraten galt. In Österreich gab es einen ähnlichen Fall, als Reinhold Lopatka (ÖVP) einige Abgeordnete vom Team Stronach zur ÖVP holte – nach diesem Schritt spielten Georg Vetter, Kathrin Nachbauer und Rouven Ertlschweiger jedoch nur noch Nebenrollen. Dieser Wechsel wurde in allen Medienformaten des Landes stark beachtet.
Parteien und Vereine verlieren an Bedeutung, während Einzelpersonen immer mehr im Rampenlicht stehen und große mediale Aufmerksamkeit erhalten, wenn sie die Seite oder die Farbe wechseln. Vielleicht war Winston Churchill einfach seiner Zeit voraus.
5. Interessenvertretung und Strukturen
In der Politik werden die Interessen von Bürger:innen, Unternehmen und anderen Akteur:innen durch politische Parteien, Verbände und Lobbygruppen vertreten. In der Premier League sind Spieler- und Fanorganisationen dafür da, die Interessen der Spieler und Fans zu vertreten.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist die organisatorische Struktur und die Mitgliederbasis: Sowohl Fußball- als auch Parlamentsklubs haben eine hierarchische organisatorische Struktur. Sie haben eine Führungsebene, die Entscheidungen trifft und die Richtung des Klubs bzw. der Partei bestimmt. Fußballklubs haben Fans und Unterstützer:innen, die oft Mitgliedschaften erwerben, um bestimmte Vorteile zu erhalten, gleichzeitig sind Parlamentsklubs von Mitgliedern abhängig, die der Partei angehören und deren politische Ziele unterstützen.
6. Regelmäßige Spielzeiten und die Höhepunkte der Saison
Wenn im August die Spiele beginnen, mögen viele denken, dass die Spieler monatelang im Urlaub waren. Tatsächlich haben sie sich jedoch in Trainingslagern vorbereitet, ihre Stärken und Schwächen analysiert und das Team für die kommende Saison zusammengestellt.
Ähnliches gilt für die Politik: Im Sommer gibt es eine sitzungsfreie Zeit. In dieser Phase werden Teams umstrukturiert, und im September findet eine Vorbereitungsklausur statt. Sitzungen finden im Sommer nur in Ausnahmefällen statt. Vor dem Sommer gibt es meist ein großes Finale, wo noch einiges passiert.
Ebenso verhält es sich mit den Großevents, die alle paar Jahre stattfinden, und auf denen „Stars“ geboren werden. Diese Events finden außerhalb des regulären Spielbetriebs statt, wie zum Beispiel Nationalratswahlen oder Weltmeisterschaften, die im Durchschnitt alle vier Jahre stattfinden.
7. Gemeinschaft und Rivalität
Im Fußball und in der Politik geht es auch um einen Sinn von Gemeinschaft. Fußballklubs repräsentieren oft eine bestimmte Stadt oder Region und haben eine große Fangemeinde, die sich mit dem Klub identifiziert – mit harten Gefühlen gegen Lokalrivalen. Viele wachsen unter Fans eines Vereins auf, treten schon in jungen Jahren Fanklubs bei und nehmen das aus der Familie mit. In der Politik wird dieser Einfluss schwächer, aber ist immer noch nicht ganz verschwunden.
Parlamentsklubs wiederum vertreten politische Ideen und Interessen und versuchen die Bedürfnisse ihrer Wählerschaft zu erfüllen. Und auch sie haben ihre historischen Rivalitäten, etwa ÖVP und SPÖ durch ihre zahlreichen parteinahen Strukturen, die bis zu – hier schließt sich der Kreis – Sportvereinen reichen. Und auch, wenn sich der linke und rechte Rand bei manchen Themen treffen (Russland, Ablehnung der EU etc.): Auch sie sehen das Parlament oft eher als „Derby“.
Fazit
Wir sehen also: Die Politik und die Premier League haben einiges gemeinsam. Beide prägt der intensive Wettbewerb, das große öffentliche Interesse, das Interesse an effektiver Führung und die Struktur, die auch mit Interessenverbindungen zusammenhängt. Die Mitgliederbasis, die Gemeinschaftsbindung, das Image – all das spielt in beiden Bereichen eine wichtige Rolle.
Natürlich gibt es auch große Unterschiede. Auch wenn die Zuschauer:innenzahlen das nicht ganz nahelegen: Politik hat einen deutlich breiteren gesellschaftlichen Einfluss. Und auch das Leben von Fußballfans wird dadurch deutlich stärker beeinflusst als durch die Ergebnisse, bei denen wir alle mitfiebern. Auch wenn sich der Sport für viele wie das Wichtigste auf der Welt anfühlt. Gut, dass auch Zeit für beides bleibt.
Während der Nationalrat noch in der Sommerpause ist, ist die Premier League schon wieder losgegangen. Und welcher Klub welche Partei wäre, das sei mal dahingestellt.