Sportevents brauchen klare Kriterien
In Australien fand gerade ein Sport-Megaevent seinen Abschluss. Bei der Fußballweltmeisterschaft der Frauen gewann mit Spanien ein Neuling den Titel, auch die Finalgegnerinnen aus England hatten die Trophäe noch nie nach Hause holen können. Australien war mit dem Semifinaleinzug nicht nur sportlich top, sondern brillierte auch als Gastgeberland.
Auch die Weltmeisterschaft der Männer in Katar Ende 2022 endete mit dem wohl spektakulärsten Endspiel seit langer Zeit. Dort jedoch gab es auch scharfe und lang andauernde Kritik, nicht am Sportlichen, sondern an der Vergabe. Das ist gut so, weil man aus Debatten etwas lernen sollte.
Das größte Problem mit der Kritik – selbst wo sie durchaus berechtigt ist – war, dass sie aus einem kolonial-hegemonistischen Anspruch Europas entstand, zu bestimmen, wie die Welt zu laufen hat. Es begann mit dem Aufschrei „Wir spielen keine WM im Winter“. Nun ist aber halt einmal auf dem halben Globus im Dezember nicht Winter – und die Weltmeisterschaft gehört der Welt, nicht nur der nördlichen Hemisphäre.
Damit sind wir auch schon beim wirklichen Problem: Wem gehören sportliche Großveranstaltungen? Und nach welchen Kriterien werden sie von den intransparenten Sportorganisationen (und deren Sponsoren) vergeben?
Für die FIFA ist klar: Die WM gehört ihr und ihren finanziellen Interessen. Auf dem Altar der Gewinnmaximierung wird jedes andere Prinzip geopfert, falls es überhaupt andere Prinzipien gibt. Außerhalb der geheiligten Hallen der FIFA könnte man aber auch argumentieren, die Weltmeisterschaft gehöre den Spieler:innen und Fußballfans weltweit. Dann aber sollten deren Bedürfnisse und Präferenzen in den Kriterien für Vergabe und Abhaltung von Großveranstaltungen berücksichtigt werden – und zwar in einem transparenten Katalog von Vergaberichtlinien.
Die FIFA, wie auch das Internationale Olympische Komitee oder die Formel 1 und viele andere Dachverbände mehr, sind private Organisationen, und es obliegt nicht der Politik in einzelnen – westlichen – Staaten, genaue Vorgaben zu machen. Trotzdem könnten die Mitglieder dieser Sportverbände Konsenskriterien für Vergabe und Abhaltung erstellen, die zwar nicht den Sport nach europäischen Normen homogenisieren, aber doch universell anerkannte Standards auch in die größten Sportveranstaltungen Einzug halten lassen.
Vier Kriterien für Sportveranstaltungen
In der Theorie ist Sport unpolitisch und völkerverbindend. Das erste Mindestkriterium zur Abhaltung eines Großevents muss demnach sein, dass ein Veranstalterland nicht im Kriegszustand mit einem anderen Mitgliedstaat sein kann. Man stelle sich vor, ukrainische Athlet:innen müssten zu einem Event nach Russland reisen. Oder auch nur gegen russische Athlet:innen antreten. Vorhersehbar war der Eklat bei der Fechtweltmeisterschaft diesen Juli, als eine ukrainische Athletin der russischen Gegnerin nach deren Niederlage nicht die Hand reichen wollte – und prompt disqualifiziert wurde. Wenn das Internationale Olympische Komitee tatsächlich russische Athlet:innen – viele übrigens Militärsportler im Sold jener Armee, die gerade völkerrechtswidrig in der Ukraine wütet – zulässt, werden wir derartige Situationen noch öfter zu sehen bekommen.
Dieses Kriterium, nicht an Kriegen beteiligt zu sein, während man Großveranstaltungen austrägt, wirft bereits seinen Schatten über die Vergabe für die nächste Fußball-WM. Ein Kandidat, Marokko, besetzt seit Jahrzehnten völkerrechtswidrig die ehemalige spanische Kolonie Westsahara. Ein Waffenstillstand zwischen der Organisation der Unabhängigkeitskämpfer, der Polisario, und Marokko ist jüngst geplatzt, und es wird wieder gekämpft. Marokko als UNO-Mitglied müsste diesen Konflikt zur Zufriedenheit der internationalen Gesellschaft beilegen, um als WM-Kandidat in Betracht gezogen zu werden.
Das zweite Mindestkriterium wäre die Einhaltung aller internationalen Grundrechtskonventionen, zu deren Einhaltung alle UNO-Mitgliedstaaten sich verpflichtet haben. Darunter fallen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, oder zum Beispiel im Zusammenhang mit Fußball-WM Veranstalter Katar auch die Konvention über Zwangsarbeit, das Recht auf Kollektivvertragsverhandlungen und das Recht auf Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz. Während manche Staaten sich darauf berufen würden, dass in ihrem Kulturkreis Kinderarbeit oder Frauenrechte unterschiedlich gehandhabt werden, kann sich die große Mehrheit auf die verbindlichen Vorgaben der Vereinten Nationen als Vergabekriterium berufen.
Drittens muss es das Recht der zu dieser Veranstaltung Anreisenden – Fans, Funktionäre und Sportler:innen – sein, sich auch bei einer globalen Sportveranstaltung zu ihrem Lebensstil bekennen zu dürfen. Einschränkungen gegenüber LGBTIQ-Fans und Sportler:innen oder gegenüber Frauen wäre ein Ausschlussgrund für Kandidatenstaaten. Gleiches trifft auch auf Religionsfreiheit oder Staatsangehörigkeit zu. Wenn ein Staat jüdischen Athlet:innen oder solchen aus als unfreundlich angesehenen Staaten keine Visa ausstellt, wie bereits im Tennis und Fußball geschehen, kann er kein internationales Turnier abhalten.
Natürlich können FIFA, IOC oder andere Sportverbände einem Staat nicht liberale Werte aufzwingen – sie sollten aber umgekehrt sehr wohl darauf bestehen, dass die Teilnehmenden aus dem Rest der Welt nicht ihre Werte am Stadioneingang abgeben müssen.
Viertens, Nachhaltigkeit. Im Zeitalter des Klimawandels müssen FIFA, IOC und andere Großveranstalter ihre Megalomanie ablegen und Vergabepunkte nach ökologischen und Nachhaltigkeitskriterien vergeben. Nur ganz wenige Staaten können außerhalb einer WM acht (und bald 16) Stadien mit einem Mindestfassungsvermögen von 30.000 gebrauchen. Dieses Problem ist nicht auf Katar limitiert. Auch das fußballverrückte Brasilien musste Stadien in den Amazonas-Regenwald oder in die Armenviertel von Rio und São Paulo bauen, die nie wieder gebraucht werden. Dafür wurden tausende Familien vertrieben, viele Hektar von Regenwald vernichtet. Nicht umsonst gab es in Brasilien – im Unterschied zu Katar – Proteste gegen die WM aus der eigenen Bevölkerung.
Statt Konzepten, die „größer und teurer“ herausstreichen, sollte Nachhaltigkeit ein wichtiges Vergabekriterium sein. Katar konnte z.B. damit punkten, dass während der gesamten WM keine Mannschaft zu ihren Spielen anfliegen musste. Auch ein aus Containern gebautes Stadion, das nach der WM wieder abgebaut und gespendet wird, ist ein Plus. Andererseits hätte wohl auch die Klimaanlage, die das gesamte Spielfeld von angenehmen 25 Grad noch weiter herunterkühlte, mittels Nachhaltigkeitskriterienkatalog verhindert werden können.
Die Zukunft der Sportevents
Sportveranstalter sollten regionale Spiele andenken, die bestehende Infrastruktur nützen. Vorstellbar wäre zum Beispiel eine pannonische WM mit bestehenden und gut mit Zug und Bus vernetzten Spielorten in Bratislava, Prag, Wien, Zürich, Genf, München, Turin und Mailand. Stadionneubau und Flugmeilen zwischen Spielen sollten als Negativpunkte in einem transparenten Ausschreibungskatalog gelistet werden.
Eine Sportveranstaltung ist kein politisches Event. Demokratie und progressive Werte können nicht mittels Zwangsmaßnahmen über FIFA oder IOC aufgezwungen werden. Sehr oft kommt es gerade beim Versuch, einer Gesellschaft die Modernität und den Liberalismus mit dem Knüppel aufzudrücken, zu Gegenreaktionen, die den genau gegenteiligen Effekt haben. Wer aber die Welt bei einem Großereignis als Gastgeber empfangen will, muss sich seinerseits auch seinen Gästen gegenüber tolerant und flexibel zeigen. Völkerverbindung braucht Geben und Nehmen. Und damit dürfen nicht nur Berge von Sponsorgeldern gemeint sein.