Ein Plädoyer für den wertebasierten Welthandel
Grundwerte sind nicht verhandelbar – aber sie sollten Teil unseres Handelns sein.
Im September 2017 trat unter lautem Gezeter der Handelsgegner:innen das kanadisch-europäische Handelsabkommen CETA in Kraft. Seit damals gingen keine Arbeitsplätze verloren, der Himmel über Europa wurde nicht grau und die Flüsse nicht toxisch. Die Welt ging wie gewohnt weiter – nur mit etwas höherer Produktivität für manche Unternehmen und etwas mehr und billigerer Auswahl für Konsument:innen.
Gleiches trifft auf das EU-Japan Abkommen JEFTA (seit Februar 2019) zu. Und das bedeutendste aller Handelsabkommen, die Europäische Union, ist der wichtigste Wohlstandsgenerator in Österreich, wie im Rest Europas überhaupt.
Natürlich gibt es auch negative Auswirkungen von freierem Handel. Je unterschiedlicher die Wertestrukturen der Partner, desto eher kann eine Öffnung negative Auswirkungen haben. Wenn in China ethnische Minderheiten als Zwangsarbeiter:innen verwendet werden oder in manchen Entwicklungsländern Kinder viele Stunden am Tag für ein Einkommen schuften müssen, das nicht einmal zum Leben reicht, beleidigt der Kauf derart hergestellter Produkte nicht nur unsere moralischen Gefühle. Der durch die billigeren Produktionsmethoden erschaffene Preisvorteil führt auch dazu, dass Importe aus diesen Ländern europäische Produkte vom Markt verdrängen und Fabriken dorthin abwandern, wo Arbeiter:innenschutz und Umweltauflagen weniger ausgeprägt sind.
„Frei“-Handel
Freihandel als Idealtyp wird es realistischerweise nur in Unionen mit gemeinsamen Grundgesetzen als gemeinsam anerkannten Handlungsrahmen geben. Je ähnlicher sich die Staaten in ihren sozialen Werten sind, desto einfacher ist die Ausverhandlung dieser Rahmenbedingungen, und desto konfliktfreier die Durchsetzung der Regeln im Streitfall.
Je weiter die sozialen Werte divergieren, desto eingeschränkter wird Handel sein müssen, da die Unterschiede in Werten – Umweltschutz, Sozialstaat, andere – ohne Zölle oder andere Einschränkungen sonst zu einer Marktverzerrung zugunsten des weniger gut regulierten Staates führen und dort die Wirtschaft negativ beeinträchtigen würde.
Es gibt auch die Möglichkeit, Handel nur in gewissen Wirtschaftssektoren einzuschränken: Japan unterstützt z. B. traditionell seine Reisindustrie und ist bereit, wirtschaftliche Ineffizienzen zu akzeptieren, um diesen kulturell wichtigen Sektor zu stärken. Europa ist in Hinblick auf Gentechnik wiederum skeptischer als die USA – es müssten also in diesem Bereich Regelungen getroffen werden, während andere Sektoren für Freihandel geöffnet werden können.
Anders als die Autokratien in Russland oder China kann die freie Welt ihre Werte anderen nicht gewaltsam aufdrücken. Aber es muss uns unbenommen bleiben, unfaire Wettbewerbsnachteile auszugleichen und unsere Werte bei uns zu leben. Es ist also auch für Liberale legitim, Handelsverträge so auszugestalten, dass sie unseren Grundprinzipien nicht zuwiderlaufen. Wenn wir global anerkannte Rechte zugrundelegen – wie die UNO-Menschenrechtskonvention, oder die Grundregeln der ILO – sind alle Mitglieder eines Abkommens bereits a priori an diese Prinzipien gebunden und können dem Westen keine hegemonialen Motivationen vorwerfen.
Wie man wertebasiert handeln kann
Ein heikler Punkt, vor allem in Abkommen zwischen Staaten auf deutlich unterschiedlichen Entwicklungsniveaus, ist die Frage des Mindesteinkommens. Ein globaler Mindestlohn wäre wohl eine Marktverzerrung, da eine derartige Regel niemals die Produktivitätsunterschiede widerspiegelt. Möglich wäre es aber, in Handelsabkommen das Recht auf Kollektivverträge und Gewerkschaften zu verankern. Diese erlauben es Interessensvertretungen, je nach Produktivität und bestehendem Humankapital für die Branche optimierte Lösungen auszuarbeiten. Die ILO zum Beispiel definiert Arbeitsgrundrechte als:
- Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen
- Beseitigung der Zwangsarbeit
- Abschaffung der Kinderarbeit
- Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf
Alle UNO-Mitgliedsstaaten unterwerfen sich diesen Grundregeln.
Auch kann ein Handelsabkommen eine CO2-Grenzausgleichssteuer beinhalten. Wie eine Umsatzsteuer oder ein Zoll auf CO2 gleicht diese Abgabe den Kostenunterschied der CO2-Bepreisung im In- und Ausland aus und verhindert somit, dass die vergleichsweise hohe Bepreisung von CO2 in Europa zu einer Abwanderung von Produktionsunternehmen in ein Land mit geringeren Kosten führt. Wenn die Parteien eines Handelsabkommens sich vorab auf eine gemeinsame CO2-Bepreisung einigen, kann man in diesem internen Markt dann eine Grenzausgleichsbepreisung mit all den Transaktionskosten, die daraus entstehen, verhindern.
Es gibt einige Maßnahmen, die man setzen kann, um Wandel mit Handel anzuregen. Diese können z. B. Zölle oder Einfuhrsperren auf Produkte sein, in deren Sektor Kinderarbeit vorherrscht. Für die nachweisliche Verpflichtung zu gemeinsamen Projekten, um Kinderarbeit stufenweise zu beenden, können Handelserleichterungen stufenweise nach Erreichen von Richtgrößen gewährt werden: Zollerleichterung, Kontingenterhöhung, aufgehobene Einfuhrbeschränkungen. Bei Rückschritt leben die Beschränkungen wieder auf. Unternehmen müssen entlang ihrer Lieferketten eine adäquate Entlohnung ihrer Mitarbeiter:innen, auch von Zulieferern, gewährleisten. Der beste Schutz gegen Kinderarbeit ist ein für den Erhalt der Familie ausreichendes Einkommen der Eltern.
Schwellenländern mittels komplexer Auflagen die Grundlage für eine Weiterentwicklung zu entziehen, ist aber nicht der Sinn eines wertebasierenden Welthandelsregimes. Europa kann, wo schwächere Schutzbestimmungen auf eine Wettbewerbsverzerrung hinauslaufen, bei Hoch- und Mitteleinkommensstaaten eine Anpassung der Normen verlangen, bei ärmeren Verbesserungen festschreiben – gebunden an Erhöhungen im BIP oder an Exportsteigerungen gewisser Produkte, die unter schlechten Bedingungen produziert oder gefördert werden. Durch ein derartiges Vorgehen verlangt man von einer Regierung in einem Partnerland, dass es Verbesserungen in der Wirtschaft – die ja auch mithilfe des Zugangs zum europäischen Markt zustande kommen – an die Arbeiter:innen weitergibt.
Der wertebasierte Handel – am Beispiel der Lieferketten
Ein Lieferkettengesetz wird zurzeit in Brüssel anhand des deutschen Modells ausgearbeitet. Obwohl die Details noch fehlen, ist anzunehmen, dass es europäische Unternehmen verpflichten wird, gewisse europäische Werte und Normen nach bestem Wissen und Gewissen und nach ihren Möglichkeiten in der gesamten Lieferkette durchzusetzen. Je größer die Marktmacht eines Unternehmens, desto mehr Einfluss wird es auch in der Lieferkette ausüben müssen. Die Lieferkette wird idealerweise sowohl Subunternehmen unter dem Einfluss des europäischen Unternehmens als auch Zulieferer beinhalten.
Ein gut geschriebenes Lieferkettengesetz sollte in jedem EU-Handelsvertrag festgeschrieben werden – vergleichbar mit gewissen Regeln, die laut US-Recht in jedem US-Handelsabkommen ex lege vorhanden sein müssen. Es bleibt aber möglich, Übergangsfristen auszuverhandeln – gerade für Staaten, die auf einem deutlich anderen Entwicklungsniveau als Europa stehen. Das Ziel ist ausgewogener Handel, für den sich keine Seite schämen muss. Ärmere Staaten an internationale Normen heranzuführen, während sie ihre wirtschaftlichen Lebensumstände verbessern, sollte ein gemeinsames Bestreben der Entwicklungshilfe der Industriestaaten sein.