It’s the Wahlfreiheit, stupid!
Österreich ist in vielerlei Hinsicht ein konservatives Land. Wusstet ihr zum Beispiel, dass § 8 Abs. 1 der Vorarlberger Landesverfassung festhält, dass das Land „die Ehe und die Familie als natürliche Grundlage der Gesellschaft“ fördert? Das mag für Liberale schockierend sein, spiegelt aber das traditionelle Gesellschaftsbild eines großen Teils der Bevölkerung wider. Mutter, Vater, Kind – und die Frau bleibt zu Hause, bis das Kind in die Schule geht. Wahlfreiheit sieht anders aus.
Es ginge aber auch anders: In einer Gesellschaft, in der jede:r einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung hat. Das würde den Eltern helfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, und die Bildungskarriere der Kinder fördern. Aber in einem konservativen Land scheitert es eben am politischen Willen.
Der Status quo schadet Eltern, v. a. Frauen
Sieht man sich unser Kinderbetreuungsangebot an, ist man von diesem Anspruch aber weit weg. Während in Dänemark 58 Prozent der Kinder unter drei Jahren in einer ganztägigen Betreuungseinrichtung untergebracht sind, sind es bei uns gerade mal acht. Die meisten Kindergärten sperren zu einer Zeit auf, dass ein normaler Arbeitsbeginn nur schwer möglich ist, und nur wenige haben nach 16 Uhr noch geöffnet. In Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg hat mehr als die Hälfte der Kindergärten Öffnungszeiten von unter acht Stunden. Wer Kinder hat – oder rechnen kann –, weiß: Das geht sich nicht aus.
Und so ergibt sich, dass nun mal einer von zwei Elternteilen daheim bleiben muss. Meistens ist das die Mutter. Einerseits, weil es sozial vielerorts noch „erwartet“ wird, dass Frauen bei ihren Kindern bleiben – wer sie „zu früh“ in Betreuung gibt, ist eine „Rabenmutter“ –, und andererseits, weil der Elternteil mit dem geringeren Einkommen zu Hause bleibt. Das wiederum verschärft die Ungleichheit noch weiter: Der „Motherhood Pay Gap“ ergibt sich daraus, dass Frauen mehr daheim bleiben und so weniger auf ihr Pensionskonto einzahlen können. Wer Frauen nicht die Möglichkeit gibt zu arbeiten, fördert ihre Altersarmut.
Welche Vorteile mehr Kinderbetreuung bringt
Wir sollten also dringend über den Ausbau der Kinderbetreuung reden. Das sieht auch Johannes Kopf so, der Chef des AMS. Auf Twitter brachte er Statistiken in die Diskussion: Über 55.000 Frauen in Österreich wollen mehr Stunden arbeiten, haben aber Betreuungspflichten. Zusätzlich gibt es 145.000 Frauen, die wegen ihrer Betreuungspflichten für Kinder von 0 bis 2 gar nicht arbeiten, 39.000 weitere müssen auf Kinder zwischen 3 und 5 Jahren aufpassen.
Der Status quo in der Kinderbetreuung fördert also, dass Eltern – vor allem aber Frauen – zu Hause bleiben und damit weniger verdienen und weniger Pension bekommen. Und das, obwohl sich viele wünschen würden, mehr zu arbeiten. Arbeitsmarkt- und sozialpolitisch könnte man mit einem ordentlichen Ausbau der Betreuung zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Und nicht nur das: Die Kinder selbst würden auch von einem Ausbau profitieren. Studien zeigen sowohl, dass die ersten Jahre in Kinderbetreuungseinrichtungen die wichtigsten sind, als auch, dass die positiven Effekte auf die Kinder mit der Stundenanzahl steigen. Wer also in einem ganztägig betreuten Kindergarten bleiben kann, hat in der Bildungskarriere einen Vorsprung. Einen Vorsprung, von dem gerade jene aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status profitieren könnten.
Das konservative Weltbild darf nicht erzwungen werden
Dass wir in der Debatte noch weit weg davon sind, zeigt die Reaktion einer Parlamentspartei auf die Twitter-Statistiken des AMS-Chefs: Dieser solle aufhören, „kommunistische Umerziehungsmethoden“ zu fordern. Wenn schon alleine die Möglichkeit, das Kind in einen Kindergarten zu geben, Kommunismus ist, haben wir ein Problem. Denn dahinter steckt ein Bild, in dem alleine die Wahlfreiheit als Angriff auf das konservative Weltbild gesehen wird.
Wenn das so gesehen wird, dann sollten sich die politisch Verantwortlichen in den Ländern hinstellen und offen sagen, dass sie nun mal nicht wollen, dass Frauen schnell zurück in die Arbeitswelt möchten. Auch dafür gibt es schließlich Fürsprecher:innen – und wer so lange wie möglich bei den Kleinen bleiben will, soll das auch weiterhin dürfen. Aber nicht einmal die Option zu ermöglichen, schnell wieder ins Arbeitsleben einzusteigen und die Kinder in eine qualitativ hochwertige Betreuung zu geben, ist keine Lösung. Denn das würde bedeuten, dass das konservative Gesellschaftsbild nur durch Zwang erhalten bleibt.
Wir sollten uns also nicht mit dem unzureichenden Status quo abfinden und so tun, als könnte man da einfach nichts machen. Statt 2,9 bräuchte es 4,5 Milliarden Euro, um eine flächendeckende Kinderbetreuung nach dänischem Vorbild zu ermöglichen – also eine Infrastruktur, die allen Eltern ermöglicht, frei zu entscheiden, wer wann zu Hause bleibt. Wie früh man seine Kinder in eine Betreuungseinrichtung schickt, ist eine persönliche Entscheidung. Aber wir sollten endlich sicherstellen, dass jeder und jede sie frei treffen kann.