Jahrzehnt der Elementarbildung – oder doch fünf verlorene Jahre?

Am 24. Jänner 2025 ist „Tag der Elementarbildung“ – Zeit für eine Bestandsaufnahme und vor allem für einen Blick voraus: Was muss ab sofort und in den nächsten zehn Jahren passieren, damit Krippe, Krabbelstube und Kindergarten ihrem Auftrag gerecht werden können, die erste Bildungseinrichtung zu sein?
In den letzten zehn Jahren sind große Fortschritte in der Bewusstseinsbildung passiert – doch jetzt gilt es, Nägel mit Köpfen zu machen. Wie wichtig die Elementarpädagogik als Bildungsfundament ist, ist heute in der politischen Arena und in der breiten Öffentlichkeit viel klarer als vor zehn Jahren. Der Umschwung gelang dank des beharrlichen Einsatzes von Interessenvertretungen wie NEBÖ und EduCare, dank der aufklärenden Stimme der Wissenschaft zur frühkindlichen Entwicklung und dank des politischen Drucks einer neuen Parlamentspartei, die die Bildung in den Fokus rückt. Selbst in der konservativen ÖVP hat dieser Umschwung zu neuen Perspektiven und Positionen geführt.
Düstere Prognosen
Doch was davon ist schon in der Realität angekommen? Zu wenig, und zu wenig Gutes. Der Ausbau des Angebots – mehr Plätze, längere Öffnungszeiten – schreitet zwar voran, aber der Ausbau der Qualität ist noch im Konzeptstadium. In einer Republik mit neun verschiedenen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzen der neun Bundesländer ist es kein leichtes Unterfangen, österreichweit hohe Standards für Gruppengrößen, Fachkraft-Kind-Schlüssel, die Ausbildung aller Mitarbeiter:innen und andere Qualitätsfaktoren festzuschreiben, die darüber entscheiden, ob Kinder Bildung oder nur Beaufsichtigung erleben. Ob sie individuell mit ihren Bedürfnissen wahrgenommen und in ihren Talenten gefördert werden, oder ob’s nur beim „Aufpassen“ bleibt.
Gute Bildungsbedingungen für die Kinder decken sich mit guten Arbeitsbedingungen für das Personal. Ohne den nötigen Qualitätsschub gerät auch der Ausbau ins Stocken, weil an allen Ecken und Enden Mitarbeiter:innen fehlen. Prognosen zufolge könnten bis 2030 bis zu 13.700 Fachkräfte in der Elementarpädagogik fehlen. Viel zu viele ausgebildete Pädagog:innen kehren dem Beruf den Rücken oder treten erst gar nicht in ihn ein, weil die Arbeitsbedingungen nicht geeignet sind, den Kindern gerecht zu werden und einen guten Job zu machen. Besonders in der Kleinkindbetreuung – je nach Bundesland Krippe, Krabbelstube oder Kita genannt – sind die Zustände oft dramatisch und die Gruppengrößen völlig ungeeignet für ein- und zweijährige Zwerge.
Nachdem ein „Beirat für Elementarpädagogik“ im Sand verlaufen ist, hat das kürzlich abgeschlossene „TSI-Projekt“ nun endlich klare Ergebnisse gebracht, auf die sich Expert:innen und Vertreter:innen der Bundesländer einigen konnten. TSI steht für Technical Support Instrument und ist ein Programm der Europäischen Kommission. Im Auftrag des Bildungsministeriums und finanziert von der EU hatte UNICEF die Moderation des Projekts inne. Erarbeitet wurden unter anderem Analysen zu den Arbeitsbedingungen, Learnings aus anderen EU-Ländern und Empfehlungen, welche Schritte nun gesetzt werden sollen.
In der Bringschuld
Stutzig macht jedoch, dass auf der Website des Ministeriums, wo die Ergebnisse veröffentlicht wurden, just das Hauptdokument fehlt: die Qualitätsstandards, auf die man sich geeinigt hat. Sollen sie in der Schublade verschwinden, sodass zwei Jahre Arbeit der zahlreichen involvierten Fachleute und Verantwortungsträger:innen zunichte gemacht werden?
Das darf nicht passieren! Die Regierungsverhandler:innen von FPÖ und ÖVP sind gefordert, diese dringend notwendigen Qualitätsstandards in die Realität umzusetzen: mit einem Stufenplan, klaren Übergangsfristen und rechtsverbindlichen Zielsetzungen. Dafür braucht es ein mit Zweidrittelmehrheit zu beschließendes Bundesrahmengesetz, für das sich die ÖVP in den türkis-rot-pinken Verhandlungen offen zeigte, oder eine neue Bund-Länder-Vereinbarung. Die föderalen Zuständigkeiten sind der Einführung des verpflichtenden Kindergartenjahres nicht im Wege gestanden und gelten auch nicht als Ausrede, wenn es um ein zweites verpflichtenden Kindergartenjahr, hohe Qualitätsstandards und einen Stufenplan für kleinere Gruppen geht.
Was es neben der rechtlichen Umsetzung auch braucht, ist vor allem die Finanzierung. Eine jährliche „Qualitätsmilliarde“ für kindgerechte Bildung und Betreuung muss Vorrang haben vor „Herdprämien“ und vor populistischen Geldverteilungsaktionen, für die Blau und Türkis vom „Haider-Hunderter“ bis zum Kurz’schen „Koste es, was es wolle“ bekannt sind.
Eine gute Zukunft beginnt mit guten Entwicklungs- und Bildungsbedingungen für die Kleinsten im Lande. Verantwortungsvolle Budgetpolitik schafft mit mutigen Reformen den Spielraum für Zukunftsinvestitionen – das ist dringend nötig, denn derzeit gehen nur 13 Prozent des Bundesbudgets in Zukunftsbereiche wie Kinderbetreuung, Bildung und Forschung. So kommt es auch, dass Österreich zwar insgesamt hohe Staatsausgaben hat, beim Anteil der Bildungsausgaben an diesen aber deutlich hinter dem OECD-Schnitt hinterherhinkt.
Am Tag der Elementarbildung trifft sich die Untergruppe Bildung der zukünftigen FPÖVP-Regierung zu Verhandlungen. Wenn die Verhandler:innen klug agieren und Macherqualitäten zeigen, dann starten sie ein „Jahrzehnt der Elementarbildung“ mit einem verbindlichen Plan, der bis 2035 Schritt für Schritt zu bester Bildung von Anfang an führt. Es können „zehn gute Jahre“ werden, aber die Gefahr ist groß, dass es „fünf verlorene Jahre“ werden. Verloren für die Kinder, verloren für die Integration und verloren für die Zukunft unserer Wirtschaft und Gesellschaft.