Politics by „wird sich schon ausgehen“
Man soll niemandem in der Politik vorwerfen, ernsthaft die eigene Sache zu glauben. Es ist nichts Anrüchiges, für seine Weltsicht einzustehen und Dinge vorzuschlagen, die gut dazu passen. Schlimm wird es nur, wenn „Wird sich schon ausgehen“ das einzige Argument ist – dann wird gut gemeint schnell zu schlecht umgesetzt.
Das gilt vor allem heute, wenn Linke von Lösungen sprechen, die gefühlt seit den 70er Jahren herumgeistern: etwa Vermögenssteuern und Arbeitszeitverkürzung. Beide Policy-Vorschläge wären schwierig umzusetzen und bräuchten konkrete Modelle, um viele ihrer Probleme zu beseitigen. Aber das scheint niemanden zu interessieren – es zählt nur der Glaube daran.
Was soll die „Millionärssteuer“ diesmal bringen?
Ein Musterbeispiel dafür ist die Debatte um die Einführung einer Vermögenssteuer. Diese wurde zwar bereits mehrmals ausprobiert und dann wieder abgeschafft – auch in Österreich –, aber das tut nichts zur Sache. Das Anliegen, dass „die Reichen mehr zahlen sollen“, scheint genug inhaltliche Unterfütterung zu sein. Dass Norwegen, Frankreich und das Vereinigte Königreich keine guten Erfahrungen mit dieser Steuer gemacht haben, interessiert niemanden.
Wie wäre es dann mit konkreten Fragen dazu? Fragen wie „Woher wissen wir eigentlich, wer vermögend ist?“ oder die Frage nach der Höhe der Steuer? Man mag von der Kampagne der Industriellenvereinigung halten, was man will, aber die Warnung vor einem „Vermögensregister“ ist nicht ganz unberechtigt. Nicht nur (oder „nur“) weil der Staat dann mehr über uns weiß, sondern auch, weil mit einer Vermögenssteuer ein riesiger bürokratischer Aufwand einhergeht. In Österreich, wo die öffentliche Hand nur wenig über uns weiß, müsste ein solches System erst eingeführt und gegen Missbrauch abgesichert werden. Wo ist die Rechnung, die uns zeigt, dass das überhaupt einen Gewinn einbringt?
Und das ist nicht die einzige offene Frage. Wie gehen wir mit der Erwartung um, dass Reiche das Land verlassen werden? Haben wir auf dem Schirm, dass gerade in Österreich Stiftungen ein einfacher Weg sind, um diese Steuern zu umgehen? Und wird die Million, die als Betrag oft genannt wird, eigentlich inflationsangepasst? Immerhin wären heute schon einige davon betroffen, wenn man die „Millionärssteuer“ schon unter Bundeskanzler Faymann umgesetzt hätte – da wäre dann wirklich der kleine Häuslbauer mitgemeint.
All das sind konkrete Fragen, die man beantworten sollte, wenn man eine Policy vorschlägt, die schon öfter krachend gescheitert ist. Aber das scheint niemanden zu kümmern: Solange wir nur das Richtige wollen, wird sich die Realität unseren Vorschlägen beugen. Wird sich schon ausgehen. Und das nicht nur, wo „Reiche ihren fairen Teil beitragen“ – was man auch durch andere Maßnahmen schaffen könnte. Sondern auch dort, wo „wir weniger leben, um zu arbeiten“.
Offene Fragen bei der Arbeitszeitverkürzung
Am romantischen Framing scheitert es selten bei diesen Ideen. Wer will denn leben, um zu arbeiten? Aber auch hinter der Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sind viele praktische Fragen offen, die man nicht unbeantwortet lassen sollte. So würde eine Arbeitszeitverkürzung die Kosten von Arbeit von heute auf morgen um ein Viertel erhöhen. Und das in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit, in der viele Unternehmen und ganze Branchen jetzt schon keine Arbeitskräfte finden.
Und wie ist das mit Leuten, die schon jetzt in Teilzeit arbeiten? Müssen die 32-Stunden-Kräfte dann einfach 24 arbeiten, um das Gleiche zu verdienen? Oder sind die auf einmal Vollzeitkräfte und kosten damit umso mehr? Was für uns alle eine individuelle Rechnung ist, läuft für Unternehmen auf das Gleiche hinaus: Jede einzelne Arbeitsstunde wird teurer. Die Leute werden also nicht reicher, sondern ärmer – vor allem die mehr als 2,4 Millionen Menschen in Pension, die nicht plötzlich mehr Geld bekommen, aber trotzdem die höheren Preise bezahlen.
Apropos Arbeitsstunden: Wie ist das eigentlich in Branchen, in denen man nach Stunden bezahlt wird? Das ist keine Elitenfrage, die nur den juristischen Bereich beschäftigt, sondern betrifft jede:n Friseur:in: Wenn eine Herrenfrisur standardmäßig eine halbe Stunde dauert und die Nachfrage nicht sinkt, aber weniger Stunden gearbeitet wird und die Stunden mehr kosten – was bedeutet das? Dass meine Friseurin ihre Preise trotz billiger Konkurrenz anheben wird. Die gleiche Rechnung kann man in unzähligen anderen Bereichen anstellen: Wer pflegt eigentlich, wenn wir schon mit der aktuellen Arbeitszeit zu wenig Personal dafür finden?
Wenn „Wird sich schon ausgehen“ zur Maxime wird
Das heißt übrigens gar nicht, dass die Ziele dieser Politik per se verwerflich sein müssen. Die Vorstellung, dass man mit weniger Arbeit auskommen kann, wurde anderswo schon ausprobiert – aber nicht in Zeiten einer Stagflation mit Arbeitskräftemangel. In der wäre das wohl besonders kontraproduktiv, und momentan bietet niemand eine Antwort an, warum das nicht so sein sollte.
Und darin liegt das große Problem bei vielen Vorschlägen, die aktuell von der linken Seite kommen: Sie nehmen keine Rücksicht auf die Realität. Mit einer „Wird schon passen“-Mentalität spricht der neue SPÖ-Chef Vorschläge aus, die nicht finanzierbar sind und tausend weitere Fragen aufwerfen. Wenn jemand nachfragt, folgt der Verweis darauf, dass auch im letzten Jahrhundert Dinge umgesetzt wurden, die als schwierig galten. Das ist eine schöne anekdotische Evidenz – aber nichts spricht dafür, dass eine Vermögenssteuer diesmal wirklich nur die Reichen trifft und diese definitiv nicht abwandern. Das ist einfach nur Wunschdenken.
Diese „Wird-sich-schon-ausgehen“-Maxime beherrscht unseren politischen Diskurs nicht erst seit gestern. Und sie kommt auch nicht nur von linker Seite, sondern zeigt sich auch in Forderungen nach einer „Festung Europa“ oder der Realitätsverweigerung der ÖVP, wenn es um das Aus des Verbrennungsmotors geht. Nur wenige fordern in der Politik noch real durchsetzbare Lösungen, die wirklich durchgerechnet wurden. Aber „wird sich schon ausgehen“ allein können wir uns nicht verlassen. Am Ende zahlen die Rechnung wir alle.