The Iron Truss
Liz Truss ist Großbritanniens nächste Premierministerin. Sie ist die 15. Person, die Queen Elizabeth II damit beauftragt, eine Regierung im Namen der Königin zu leiten – und Truss ist die bereits vierte Person in 10 Downing Street in etwas mehr als 6 Jahren. David Cameron, Theresa May, Boris Johnson und jetzt eben Liz Truss – die britischen Konservativen haben seit Brexit einen enormen Personalverschleiß an der Spitze. Mit Truss übernimmt eine treue Anhängerin Boris Johnsons die Geschäfte der Regierungschefin, in einer schwierigen Lage, nachdem Großbritannien nach dem Brexit und der Corona-Krise mit massiven Problemen zu kämpfen hat. Die Teuerung, die strukturellen Probleme, vor allem mit dem nationalen Gesundsheits- und Sozialsystem, sich aufheizende gesellschaftliche Debatten – Truss hat mit dem Erbe der konservativen Regierungen zu kämpfen, während sie im parteiinternen Wahlkampf gegen Rishi Sunak große Versprechungen gemacht hat. Es wird sich zeigen, ob sie die Herausforderungen stemmen wird können.
Larry the Cat muss sich schon wieder an eine neue Besitzerin gewöhnen. Der Kater, der den Amtssitz mausfrei halten soll, wurde 2011 unter David Cameron angeschafft und schleicht sich gerne in den Hintergrund der TV-Livebilder von Journalist:innen, die vor dem Eingang zu der so berühmten Adresse ausharren. Tatsächlich wurde Liz Truss im heurigen Sommer auch darauf angesprochen, ob sie mit Larry gut auskommen würde – und natürlich musste sie betonen, wie gut das Verhältnis mit dem „Chief Mouser“ ist. Viel Zeit für Streicheleinheiten mit Larry wird die neue Premierministerin aber wohl nicht haben. Nach einem brutalen Wahlkampf gegen Sunak muss sie sehr rasch Vorschläge liefern und dann umsetzen, wie die Cost of living crisis – wie die Teuerungsproblematik im UK genannt wird – angegangen werden kann. Denn obwohl Boris Johnson bis Dienstag, 6. September im Amt war, weigerte er sich, noch irgendetwas gegen die Teuerung zu unternehmen – die Zeit für Maßnahmen wird also immer knapper. Wirklich konkretes hat Truss bis jetzt noch nicht geliefert – im Wahlkampf gegen den ehemaligen Finanzminister Sunak pochte sie auf Steuersenkungen, während Sunak rasche Direktzahlungen ankündigte. Doch zu sehr ins Detail ging ihr Policy-Papier nie. Und auch bei ihrer Antrittsrede am Dienstag lieferte sie nichts nach – außer der Phrase „Deliver, deliver, deliver.“ Die ersten Aussagen des neuen Finanzministers, ihr Vertrauter Kwasi Kwarteng, gehen in Richtung Förderprogramme, die auf Schulden basieren und eine rasche Steuersenkung. Das könnte aber das Problem der Inflation noch anheizen, da diese Pläne noch mehr Geld ins System spülen würden. Und das könnte das Standing von Truss innerhalb der Partei bald wieder schwächen, nachdem ihre lautesten Unterstützer:innen jene sind, die auf einen „small state“ und eine niedrige Verschuldung pochen.
Truss muss also rasch eigene Gesetze auf den Weg bringen und gleichzeitig aber auch ihr Standing in der Partei absichern. Das wird schwierig, nachdem die Abstimmung der Parteibasis mit rund 56 Prozent zwar für sie ausging, doch niedriger, als erwartet wurde. Truss, die bereits als Ministerin mit kantigen Aussagen aufgefallen war, wird also neben harten inhaltlichen Entscheidungen wohl auch auf culture war-Themen setzen, um ihre konservativen Abgeordneten bei Laune zu halten. Dabei spielt sie auch mit der harschen Rhetorik und dem Kleidungsstil der „Iron Lady“ Margaret Thatcher, eine Säulenheilige der Tories. Und dann gibt es noch die nächsten Parlamentswahlen, die 2024 anstehen. Bis dahin wird Truss die Partei einen und die Tories nach den Skandalen Boris Johnsons wieder beliebter machen müssen. Ein Konfrontationskurs mit der EU würde da gut in ihr Kalkül hineinspielen, nachdem ihre Partei und ihre Wähler:innen traditionell stark für den Brexit sind.
Truss und die EU
Truss, wie in einem früheren Artikel bereits beschrieben, stimmte gegen den Brexit, hat sich seit der Abstimmung aber zu einer überzeugten Unabhängigkeitsbefürworterin gewandelt. Sie hat angekündigt, ab dem ersten Tag als Premierministerin „alte EU-Gesetze“, die Rechtsstatus im Vereinigten Königreich haben, zu streichen – nicht zu ersetzen. Der größte Konflikt der droht ist allerdings – weiterhin – die Frage der Grenzkontrollen zwischen Nordirland und Irland. Truss hat die Idee Johnsons befürwortet, dass das UK unilateral aus dem aktuellen Nordirland-Protokoll mit der EU austreten soll, auch wenn damit nach gültigem Recht Grenzkontrollen in der ehemaligen Bürgerkriegsprovinz notwendig werden würden. Bereits als Außenministerin unter Johnson verlangte sie Zugeständnisse der EU in dieser Frage – auch wenn die EU-Kommission bereits im Frühling, als Johnson das Thema aufs Tapet brachte, klare Ablehnung symbolisierte. London und Brüssel werden sich also weiterhin auf angespannte Beziehungen einstellen müssen, auch weil Truss im Wahlkampf über den Sommer betonte, eine harte Linie gegen die EU fahren zu wollen. Dass sie damit ein mögliches Wiederaufflammen der Unruhen in Nordirland riskiert, scheint sie in Kauf zu nehmen. Auf der anderen Seite des Ärmelkanals ist man sich der Gefahr auf jeden Fall bewusst, so pochte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrem Gratulationstweet an Truss gleich einmal auf konstruktive Beziehungen – unter Einhaltung der gemeinsamen Abkommen, auf die man sich geeinigt hatte.