Wie liberal ist … das Fußballfeld?
In der Politik geht es oft um Probleme, die ein Ausmaß annehmen, das für Menschen mit durchschnittlichem Interesse schwer zu fassen ist. Ein Beispiel davon sehen wir jeden Herbst bei den Debatten um das Budget. Ist eine Milliarde viel? Für Sportstätten: vermutlich. Für das Pensionssystem? Peanuts.
Darum muss man in der politischen Kommunikation oft zu anderen Referenzpunkten greifen. „30 Milliarden Euro für Pensionen“ bedeutet nichts – „die gesamten Einnahmen der Lohnsteuer für die Pensionen“ lösen schon mehr aus. Man merkt, dass die gesamten Einkünfte der Lohnsteuer in einem Jahr irgendwie viel sein müssen, unabhängig vom Kontext. Oder noch ein anderer Weg zur Erklärung: Fast jeder vierte Euro aus dem Budget geht in die Pensionen.
So funktioniert das Umschiffen finanzieller Debatten. Aber in anderen Bereichen ist das noch schwieriger: wenn es um Fläche geht. Vor allem im Zusammenhang mit Umweltthemen geht es immer wieder darum zu beschreiben, wie groß etwas ist. Ist ein Hektar viel? Für Windkraft in Österreich: Peanuts. Für Sportstätten: vermutlich.
Womit wir beim Thema wären. Denn die Sportstätte ist ein anderes Stellvertreterwort in der politischen Debatte: das Fußballfeld. Man bemüht es bei Debatten rund um Bodenverbrauch, Widmungen und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Denn ein Fußballfeld, das ist wahrscheinlich irgendwie groß. Aber kennen wir uns dadurch wirklich besser aus?
Um die Frage zu beantworten, die wir alle uns immer stellen, wenn in der Politik von „so viel Fußballfeldern“ die Rede ist: Ein Fußballfeld ist zwischen 100 und 110 Meter lang und zwischen 64 und 75 Meter breit. Und da fängt schon das erste Problem mit dem Begriff an: Die exakten Maße können je nach Stadion und Wettbewerb variieren. Unser „Schau, so groß!“ Maß des Vertrauens ist also nicht festgeschrieben, sondern flexibel. Genau wie die Aussagekraft der Statistik, die damit gemacht wird.
Wenn man etwa fragt, wie viel Boden in Österreich verbraucht wird, landet man bei unterschiedlichen Zahlen. Die Hagelversicherung spricht von 16 Fußballfeldern pro Tag, die durch Bodenversiegelung nicht mehr ihre ökologischen Funktionen erfüllen können, der WWF von 17, Greenpeace von 18. Unser Maß für „pre-tty large“ kommt eben mit einer großen Standardabweichung, die man nach oben oder unten revidieren kann.
Erreicht diese Angabe also ihren Zweck? Ich habe so meine Zweifel daran. Auch wenn es zu EM-Zeiten anders wirken kann, ist nicht jeder und jede Fußball-Fan, viele waren noch nie im Stadion, und wenn sie an einem vorbeigefahren sind, dann eher am Dorfklub, der sich nicht ganz mit den Stadien in Wien, Klagenfurt und Wals-Siezenheim messen kann. Wir wissen zwar auch nicht, wie viel ein „Hektar“ ist – außer wir haben selber welche –, aber macht es diese einfache Erklärung wirklich einfacher zu verstehen? Stiftet sie noch mehr Verwirrung? Oder sagt meine Skepsis gegenüber dem Fußballfeld mehr über mich und die ersten Erscheinungen des Alterns aus als über die politische Debatte?
In einer perfekten Welt bräuchten wir keine Fußballfelder. Oder zumindest nicht als Analogie. In einer Demokratie, in der alle Menschen mit vollständiger Information basierend auf ihren Interessen abstimmen, während sie das große Ganze im Auge behalten, könnten wir von 29,465 Milliarden Euro für die Pensionen im Jahr reden, könnten das mit den 3,24 für Gesundheit ins Verhältnis setzen und wüssten ganz genau, wie groß das Ausmaß des Flächenverbrauchs in Österreich eigentlich ist, ohne vermeintliche Vereinfachungen zu brauchen.
Aber die Welt ist eben nicht perfekt. Die meisten Menschen interessieren sich nicht stark für Politik, die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf einzelne Themen oder ein paar Highlights im Wahlkampf. Und es wäre auch falsch, ihnen zuzumuten, sich dafür interessieren zu müssen – die Politik ist für die Bürgerinnen und Bürger da, nicht umgekehrt. Das ist übrigens auch der Grund, warum das „liberal“ im Titel steht: Die Menschen so zu nehmen, wie sie sind, und der Gedanke, dass Demokratie auch von nicht perfekten Debatten leben kann. Solange es Vergleiche braucht, um komplexe Themen zu erklären, ist auch das die Aufgabe sowohl politischer Kommunikation als auch von Medien.
Bleibt nur noch die Frage, ob gerade das Fußballfeld wirklich diesen Zweck erfüllt. Eine Flächeneinheit zu nehmen, die schwankt und vielen nicht bekannt ist, dürfte nicht unbedingt dabei helfen, das Thema des Flächenverbrauchs angemessen zu kommunizieren. Zumindest da könnten wir ein neues Maß finden, das die Situation verständlicher macht. Wer sich bis dahin nicht durch Vereinfachung verwirren lassen will: Am Ende sind es etwas über elf Hektar pro Tag. Und ja, das ist viel.