Wie liberal ist … Doctor Who?
Never cruel or cowardly,
never give up, never give in.
Hate is always foolish and love is always wise.
(The Doctor, Ep. Twice upon a time)
Die Serie Doctor Who Menschen zu erklären, die noch nie davon gehört haben, ist keine einfache Aufgabe. Wie beschreibt man die langlebigste Science-Fiction-Serie der Geschichte, die zu einem wesentlichen Teil der britischen Identität geworden ist? Insgesamt 871 Folgen wurden seit 1963 produziert. Die Serie feiert dieser Tage also ihren 60. Geburtstag – Anlass genug, sich mit dem Phänomen zu beschäftigen, das auch Teil der globalen „Soft Power“ Großbritanniens ist, und herauszuarbeiten, wieso das Gesellschaftsbild und die Kernmessage von Doctor Who absolut liberal sind.
„Doctor Who“ handelt von einem Alien in menschlicher Gestalt, das in einem Raumschiff, das auch eine Zeitmaschine ist und aussieht wie eine blaue Telefonzelle, durch die Geschichte reist und Abenteuer erlebt. Das Schiff wird passenderweise TARDIS genannt – Time and relative Dimension in Space. Dabei wird er – oder sie, aber dazu kommen wir noch – meistens von Menschen begleitet, die mit ihm versuchen, Probleme, auf die sie stoßen, zu lösen und anderen zu helfen. So knapp kann die zentrale Prämisse der Sendung zusammengefasst werden.
Der Doctor selbst ist über 1.000 Jahre alt und ein „Time Lord“, so nennt sich seine Kultur vom Planeten Gallifrey. Wenn ein Time Lord im Sterben liegt, regeneriert er sich in einen neuen Körper mit einem neuen Charakter – und auch potenziell einem anderen Geschlecht. Mit diesem Trick konnte der Doctor seit 1963 von 16 verschiedenen Personen dargestellt werden, darunter bis jetzt auch eine Frau – und die neueste Iteration ist mit Ncuti Gatwa erstmals schwarz.
Doch abseits davon muss wohl noch erklärt werden, warum das britische Publikum und zu einem erklecklichen Teil das Publikum der Welt dieser etwas schrägen und sehr britischen Serie die Treue hält. Und da müssen wir über britisches Selbstverständnis und Nostalgie sprechen.
Rule Britannia!
Für Nicht-Brit:innen oder Anglophile ist es vielleicht schwer verständlich, warum ein indirektes Abarbeiten am ehemaligen britischen Weltreich und dessen Einfluss interessant sein könnte. Doch genau das hat Doctor Who seit Start der Serie in einem humorvollen, manchmal pathetischen, manchmal albernen Weg gemacht. Diese Sendung schaffte es – und schafft es immer noch – tatsächliche Geschichte mit der Lebensrealität von alltäglichen Brit:innen zu verknüpfen und einem moralischen Leitfaden zu folgen, der trotzdem niemals aufoktroyiert oder gezwungen wirkt.
Bei Episoden, die historische Ereignisse behandeln, und bei jenen, die in der Zukunft spielen, gibt es auffallend oft Bezug zu Großbritannien: Der Doctor hat Queen Victoria getroffen und musste sie vor einem Werwolf in Schottland retten, ein anderes Mal zeigt er einer neuen Kumpanin die Zukunft, indem er sie auf das Raumschiff Great Britain führt, und die Geschichte der konfliktreichen Spaltung von Indien und Pakistan 1947 wird aus der Perspektive der Entkolonialisierung des britischen Empires erzählt. Dunkle Aspekte werden dabei nicht ausgelassen, aber doch für ein Mainstream-Publikum und auch Kinder entsprechend aufgearbeitet, für nicht-britische Zuseher:innen aber doch ein wenig zu sehr an die Nostalgie klammernd.
Denn das Selbstbild Großbritanniens, mit seiner Kolonialgeschichte und der Rolle als Sieger in den zwei Weltkriegen beeinflusst natürlich auch eine beliebte, selbstreferenzielle Sendung wie Doctor Who, die diese Themen immer wieder anspricht. Brit:innen sind nostalgischer als andere Ex-Kolonialmächte, was diese Geschichte angeht, 30 Prozent sind der Meinung, dass es den ehemaligen Kolonien besser ging, als sie Teil des Empires waren, 32 Prozent sagen, das Empire war etwas, auf das man stolz sein könnte. Dazu passt dann, dass der Doctor auch ein guter Freund von Winston Churchill ist, oder viktorianische Militärtruppen auf Planeten zu finden sind, auf denen sie weiter die Werte des Empires verteidigen.
Dementsprechend beliebt ist eine Sendung, bei der die Geschichte zumindest etwas weichgezeichnet ist und Großbritannien auch in der Zukunft noch eine stolze, einflussreiche Nation ist – selbst im Weltall. Es gibt einen Grund, warum die BBC Doctor Who als „Ultimate British Show“ bezeichnet hat.
Global Doctor Who
Doch vor allem seit die Serie Anfang der 2000er nach gut zehn Jahren Pause wieder weitergeführt wurde, zeigt sich, dass das Format auch im Rest der Welt immer beliebter wird. Mehrere Sender haben Doctor Who quer über die Welt ins Programm aufgenommen, darunter viele ehemalige Kolonien. Mit dem 60-Jahre-Jubliäum ist Doctor Who endgültig auch in der Streaming-Welt angekommen, und neue Folgen laufen auf Disney+.
Der Charme der Sendung für Nicht-Brit:innen ist leicht zu verstehen: Es ist eine unterhaltsame Fantasy- und Science-Fiction-Serie, die einen guten Mix aus Humor, Spannung, manchmal Horror, Herzschmerz und Überraschung liefert – und auch Eskapismus. Man lernt neue Aspekte der Geschichte kennen, und Kommentare zu gesellschaftlichen oder politischen Entwicklungen erfolgen selten mit erhobenem Zeigefinger und immer in gut für die Mehrheit verträglichen Dosen.
Die liberalen Werte des Doctors
Und das Wichtigste: Doctor Who hat Herz. Was vielleicht schwülstig klingen mag, ist aber der Grund für die Langlebigkeit des Time Lords und seiner Abenteuer. Diese kluge, uralte Person will den Menschen helfen, deshalb hat sie sich selbst irgendwann einmal den Namen Doctor gegeben – ein Heiler, jemand, der beschützen will. Seine (oder ihre) Beziehung zu den meist menschlichen Mitreisenden ist ein Kern der Handlung – immer andere Charaktere reiben sich, lernen und entdecken.
Wenig überraschend sind klare politische Ansagen bei Doctor Who trotzdem selten zu finden, doch durch die Art von Geschichten, die erzählt werden, und welche Charaktere im TARDIS mitfliegen, werden doch klare – gesellschaftsliberale – Statements gesetzt.
In den letzten paar Jahren gab es zum ersten Mal in den 60 Jahren der Serie einen weiblichen Doctor, aktuell wird er mit Ncuti Gatwa erstmals von einem schwarzen Mann gespielt, der auch offen schwul ist. Gleichzeitig werden People of Colour, öfter auch Mitreisende und ihr Blickwinkel auf spezifische historische Ereignisse mehr wahrgenommen. Wenn der Doctor seiner schwarzen Begleiterin Bill einen Markt auf der zugefrorenen Themse in der Regency-Ära (frühes 19. Jahrhundert) zeigt, wundert sie sich, wie viele People of Colour unterwegs sind, die würde man in Dokumentationen über die Geschichte nicht sehen:
Bill: Regency England … Bit more black than they show in the movies.
The Doctor: So was Jesus. History’s a whitewash.
Damit repräsentiert Doctor Who auch die moderne britische Gesellschaft.
Gleichzeitig wird die britische Geschichte auch kritisch hinterfragt, eine grundliberale Idee, die Taten der Mächtigen müssen beobachtet und bewertet werden. Und auch eine Unvoreingenommenheit gegenüber anderen wird als etwas Gutes definiert: Der Doctor steht Wesen aller Art, unabhängig von ihrem Aussehen oder ihrer Lebensweise, zunächst völlig unvoreingenommen gegenüber.
Diese sehr britische Serie die auch gern mit den Klischees spielt (Tee, Fish & Chips, etc.) ist nicht weltbewegend, aber sie vertritt empathisch eine weltoffene Gesellschaft. In einer immer polarisierteren Welt ist so etwas schon viel wert. Möge die TARDIS noch lange durchs Universum sausen.