Lassen wir die rechte Bubble platzen
Jahrelang hatte die russische Propaganda in Europa freie Hand. Nicht nur durch die Finanzierung und Unterstützung von Medienprojekten, die im Wesentlichen der Destabilisierung Europas dienten – auch durch die Unterstützung rechter Politiker:innen, die oft und gerne das Mikrofon nutzten, das russische Staatsmedien wie RT (früher Russia Today) ihnen lieferten. In seiner Studie Ending the Schwarzer Tango with Moscow: The Freedom Party of Austria and the Embrace of Neutralism zeigt der ukrainische Wissenschaftler Anton Shekhovtsov: Russland und die FPÖ profitierten voneinander.
Jetzt liegt die österreichische Lösung für viele auf der Hand: Russische Propagandamedien wurden verboten.
Das ist zuerst verständlich, da es sich um die Kanäle eines Staates handelt, der einen brutalen Angriffskrieg führt und der sich auch zunehmend gegen die Europäische Union richtet. Aber ein Verbot kann nicht das einzige Rezept sein, um rechte Desinformation in Europa zu bekämpfen. Zuerst müssen wir verstehen, warum die Rechten mit russischer Unterstützung den Diskurs jahrelang bestimmen konnten.
Die Anständigen haben verschlafen
Es gibt gute Gründe, um das Verbot von Medienplattformen skeptisch zu sehen. Auch wenn naheliegt, RT als eine Art „feindliche Propaganda“ zu sehen, ist die Meinungs- und Pressefreiheit einer der grundlegenden Werte des Westens. In einer idealen Situation dürfen auch „schlechte“ Meinungen im öffentlichen Diskurs frei vertreten werden, weil sie nicht unwidersprochen dastehen, sondern in einem freien Wettbewerb der Ideen um Aufmerksamkeit kämpfen.
Vor allem in den letzten zehn Jahren war das aber teilweise anders. Etablierte Politiker:innen und Parteien haben den Trend zur digitalen politischen Kommunikation schlicht und einfach verschlafen. Die FPÖ hatte Social Media jahrelang für sich alleine, was zu Schlagzeilen über den „Facebook-König“ Strache führte und zahlreichen mehr oder weniger offiziellen Parteimedien der Freiheitlichen einen Frühstart im Wettbewerb um Aufmerksamkeit ermöglichte. Die politische Konkurrenz war maximal auf Twitter – was zwar auch ein soziales Medium, aber bei weitem kein Reichweitenmedium ist, mit dem man in Österreich Wahlen gewinnt.
Eine ähnliche Entwicklung gibt es auch in anderen europäischen Staaten. Gleichzeitig zeigen die Recherchen mehrerer unabhängiger Medien, aber auch von namhaften Wissenschaftler:innen wie Anton Shekhovtsov, den Einfluss Russlands in der rechten Bubble Europas:
- Russisches Geld finanziert Medienaktivitäten rechter Medien, um die Stabilität liberaler Demokratien zu untergraben und russische Interessenvertreter:innen potenziell in Regierungsverantwortung zu bringen.
- Medienauftritte rechter Politiker:innen in russischen Medien geben ihnen eine Reichweite in Zielgruppen, die mit russischem Geld aufgebaut werden. Das hilft Russland dabei, den liberalen Konsens der europäischen Staaten zu schwächen – durch Polarisierung, Misstrauen in die Politik, aber auch durch wachsenden Anti-Amerikanismus.
Wie man normativ nun die Netzsperren gegen russische Staatsmedien beurteilen mag, ist die eine Sache. Unabhängig davon haben wir die letzten Jahre ein Marktversagen am berühmten „Marktplatz der Ideen“ erlebt – und brauchen jetzt mehr als Verbote, um diese Entwicklung wieder zu korrigieren.
Das beste Mittel gegen Propaganda? Transparenz.
Die Parteifinanzen müssen endlich transparent werden, um diese Propaganda offenzulegen. Das gilt nicht nur für Geld aus Russland, sondern auch für den Einsatz von Steuergeld.
Das Land Oberösterreich z. B. fördert nach wie vor das Nischenmedium eines rechtsextremen Corona-Leugners. Wenn man sieht, wer diese Medien zahlt, wird viel offensichtlicher, dass es sich eben nicht um „unabhängige Nachrichten“ handelt – sondern um FPÖ-nahe Medien, die nur den Schein der Unabhängigkeit aufrechterhalten, aber durch Steuergeld und/oder Inserate finanziert werden. Das Problem ist: In vielen Fällen wissen wir nicht, woher das Geld kommt.
Wären diese Infos öffentlich, wäre es auch leichter, ihnen den Schleier der angeblichen „Unabhängigkeit“ zu nehmen. So, wie einige anfangs dachten, es handle sich bei der „Tagespresse“ um ein echtes Medium, müssen durchschnittliche Medienkonsument:innen auch in der Lage sein, Fake News und ja, auch Parteimedien als solche zu identifizieren. Wir bei Materie leben das vor – wir machen aus unserer Zugehörigkeit keinen Hehl, der NEOS Parlamentsklub steht im Impressum.
Es braucht wieder echten Wettbewerb am Marktplatz der Ideen
Aber es braucht nicht nur Transparenz – die politischen Botschaften der Konkurrenz müssen auch bei den Bürger:innen ankommen. Das jahrelange Monopol, das FPÖ-nahe Medien auf politische Kommunikation auf Facebook hatten, hat Spuren hinterlassen – nicht zuletzt durch Gruppen von Impfgegner:innen auf Telegram. In dieser Bubble glauben viele Menschen an Verschwörungstheorien und haben das Vertrauen in das politische System verloren.
Die Anständigen in der Politik müssen ihre Kommunikation dementsprechend upgraden, um zu diesen Menschen durchzudringen und sie mit einer anderen Geschichte der Welt zu erreichen. Einer, in der nicht die bösen Migrant:innen an allem schuld sind, in der die Corona-Impfung wirklich wirkt und in der die Ukraine sich gegen einen Angriffskrieg wehrt. Kurz gesagt: Wir müssen die Bewohner:innen der rechten Bubble wieder an die Realität annähern.
Es wird ein steiniger Weg bis dahin. Die von Russland unterstützte rechte Meinungsmache hat viele Menschen erreicht, die fest von ihrer Weltsicht überzeugt sind. Trotzdem bin ich überzeugt, dass sich jede:r ändern kann. Und darum müssen wir uns nach wie vor im Wettbewerb mit der rechten Desinformation sehen. Alles andere würde bedeuten, viele Menschen in Österreich für den politischen Prozess aufzugeben.