Arbeitszeit: Verkürzung oder Arbeitsrecht für alle?
Wer bei Arbeitszeitverkürzung an gemütliche 20-Stunden-Wochen denkt, vergisst auf einen Bereich: Gesundheit. Dort gibt es immer noch viele 12-Stunden-Dienste und sehr viel höhere Wochenarbeitszeiten. Trotzdem werden Diskussionen über Verkürzungen automatisch abgeblockt – zu groß sei der entstehende Personalmangel. Dabei könnten Gesundheitsberufe so attraktiver werden.
2017 wurde es beschlossen: Wo es Bedarf gibt, kann die Arbeitszeit auf zwölf Stunden am Stück ausgeweitet werden. Der Aufschrei war groß. An die Mitarbeiter:innen in Krankenhäusern und Pflegeheimen, die seit Jahrzehnten 12-Stunden-Dienste machen, dachte dabei aber niemand. Denn schon die 12- und 25-Stunden-Dienste in Krankenhäusern und Pflegeheimen sind eine Errungenschaft – früher waren 36- oder 48-Stunden-Dienste üblich.
Was bedeutet diese Debatte für das Gesundheitswesen? Einerseits muss in der Nacht jemand anwesend sein, und zwei 12-Stunden-Dienste sind leichter zu organisieren als drei 8-Stunden-Dienste. Andererseits gibt es ausreichend Studien, die belegen, dass nach zehn Stunden die Arbeitsqualität abnimmt. Gerade bei den Mitarbeiter:innen, die die Aufsicht darüber haben, ob jemand am Leben bleibt oder stirbt, kann das nicht wünschenswert sein. Immerhin geht es auch um Stationen mit 20 Personen.
Sehenden Auges in die Überstunden
Natürlich berücksichtigt man diese Faktoren (hoffentlich) bei der Berufswahl und wird darauf vorbereitet. Doch die Anzahl solcher Dienste pro Woche ist in Österreich anders als in anderen Ländern.
Denn EU-weit sollte seit 2003 für Ärzt:innen im Krankenhaus die Höchstarbeitszeit 48 Stunden pro Woche sein. Was für normale Angestellte wie eine Woche mit vielen Überstunden klingt, wird in Krankenhäusern nämlich nicht nur erwartet, sondern die Übergangsfristen wurden wieder verlängert. Mit einer Unterschrift extra kann Krankenhauspersonal bis Juni 2025 noch immer 55 Stunden pro Woche arbeiten, bis 2028 werden es 52 Stunden sein.
Als die Richtlinie beschlossen wurde, hieß es, dass weniger Wochenstunden pro Mitarbeiter:in mehr Personal nötig machen würden und es dadurch nicht genug Ärzt:innen gäbe. Trotz der steigenden Anzahl der Medizinstudienplätze und der steigenden Zahl an praktizierenden Ärzt:innen kann der Bedarf nicht gedeckt werden. Rein an der Anzahl an Mitarbeiter:innen kann es also nicht liegen – potenziell eher an der Zufriedenheit, dass viele nicht so viel unter so großem Druck arbeiten wollen. Zumindest stieg die Zufriedenheit unter befragten Ärzt:innen nach der ersten Reduktion der Arbeitszeit auf 48 Stunden.
Immer wieder werden die Besonderheiten des Krankenhauses als Gegenargument zur Arbeitszeitreduktion verwendet. Gewisse Operationen können mehr als zehn Stunden dauern, Patient:innen sollten möglichst durchgängig von nur einem Team betreut werden. Doch diese nötigen Ausnahmen sollten nicht die Blaupause für Diensträder in allen anderen Settings sein. Und in anderen europäischen Ländern hat die Umsetzung auch funktioniert. Trotzdem werden immer noch die 32-Stunden-Dienste von vor 20 Jahren von manchen Primarärzt:innen oder Funktionär:innen als Messlatte verklärt.
Ungenutztes Entfaltungspotenzial bei Fortbildungen
Die Pflege hat es bei Dienstzeiten etwas leichter als die Ärzteschaft. Dort ist die Höchstarbeitszeit am Stück wirklich bei zwölf Stunden festgelegt, und in der Praxis sind Arbeitstage eher sechs bis zehn Stunden lang. In diesen Arbeitszeiten sollten sich auch Weiterbildungen ausgehen. Das ist aber nicht so einfach. Gerade in den letzten vier Jahren gab es kaum eine Möglichkeit, Weiterbildungen im Rahmen der Arbeit genehmigt zu bekommen. Ganz im Gegenteil: Viele Pflegekräfte mussten für ausgefallene Dienste einspringen, Urlaube wurden nicht genehmigt oder gestrichen, und an Fortbildungen konnte gar nicht gedacht werden. Oder Krankenhäuser genehmigten diese aus Personalmangel nicht.
Dass einem Arbeitgeber die aktuell besetzten Diensträder wichtiger sind als die Weiterentwicklung von Mitarbeiter:innen, ist verständlich – immerhin müssen sonst Stationen gesperrt werden. Aber wer sich in der Arbeit weiterentwickeln will, braucht die Möglichkeit dazu, andernfalls wird der Job irgendwann frustrierend, und die Pflegekräfte könnten aus den Krankenhäusern oder dem gesamten Gesundheitsbereich verschwinden.
Gleichzeitig sind Krankenhäuser als Ausbildungsstellen verpflichtet, an den zukünftigen Bedarf zu denken. Wenn in fünf Jahren eine bestimmte Zahl von Intensiv-, OP- oder Pflegeausbilder:innen in Pension geht, dann muss in dieser Zeit eine vergleichbare Anzahl an Fachkräften ausgebildet werden. Liest man Medienberichte über das Gesundheitssystem, ist aber klar: Das ist nicht (ausreichend) passiert. Sonst gäbe es weniger Berichte über Operationen, die mangels OP-Pflege verschoben werden müssen.
Keine Rede von Verkürzung
Die gibt es aber – und eine wirkliche Besserung ist nicht in Sicht. Pflegekräfte haben in den vergangenen Jahren unzählige Überstunden und nicht genutzte Urlaubstage angesammelt, die wegen des Personalmangels nicht abgebaut werden können. Entlastungsmaßnahmen wie eine zusätzliche Urlaubswoche für Pflegekräfte ab 43 können bei allen guten Absicht nicht genutzt werden.
Und auch dass Jungärzt:innen zu Beginn ihrer Fachausbildung die Einverständniserklärung für mehr als 48 Stunden Wochenarbeitszeit unterschreiben, verzögert die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie und das Umdenken in den Krankenhäusern. Das wiederum erhöht die Chance, dass diese Ärzt:innen aufgrund der Bedingungen im Krankenhaus in den Wahlarztbereich gehen.
Die Anpassung der Arbeitszeitrichtlinie wird weiter wegen des drohenden Personalengpasses aufgeschoben. Seit mindestens 2015 ist sie auch Thema der Ärztestreiks in Wiener Krankenhäusern. Mittlerweile wurden sogar schon Diplomarbeiten über die Umsetzungsmöglichkeiten geschrieben.
Wenn die Arbeitszeiten aber nicht irgendwann an Rahmenbedingungen aus dem „normalen“ Arbeitsrecht angepasst werden, gibt es eine gute Chance, dass eben niemand mehr diese Arbeit machen möchte. Dann gibt es Ärzt:innen und Pflegekräfte in Ausbildung in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Wer fertig ist, wechselt in den privaten Bereich. Dem Personalmangel im öffentlichen Gesundheitswesen wird dadurch sicher nicht entgegengewirkt.