Die unheilige Union gegen das Klima
Ursula von der Leyen’s Start 2019 war fulminant. Nicht nur, weil sie wie eine Zirkushase unerwartet aus dem Hut gezaubert wurde. Sondern vor allem, weil sie die erste Kommissionspräsidentin war. Und die erste Kommissionspräsident:in, die ihre Präsidentschaft unter einen Leitstern stellen sollte – ein seltenes Exemplar einer progressiven Konservativen.
Der „European Green Deal“ war geboren. Sie nannte ihn Europas „Man-on-the-Moon-Moment“. Es war höchste Zeit, die immer spürbarer werdende Klimakatastrophe – die zweifelsfrei größte Herausforderung unserer Zeit – ehrlich, wirksam und konsequent zu bekämpfen. Gleichzeitig sollte die europäische Industrie unterstützt werden, um zur Green-Economy-Avantgarde zu mutieren und weltweit Marktimpulse setzen zu können. Dass das notwendig sein würde, war zu diesem Zeitpunkt konsensfähig genug, um über alle progressiven Kräfte hinweg den dazu notwendigen politischen Willen zu etablieren. Getragen von der Erkenntnis, dass es hier nur europäische Lösungen und keine Alleingänge geben kann. Das Zeitalter der ökosozialen Transformation hatte begonnen. Ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit waren kein Widerspruch mehr.
Der Green Deal ist ein Paket aus einer Vielzahl an Gesetzen aus den Bereichen Landwirtschaft, Energie, Verkehr und Industrie, die das Ziel realisieren sollen, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Von einer europäischen Verpackungsverordnung über den gemeinsamen Emissionshandel bis hin zum Gesetz zur Wiederherstellung der Natur sollte diese beispiellose Anstrengung Europas lebenswerte Zukunft sichern. Vier Jahre wurde unentwegt verhandelt und Gesetze auf den Weg gebracht.
Aber nicht nur das Ziel war ambitioniert – auch eine seltene Allianz aus (fast) allen Parteien war ambitioniert, dieses Ziel zu erreichen. Das Europaparlament war stolz darauf, was alles ging. Seine Gesetzesentwürfe waren so konsequent, dass sie auch die übliche (innenpolitisch motivierte) Verwässerung durch die Mitgliedsstaaten überstanden und am Ende Kompromisse erzielt wurden, die sich sehen lassen konnten.
Bis es plötzlich letztes Jahr – und damit pünktlich ein Jahr vor den Europawahlen – zum Sündenfall kam: die deutsche Bundesregierung versuchte (erfolglos) quasi im Alleingang, das fertig verhandelte „Verbrennerverbot“ in Brüssel zu kippen. Der Junior-Junior-Partner in der Ampelkoalition, der auch Ressortverantwortung im Verkehrsministerium hat, wollte sein „technologie-offenes“ Profil schärfen, um den grottigen Umfragewerten für die FDP entgegenzuarbeiten. „The German Vote“ wurde hiermit zum geflügelten Wort in Brüssel, das die Veto-Strategie der Deutschen bei wichtigen Entscheidungen beschreibt. Der Applaus in einer konservativen Zielgruppe war laut und lang, die Umfragewerte für die FDP blieben grottig.
Das inspirierte die größte Oppositionspartei Deutschlands, die Union, auf den (Auto-)Zug aufzuspringen und – losgelöst von den Ketten von Regierungsverantwortung oder Staatsräson – hemmungslos gegen die „grünsozialistische“ Ideologie zu wettern. Die aktuelle Klimapolitik würde die deutsche Wirtschaft zerstören und Innovation hemmen. Sogar der FDP-Kampagnenbegriff der „Technologieoffenheit“ wurde schamlos abgekupfert – konnte man den Liberalen doch ständig vorhalten, sie würden ja, trotz aller Lippenbekenntnisse, dennoch unter dem Gängelband des grünen Koalitionspartners stehen. Die CDU/CSU-Fraktion hingegen – in Person des CDU-Parteichefs Friedrich Merz -, stilisierte die Grünen vergangenen Sommer gar zum Hauptgegner, ohne verbrannte Erde befürchten zu müssen. Der Schmiedl wurde zum Schmied. Frei nach Herbert Grönemeyers „Angstfrei“: „Wer nicht strampelt, klebt an der Ampel, wartet auf Grün.“
Fortan wurde jeder Vorstoß zur Bekämpfung der Klimakrise kampagnisiert, kritisiert, torpediert oder im besten (bzw. schlechtesten) Falle verhindert. Wir erinnern uns alle an das Schreckgespenst in Form von Robert Habeck, der persönlich in die deutschen Heizungskeller hinabstieg, um eigenhändig alle Ölheizungen herauszureißen. Klimaschutz wurde zum Menschenfeind, schon lange vor den Bauernprotesten. Der Feldzug gegen den Green Deal hatte begonnen.
Blöderweise (für’s Klima) ist die Union nicht nur die größte Oppositionspartei Deutschlands – Deutschland ist auch der größte Mitgliedsstaat der EU. Und die EPP, die europäische Parteienfamilie der CDU/CSU, ist die größte und damit stimmenstärkste Fraktion im Europaparlament. Auch im Europäischen Rat stellt sie mit aktuell 12 von 27 Regierungschef:innen die Mehrheit. Einer dieser Regierungschefs heißt übrigens Karl Nehammer. Und dieser rief just – ein paar Wochen nach dem versuchten Putsch gegen das Verbrennerverbot – das „Autoland Österreich“ aus.
Ein erfolgreiches Franchise-Modell für die europäische Konservative nahm ihren Lauf. Manfred Weber, mächtiger Fraktionsvorsitzender der EPP in Brüssel, tat fortan alles dafür, es zu etablieren. Jedes Gesetz stand auf dem Prüfstand: Renaturierungs- oder Lieferkettengesetz, die Gebäuderichtlinie für energieeffizienteres Bauen, etc. etc. Im 14-seitigen Wahlmanifest der EPP kommt das Wort „Environment“ ganze 4-mal vor. Als geschasster Spitzenkandidat der Konservativen 2019, der am Ende seiner Parteikollegin Ursula von der Leyen den Vortritt lassen musste, hatte er immerhin auch noch eine offene Rechnung mit der Kommissionspräsidentin. Ein Strich durch die Rechnung ihres Vermächtnis kommt ihm hier gerade gelegen.
Die Befürchtung liegt nahe, dass der Green Deal zum Spielball für politisches Kleingeld, Populismus und verletzte Männeregos herhalten muss. Dass wir dadurch unsere lebenswerte Zukunft und unseren Wohlstand verspielen, erscheint hier nur eine Randnotiz.
Konservativ kann bedeuten: „Des homma immer scho‘ so g‘mocht!“ und niemand darf sich bewegen. Oder aber es will meinen: wir wollen unseren Wohlstand und unsere Lebensqualität erhalten. Dann muss sich alles ändern. Und zwar schleunigst. An dieser Ampel-Kreuzung stehen die europäischen Freund:innen der ÖVP aktuell. Momentan blinken sie in die falsche Richtung. Viel Zeit bleibt nicht mehr, bis es (hoffentlich) grün wird.
Hier findet man alle Initiativen, die unter dem Green Deal firmieren.