Sparen im Gesundheitssystem: Wo Entlastung möglich ist
Gesundheit ist teuer. Wir zahlen 14,6 Prozent unserer Lohnnebenkosten an die Sozialversicherung, damit ein niedergelassenes Versorgungssystem zur Verfügung steht. Das bedeutet nicht nur ärztliche Versorgung, gemäß dem zugrundeliegenden Gesetz beinhaltet es auch Leistungen durch Physio- und Psychotherapeut:innen, Diagnosen von Psycholog:innen, Logopäd:innen und Ergotherapeut:innen oder auch die Kostenübernahme von gewissen Basisversionen von Brillen, Hörgeräten oder Krücken. Kurzum: Über diese Lohnnebenkosten sollte uns eine Gesundheitsversorgung angeboten werden.
Weil so aber „nur“ der niedergelassene Bereich abgedeckt wird und weitere Angebote wie Krankenhäuser, Schul- und Amtsärzt:innen, Rettungswesen und so weiter, zur Verfügung gestellt werden müssen, wird über Steuergeld die weitere Gesundheitsinfrastruktur bezahlt. Die Gegenleistung könnte allerdings besser sein.
Denn die Anzahl der gesunden Lebensjahre ist teilweise gesunken, die österreichische Bevölkerung hat im internationalen Vergleich relativ viele Lebensjahre in schlechter Gesundheit, viel zu viele Menschen haben chronische Krankheiten, und sehr viele Menschen gehen aus gesundheitlichen Gründen in Frühpension oder sind während des Bezugs von Rehageld nicht für den Arbeitsmarkt verfügbar. All diese Aspekte sind sowohl für die individuellen Personen als auch für den Staat sehr teuer.
Dementsprechend braucht es Entlastung im Gesundheitssystem. Für die Patient:innen, die oft mehrfach zahlen. Für die Ärzt:innenschaft, bei der alle Aufgaben zusammenlaufen, die wegen der Ärztekammer aber keine Kompetenzen abgeben kann. Für die Pflege, die statt pflegerischer Aufgaben sehr viel Dokumentation und Hausarbeitshilfen übernehmen muss. Für den niedergelassenen Bereich, der mit überflüssigen Wegen für Krankschreibungen, Rezepte und wegen mangelnder Gesundheitskompetenz volle Wartezimmer hat. Für die Krankenhäuser, die wegen der Verstopfung im niedergelassenen Bereich zu viel Arbeit in Terminambulanzen erledigen, anstatt sich um ihre Kernaufgaben zu kümmern. Und für das System, das wegen Mehrgleisigkeiten und aus mangelnder Dokumentation mehrfach die immer gleichen Behandlungen an Patient:innen vornehmen muss und dadurch ineffizient und teuer ist.
Entlastung, aber wie?
Dschungel Gesundheitssystem
Will man all die teuren Ineffizienzen aufzählen, wird es schwierig. Denn der Föderalismus sorgt nicht nur dafür, dass beispielsweise eine Krankenhausleistung in den Bundesländern unterschiedlich viel wert ist, sondern auch, dass Digitalisierung verschieden gehandhabt wird und nicht gesagt werden kann, wo es Effizienzpotenziale gibt. Nicht jedes Beispiel stimmt deshalb überall – und wie so oft geht Sparen im System nicht ohne eine vorangehende Investition. Effizienzpotenziale, Digitalisierung oder die Verschiebung zu Präventionsmedizin müssen erst passieren, bis sich diese Spareffekte realisieren. Andererseits soll das Budget bis 2060 um mehr als eine Milliarde Euro bis auf 8,5 Milliarden ansteigen. So gesehen gibt es Spielraum für Investitionen, die zu einer Entlastung des Systems beitragen können.
Klarerweise braucht es eine Entlastung für die Patient:innenschaft selbst, andernfalls ist die Zahlungbereitschaft der Bevölkerung für derartige Investitionen wohl eher niedrig. Ein Anreiz für die Versicherungsträger:innen, bei den Kassenverträgen nachzuschärfen und diese attraktiver zu machen, wäre eine vollständige Kostenerstattung von Wahlarztrechnungen. Aktuell weichen viele Menschen aufgrund des Kassenarztmangels auf Wahlärzt:innen aus und bleiben auf hohen Kosten sitzen. Immerhin erstattet die ÖGK nur 80 Prozent der Summe, die ein:e Kassenärzt:in für eine Leistung erhält, an die Patient:innen zurück. Wer aus freien Stücken in die Wahlarztpraxis geht und eine Privatversicherung hat, kann das machen. Problematisch ist es nur, wenn dahinter keine Wahl, sondern ein Zwang steht. Denn dann versagt das Versicherungssystem und erfüllt seine Aufgabe nicht. Den Druck auf die Versicherungsträger, sich intensiver um Vertragsärzt:innen zu bemühen, könnte eine derartige Erstattung aber jedenfalls erhöhen und so endlich zu neuen Verträgen führen. Vorausgesetzt natürlich, die Ärztekammer lässt sich auf den Abschluss eines neuen Vertragswerks ein.
Sparen im System
Weitaus größer sind die abstrakten Entlastungsmöglichkeiten, die oftmals unter „Sparen im System“ firmieren. Würden tatsächlich alle Befunde und Diagnosen in ELGA (die Elektronische Gesundheitsakte) eingespeichert, könnten Mehrfachuntersuchungen reduziert werden, was automatisch zu weniger Kosten führt. Durch eine weitere Digitalisierung von Rezepten und Krankschreibungen sparen Patient:innen mehrfache Wege, was zusätzliche Ansteckungsrisiken in Wartezimmern reduziert und damit weitere Krankenstände verhindert. Zusätzlich könnte durch eine Diagnoseerfassung, auf die auch jede:r Patient:in in der eigenen ELGA Zugriff hat, das Hin und Her zwischen Krankenhaus und niedergelassener Ärztin bei bestimmten Krankheitsbildern reduziert werden – was ebenfalls auf allen Ebenen Zeit und Geld spart. Als praktischer Nebeneffekt kann mehr Transparenz bei Diagnosen und Medikamentenlisten auch das Risiko von Nebenwirkungen durch Medikamenteninteraktionen oder Behandlungsfehler reduzieren. Eine weitere positive Nebenwirkung: Kürzere und weniger Wege reduzieren auch die Gesamtzahl der Arztbesuche und entlasten Patient:innen damit zwar nicht finanziell, aber jedenfalls zeitlich.
Praktisch wäre auch, wenn man Krankheiten nicht als Einzelfall betrachtet, sondern auch berücksichtigt, wie sich der Gesundheitszustand im Verlauf entwickelt. So gibt es beispielsweise bei chronischen Krankheiten immer wieder Durchbrüche in der Medikamentenforschung, die eine langfristige Verbesserung bedeuten können. Nachdem neue Medikamente oft teuer sind, werden sie nicht immer genehmigt, und der Staat zahlt indirekt durch mehr Krankenstände höhere Folgekosten und potenziell einen früheren Pensionsantritt und höheren Pflegebedarf später sehr viel mehr drauf. Auch psychische Gesundheit fällt in diese Kategorie, weil Therapie nicht ganz billig ist und Zeit braucht, bis man Effekte erkennt. Zusätzlich fehlt ein Gesamtvertrag, weshalb der Zugang zu kassenfinanzierter Therapie kompliziert ist. Werden solche Leistungen aber übernommen, können Krankheiten besser gemanagt werden, es gibt weniger Frühpensionen aus psychischen Gründen, langfristig sinken die Ausgaben, und durch das erhöhte Arbeitspotenzial steigen sogar die Einnahmen. Nicht zu vergessen: Die Lebensqualität wird von Menschen mit besserem Gesundheitszustand meist als signifikant besser empfunden.
Primärversorgung: Die billige und bessere Alternative
Gleichzeitig spielt es auch eine große Rolle, wo Menschen versorgt werden. Seit Jahren liest man vom Ärztemangel im Kassenbereich, an Lösungen wird jedoch nur langsam gearbeitet. Seit langem wird darüber diskutiert, dass die Wahlarztlücke geschlossen werden muss, und auch Primärversorgungszentren können einen guten Teil zu einer billigeren Versorgung beitragen, wenn Patient:innen dort statt im Krankenhaus betreut werden. Dennoch landen immer noch zu viele Menschen in Krankenhausambulanzen oder in Terminambulanzen von Krankenhäusern. Positiv daran ist, dass so die Versorgung gewährleistet wird. Durch die hohen Betriebskosten der Krankenhäuser, die durch das notwendige Angebot und den enormen Personalbedarf entstehen, ist aber klar, dass das die teuerste Variante der Versorgung ist.
Eine Verbesserung der niedergelassenen Versorgung bringt deshalb automatisch Einsparungen und zusätzlich eine Entlastung der Krankenhausmitarbeiter:innen, die nicht mehr dauernd mit Lappalien eingespannt wären. Zusätzlich zeigen internationale Studien, dass Versorgung und Gesundheitskompetenz der Bevölkerung besser sind, wenn man eine:n Vertrauensärzt:in hat – oder ein eigenes Primärversorgungszentrum, in dem man schon eine gute Beziehung zu den Mitarbeiter:innen hat. Ein weiterer positiver Nebeneffekt: Menschen mit höherer Gesundheitskompetenz haben oft einen besseren Gesundheitszustand und reduzieren damit wiederum die Kosten des Gesundheitssystems.
Entlastung des Gesundheitspersonals
Apropos Krankenhausmitarbeiter:innen: Ein wichtiger Punkt zu deren Entlastung wäre eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Auch weil Arbeitsbedingungen ein wichtiger Aspekt sind, um Personalmangel entgegenzuwirken. Abgesagte und verschobene Operationen oder gesperrte Betten sind nämlich nicht nur unangenehm für betroffene Patient:innen, sondern sorgen für die gleiche Spirale: Spätere Behandlungen bedeuten oft schlechtere Versorgung und damit schlechtere Folgen für den Gesundheitszustand – und damit mehr Folgekosten für das Sozial- und Gesundheitssystem. Kurzum: Investitionen in bessere Arbeitsbedingungen sind nicht nur eine Entlastung für Mitarbeitende, sie führen langfristig auch zu einer Kostenreduktion im Gesundheitssystem selbst.
Ein weiterer Aspekt an der Entlastung des Personals ist – wie so oft – die Entbürokratisierung. Denn das österreichische Gesundheitssystem steht und fällt mit der Ärzt:innenschaft. Das liegt einerseits am Ärztegesetz, andererseits müssen alle anderen Tätigkeiten in den jeweiligen Berufsgesetzen erst dezidiert erlaubt werden. Viele Gesundheitsberufe wurden in den vergangenen Jahrzehnten aber stark professionalisiert und können viel mehr Aufgaben übernehmen als früher. Es bringt beispielsweise niemandem etwas, wenn ein:e Physiotherapeut:in anhand des Radiologiebefundes sieht, dass ein:e Patient:in Einlagen braucht und ihn oder sie zurück zur Hausärztin schickt, damit diese die Verordnung für Einlagen schreibt. Der Hausärztin bringt es ein Honorar, alle anderen Beteiligten haben durch diesen Prozess nur zeitlichen oder finanziellen Zusatzaufwand. Oder wenn eine spezialisierte Pflegekraft für die Auswahl einer Wundauflage eine ärztliche Anweisung braucht. Oder jemand für eine Impfung zum Hausarzt, mit dem Rezept für den Impfstoff zur Apotheke und wieder zurück zum Hausarzt muss. Eine einfache Grippe-Auffrischung könnte auch in der Apotheke verimpft werden. Hier kann entbürokratisiert und aufgewertet werden, Ärzt:innen müssten weniger Überweisungen und Anordnungen ausstellen, Patient:innen würden sich Wege ersparen, und durch weniger Kontakte mit dem Gesundheitssystem sinken auch die Kosten. Ideologisch werden solche Änderungen natürlich mühsam. Wer im System einsparen und nebenbei den Zugang zu Versorgung vereinfachen will, kann damit aber schnell viel verändern. Wie immer bei Reformen heißt es aber gerade im Gesundheitssystem auch: Wir müssen nur wollen.