Teures Korn – wie der Ukraine-Krieg den Hunger in der Welt verschärft
Russlands Angriff auf die Ukraine hat als Nebeneffekt ein Schlaglicht auf den globalen Getreidehandel geworfen. Nachdem auch das Schwarze Meer zu einem Kriegsschauplatz wurde, mussten bis vor kurzem die Getreidelieferungen der Ukraine in den Häfen bleiben. Die Sorge war auf der ganzen Welt groß, das Getreide ist dringend notwendig. Erst am 23. Juli schlossen Russland und die Ukraine unter Vermittlung der UNO und der Türkei ein Abkommen, das die Ausfuhr ermöglichen sollte – die ersten Schiffe haben inzwischen die Häfen verlassen.
Dass die Ausfuhrblockade der Ukraine solch globale Schockwellen auslöste, ist Beweis dafür, wie globalisiert der Handel mit Weizen, Hafer, Gerste und anderen Feldfrüchten ist. Grund genug, sich das genau anzusehen.
Getreide rund um die Welt
Im Jahr 2020 betrugen die globalen Exporte von Weizen rund 193 Millionen Tonnen, von Mais etwa 185 Millionen Tonnen und von Gerste 35 Millionen Tonnen.
Die größten Produzenten im selben Jahr waren die Volksrepublik China mit 615,5 Millionen Tonnen, die USA (434,9 Millionen Tonnen), Indien (335,0 Millionen Tonnen), Russland (130,0 Millionen Tonnen) und Brasilien (125,6 Millionen Tonnen).
Rund 70 Prozent des Welthandels werden von vier internationalen Großkonzernen durchgeführt: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus Company – gemeinsam sind sie als „ABCD-Gruppe“ oder einfach „ABCD“ bekannt. Seit Mitte der 2010er Jahre kam der aufstrebende chinesische Staatskonzern Cofco dazu, der Chinas Interessen sichern soll – so hat China über Cofco seit Kriegsbeginn in der Ukraine 30 Schiffsladungen an Mais und Sojabohnen in den USA eingekauft.
Der weltweite Handel mit Getreide ist notwendig für die Lebensmittelsicherheit in Gebieten, in denen der Boden durch verschiedenste Faktoren nicht genug produziert. Nicht nur der Krieg in der Ukraine zeigt, wie schnell Lieferketten unterbrochen werden können – sondern auch die Probleme seit dem Herbst 2021, als die global ansteigende Nachfrage die weltweiten Transportkapazitäten überforderte. Nicht nur Produkte wie Fahrräder und Haushaltsgeräte brauchten Monate, um geliefert zu werden: Auch der Transport von Getreide brach ein, was zu massiven Preissteigerungen bei Lebensmitteln in jenen Ländern führte, die ihr Getreide importieren müssen oder auf Lieferungen von Hilfsorganisationen angewiesen sind. Das ist aus klimatischen Gründen vor allem in Nordafrika der Fall. Schon vor der Krise in Osteuropa war der Brotpreis dort binnen weniger Monate um 50 Prozent in die Höhe geschnellt. Seit dem Angriff Russlands hat sich diese Situation noch weiter verschlimmert.
In der EU ist davon im Vergleich noch wenig zu spüren, auch wenn die Getreidepreise auch hier angezogen haben. Grundsätzlich ist die Selbstversorgungsmöglichkeit der Union, mit Ausnahme von Mais, hoch. Über 90 Prozent der verfügbaren Mengen von Weizen und Gerste stammen auch aus Produktion der Europäischen Union. 14 Prozent der verfügbaren Mengen von Mais sind importiert.
Hoffnung auf ukrainische Ausfuhr
Da der globale Handel mit Getreide so komplex verzahnt ist, ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Exportblockade im Schwarzen Meer massive Folgen hat. Mehr als 22 Millionen Tonnen Getreide warteten auf die Ausfuhr in den ukrainischen Häfen, die jetzt langsam erst startet – das Abkommen zwischen der Ukraine und Russland ist wackelig.
Die Ukraine war vor dem Angriff durch Russland einer der weltweit größten Getreideexporteure, allein ein Zehntel des global gehandelten Weizens kam von dort, wie Zahlen der FAO zeigen. Das Ausbleiben betrifft sehr massiv einige Gegenden, die traditionell ihre Getreidelieferungen aus der Ukraine erhalten, vor allem nord- und ostafrikanische Länder wie Somalia, Ägypten oder Libyen waren von den Lieferungen abhängig. Weil die nun ausbleiben, hungern nach Angaben der UNO etwa 50 Millionen Menschen zusätzlich.
Weltweit sind die Lebensmittelpreise gestiegen. Es mangelt aber auch beispielsweise an Dünger, der bisher in großen Mengen aus der Ukraine kam. Dementsprechend positiv reagierte UNO-Generalsekretär António Guterres auf Twitter auf die Einigung:
Und wie dringend die Getreidelieferungen der Ukraine in Afrika benötigt werden, wird auch durch die Reaktion der Afrikanischen Union auf das Schwarzmeer-Abkommen deutlich:
Auswirkungen auf das World Food Programme
Und auch das Welternährungsprogramm der UNO (WFP) hofft auf ein möglichst rasches Ausschiffen des Getreides aus der Ukraine, aber auch aus Russland. Bisher hat das WFP die Hälfte seiner Güter aus der russisch-ukrainischen Kornkammer bezogen, um sie an 120 Millionen Menschen, vorwiegend Afrikaner:innen, zu verteilen. Doch wegen der Pandemie, zunehmender Dürreperioden und Kriegen sind nach Angaben des UN-Werks inzwischen fast 300 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen.
„Gerade als wir dachten, es könne nicht schlimmer kommen, brach in der Ukraine der Krieg aus“, klagte WFP-Chef David Beasley im März 2022. Im Jemen musste das Hilfswerk wegen der mangelnden Transporte trotz der wachsenden Not seine Rationen bereits reduzieren. Es bleibt zu hoffen, dass das Abkommen zwischen der Ukraine und Russland sich als stabil genug erweist, um den Mangel an Getreide zumindest etwas zu verringern.