Wandel mit Handel
Die Geschichte der modernen Welt ist glasklar: Handel macht unser Leben besser. Aber um den fahlen Beigeschmack von unfairem Handel zu vermeiden, brauchen wir einen wertebasierten Zugang.
Eigentlich gibt es zwei Vietnam: Das bis 1986, und das danach.
Das Vietnam bis 1986 versuchte, mit einem doktrinär-kommunistischen Kurs durch Autarkie das Auslangen zu finden. Mehr als acht von zehn Menschen lebten in absoluter Armut, Sägespäne wurden dem Reis beigemischt, um die tägliche Mahlzeit sättigender zu machen. Ausländische Lebensmittelspenden waren unabdingbar.
Dann, Ende 1986, kam die Marktreform. Vietnam lud Investoren ins Land ein, um die Wirtschaft auf völlig neue Beine zu stellen und in Exportmanufaktur einzusteigen. Ein Jahrzehnt später war Vietnam bereits der zweitgrößte Reisexporteur der Welt, und einer der wichtigsten Erzeuger von Textilien. Mittlerweile werden auch Elektronikprodukte in Vietnam en masse gefertigt. Nike, LG und andere Weltmarken produzieren in Vietnam für die Welt. Die Nachfrage nach den Arbeitsplätzen ist immens, denn die großen internationalen Firmen gelten als bessere Arbeitgeber als lokale Firmen.
Den Menschen in Vietnam hat die Weltöffnung gut getan. Absolute Armut liegt nun bei unter 20 Prozent. Ablehnung gegenüber Globalisierung wird in Vietnam als weltfremd abgetan. Das Hauptziel der Kommunistischen Partei in den letzten Jahren? Ein Handelsabkommen mit den USA, dann Mitgliedschaft in der Trans-Pacific Partnership, einem der größten Investitions- und Handelsabkommen der Welt.
Nichts bekämpft Armut besser als eine offene Wirtschaft. Und nichts hat einen so unverdient schlechten Ruf wie Welthandel. Dafür gibt es wohl zumindest drei Gründe.
- Eine marktwirtschaftsfeindliche Ideologie, die im Handel das Diktat der Konzerne über die Interessen der kleinen Leute sieht.
- Die Tatsache, dass Handel alle Partner verändert – zum Besseren, aber mit Schmerzen im Übergang, was Populisten dann sofort geschickt ausnutzen.
- Dass wir allzu schnell die Probleme, die er zwar nicht geschaffen hat, aber auch nicht löst, dem Handel ankreiden.
Um dem Handel wieder den Ruf zu geben, den er verdient, müssen wir Probleme 2 und 3 lösen – faktenbefreite Ideologie ist nicht lernfähig. Diese Herausforderung ist wichtig, nicht nur für Vietnam. Auch in Österreich wird mehr als die Hälfte unseres Wohlstands direkt oder indirekt im Außenhandel erwirtschaftet.
Eingebetteter Liberalismus
Handel bringt Wandel. Die Dinge, die wir hierzulande nicht (mehr) kostengünstig herstellen könne, importieren wir. Dadurch steigt die Effizienz unserer Wirtschaft, und sie kann höhere Gehälter für bessere Jobs bei geringerer Arbeitsleistung bezahlen. Die sozialen Errungenschaften der Moderne – Arbeitszeitverkürzung, Urlaub, Sozialleistungen, steigende Gehälter – verdanken wir letztendlich der wachsenden Produktivität.
Auch gehen Arbeitsplätze nicht durch Handel verloren. Wären all die schlecht bezahlten Jobs, die in Billiglohnländer wie Vietnam abgewandert sind, für Österreich verloren gewesen, hätten wir heute eine Arbeitslosenrate im mittleren zweistelligen Bereich. Wir haben jedoch nicht weniger Jobs, sondern bessere.
Unbestritten ist aber, dass es in wirtschaftlichen Übergangsphasen, in denen sich die Strukturen der Wirtschaft ändern, Gewinner und Verlierer gibt. Letztere sind nicht selbst schuld an ihrer Misere. Die Welt um sie herum hat sich gewandelt, und wir müssen sie schadlos halten, um sie nicht ins Lager der Populisten und Handelsfeinde zu treiben. Die Marktwirtschaft, sagt der in Österreich geborene Ökonom John Ruggie, muss immer in das soziale Gefüge eingebettet sein. Wenn zu viele Menschen den Glauben an die Wirtschaft verlieren, regt sich Kritik.
Gerade Liberale müssen also soziale Abfederungen für die Verlierer der Veränderungen im Wirtschaftssystem befürworten, um die Unterstützung für Markt und Handel in der Gesellschaft zu erhalten. Insofern sind Liberale die besseren Sozialdemokraten – weil sie soziale Abfederung unterstützen mit dem Ziel, das offene Wirtschaftssystem zu erhalten, das es langfristig erlaubt, den Wohlstand für alle im Lande durch wirtschaftliches Wachstum und Umverteilung zu erhalten und auszubauen.
Mit Handel aktiv die Welt verändern
Verzerrungen im internationalen Handel resultieren aus unterschiedlichen Werten in den verschiedenen Gesellschaften. Wenn Europa seinen Unternehmen strenge Umweltauflagen auferlegt, Sklaven- und sogar Kinderarbeit verbietet und Unternehmern für ihre Angestellten üppige Sozialabgaben abverlangt, während diese Auflagen in anderen Staaten nicht gelten, dann wandern auch Unternehmen ab, die eigentlich unter gleichen Bedingungen auch hier noch konkurrenzfähig wären.
Handel ist daher am problemlosesten zwischen Volkswirtschaften, die ein vergleichbares Wertesystem haben.
- Den anfänglichen Protesten der Ideologen zum Trotz hat das Handelsabkommen zwischen Europa und Kanada (CETA) zu keinen Verwerfungen im europäischen Sozialsystem geführt. Europa und Kanada teilen die gleiche Einstellung zu Menschenrechten, Demokratie und Umweltschutz und haben daher auch sehr ähnliche regulatorische Rahmenbedingungen. Ein Freihandelsabkommen zwischen diesen Volkswirtschaften muss sich nicht um Wettbewerbsverzerrung durch Sozialdumping oder Freizügigkeiten in Umweltfragen kümmern – es muss nur in Sektoren, wo aus historischen Gründen starke Auffassungsunterschiede existieren, Regeln ausverhandeln, z. B. bei Einstellung zu Erdölgewinnung.
- Zwischen Europa und China hingegen sind die Auffassungsunterschiede, was recht und fair ist, so groß, dass freier Handel zu starken Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Unter einem Freihandelsregime würden Importe aus dem weniger reglementierten China in fast allen Sektoren europäische Produzenten unterbieten. Hier bedarf es ausgleichender Regeln, wie zum Beispiel Zölle oder CO2-Grenzausgleich, sowie Regeln für Minimalstandards gegen Sozial- oder Lohndumping.
- Das EU-Mercosur-Abkommen mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay wird derzeit in Österreich mit Verweis auf Klimaschutz abgelehnt. Und das, obwohl Österreich in Summe einer der größten Nutznießer wäre. Nur die Landwirtschaft fürchtet Einbußen – größtenteils fälschlicherweise.
Nun muss aber jedem Grünen klar sein, dass ohne dieses Abkommen kein einziger Baum im Amazonas-Regenwald gerettet und kein Ureinwohner geschützt wird. Soja wird weiterhin nach Europa exportiert, es unterliegt keinem Abkommen – wohl auch, weil unsere Bauern es für unsere Nutztierzucht brauchen. Und Rindfleischkontingente blieben unter dem Mercosur-Abkommen bestehen. Das Umweltthema ist also einzig eine willkommene Ausrede der ideologischen Handelsgegner:innen und der einheimischen Agrarlobby. Ohne Abkommen verliert Europa ganz einfach an Einfluss, das Mercosur-Abkommen hingegen wäre ein Hebel, zum gegenseitigen Vorteil Brasilien zu Zugeständnissen in Klimafragen zu bewegen.
In China hingegen, dem weltgrößten Treibhausgasemittenten, wo die Menschenrechtssituation sich von schlecht zu dramatisch entwickelt hat, will die gleiche Lobby nichts von Einschränkungen hören. Immerhin kauft China unsere Landwirtschaftsprodukte. Auch dass China mit unfairen Wirtschaftspraktiken seine eigenen Firmen am Weltmarkt massiv bevorteilt, stört die Lobbys, die bereits einen Markt im Reich der Mitte gefunden haben, herzlich wenig.
Europa ist eine Wertegemeinschaft, die sich – zumindest rhetorisch – auch weltweit für unsere Ideale einsetzt. Aus liberaler Sicht ist das Ziel aber nicht, dem Rest der Welt mithilfe der Handelsrute unsere Werte aufzudrücken. Das Ziel eines Handelsabkommens ist es, Handel zu erleichtern und Wohlstand zu schaffen. Damit dies unter fairen Bedingungen passiert, sollte Europa sich mit Gleichgesinnten zusammentun, und dann Drittstaaten den Zutritt unter der Bedingung, dass sie weltweit anerkannte Grundrechte respektieren, zum Markt gewähren.
Europa, Nordamerika und der weltgrößte Handelsblock, die Comprehensive and Progressive Trans-Pacific Partnership, repräsentieren eine Wertegemeinschaft mit Regeln, die fairen Handel basierend auf vergleichbaren sozialen, ökologischen und rechtsstaatlichen Normen ermöglichen. Wenn China oder Brasilien in diesen Markt exportieren wollen, müssten sie sich den gemeinsamen Grundregeln unterwerfen, wie zum Beispiel der Einhaltung des Pariser Klimaabkommens, der UNO-Menschenrechtskonvention oder den Arbeitsrechtsnormen der International Labour Organization (ILO).
Die Herausforderung für die liberalen Kräfte wäre, zu verhindern, dass einzelne Wirtschaftssektoren wie die mächtige Landwirtschaft sich protektionistische Sonderregelungen herausverhandeln. Je umfassender und globaler der Wirtschaftsblock, desto mehr Menschen würden verstehen, dass auch sie Nutznießer der Wirtschaft sind – und Markt und fairer Handel bekämen wieder den Ruf, der ihnen zusteht.
Nichts davon ist graue Theorie. Im offiziell immer noch kommunistischen Vietnam gibt es kaum Kritik an Handel und Markt. Daher musste sich die Regierung auch den für sie nicht immer angenehmen Regeln der Trans-Pacific Partnership unterwerfen, die dem sprichwörtlichen „kleinen Mann“ mehr Rechte gegenüber der allmächtigen Partei einräumten. Die Trans-Pacific Partnership war tatsächlich ein Handelsabkommen by popular demand.